Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1988

Spalte:

63-66

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Sauer-Geppert, Waldtraut-Ingeborg

Titel/Untertitel:

Sprache und Frömmigkeit im deutschen Kirchenlied 1988

Rezensent:

Blaufuß, Dietrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

63

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 1

64

mer das Konsekrationsgebet prinzipiell bewahrte - im Unterschied
zur kontinentalen Reformation - wäre im dritten Kapitel einer
genaueren Analyse wert gewesen (1240, wobei der Vergleich von
Quam oblationem mit Hear us O mercyefull father (Restepiklese/
Kommunionbitte), Unde et memores mit Almighty God (Anamnese)
und vor allem die an die verba testamenti angeschlossene Darbringung
des Lobopfers statt des römischen Anamnesenschlusses (and
here we offer... our selfes, our soules, and bodies, to be a reasonable
and liuely Sacrifice unto thee) den Grundcharakter der Cranmerschen
Liturgiereform ganz deutlich zutage gebracht hätte: Bewahrung der
altkirchlich-westlichen Tradition und Umformung in reformatorischer
Erkenntnis.

Der Weg zum (offiziell immer noch gültigen) BCP 1662 wird im
vierten Kapitel zuverlässig aufgewiesen, dieses ausführlich analysiert
(nur sollte man in dieser Periode noch nicht von „romantisch" reden,
246fT). Der Einfluß des elisabethanischen Puritanismus (Edmund
Grindal), die non-konformistischen Bewegungen und die Wiederanknüpfung
an das BCP 1552 (hier Restauration genannt, 165fT) werden
geschildert und bei der Interpretation des BCP 1662 vor allem die mit
der Position des Vf. übereinstimmenden „erwecklichen" Elemente
hervorgehoben. Die bedeutendste Entscheidung des BCP im Abendmahlsteil
, die Verlegung des Lobopfers in die Danksagung nach der
Kommunion, wird allerdings nur beiläufig erwähnt (212f).

Das fünfte Kapitel, das den Weg zur jüngsten Revision aufzeigt, ist
nun aber im Unterschied zu den vorherigen gänzlich von einer nahezu
penetranten Polemik gegen den Modernismus (John Robinson) und
den Ökumenischen Rat der Kirchen beherrscht. Daß Faith and Order
und sein fünfzigjähriger Weg zu den Lima-Erklärungen 1982 mit der
Lund-Methode (1962) die neutestamentliche Begründung und die
geistliche Erfahrung der verschiedenen Kirchen in den Mittelpunkt
der jetzt gemeinsamen Suche nach den tragenden Fundamenten und
der angemessenen Konkretion des Gottesdienstes stellt und daß hier
weder vom Modernismus noch vom pluralistischen Säkularismus
etwas zu spüren ist, bleibt dem Vf. verborgen. Wenn er mit dem
einfühlenden und bei Offenlegung des eigenen Standortes fairen Verständnis
, das- die ersten vier Kapitel auszeichnet, auch die jüngste
Epoche dieser so einzigartigen Liturgietradition bearbeitet hätte, wäre
dem ökumenischen Erfahrungsaustausch mit diesem Buch ein wichtiger
Dienst getan.

Wien Hans-Chrisloph Schmidt-Lauber

Sauer-Geppert, Waldtraut Ingeborg: Sprache und Frömmigkeit im
deutschen Kirchenlied. Vorüberlegungen zu einer Darstellung seiner
Geschichte. Kassel: Stauda 1984. XI, 266 S. gr. 8 Kart.
DM 84,-.

Dieses Buch ist fast ein nachgelassenes Werk geworden: seine Vfn.
verstarb in der zweiten Hälfte des Jahres 1984 - ein bitterer Verlust
auch für die Hymnologie. Hier und andernorts war sie eine gesuchte
Gesprächspartnerin; ihre Mitgliedschaften in Kommissionen der
Bibelrevision, in der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie
, in dem Herausgeberkreis des Jahrbuchs für Liturgik und
Hymnologie und in drei weiteren wichtigen Gesellschaften zeugen
beredt davon! Das Vorwort des vorliegenden Buches ist auf den
August 1983 datiert - und es setzt einen Schlußpunkt (und was für
einen!) unter mehr als ein viertel Jh. forschendes Leben für das
Kirchenlied. Der Zeitplan der Vorbereitungen zu diesem Buch kann
auch als ,Bußruf* angesichts oft eilfertiger, kurzlebiger und nichtsdestoweniger
mit hohem wissenschaftlichen Pathos vorgetragener
Veröffentlichungen zur Kenntnis gebracht werden: 1960 konkreter
Beginn der Arbeit am Habilitationsthema „Kirchenlied" bei Fritz
Tschirsch, 1971 Abschluß der philos. Habil.-Schrift - und dann noch
einmal glatt ebensoviel Zeit bis zur Veröffentlichung! Schon dies mag
Schneileser warnen: Sie kommen nicht auf ihre Kosten! So sehr die
lange Entstehungszeit der wissenschaftlichen Qualität des Buches

gedient hat - man muß furchten: die praktische Hymnologie (EKG-
Neubearbeitung!) droht davonzueilen. Weit über ein viertel Jh. vom
Beginn einer wichtigen Kirchenlied-Arbeit bis zu ihrer Veröffentlichung
und damit ja erst beginnenden Rezeption: Das ist um der
Sache willen zu lang und leider kein Einzelfall (wie - etwas milder-
Gerhard Hahns Buch zu den Luther-Liedern zeigt). Da ist das Handbuch
zum EKG III.2 noch gar nicht erschienen, aber das EKG wird
bereits neu bearbeitet (S. 62 A. 270): Hoffentlich wird dies nicht als
tolerabler Zustand empfunden - oder man dokumentierte damit nur
seine Meinung, daß man hartnäckige wissenschaftliche Arbeit am
Text des Gesangbuches für entbehrlich hielte ...!? Vorliegendes Buch
ist ein entschieden förderlicher Beitrag zum EKG und weit darüber
hinaus.

Im vorliegenden Fall ist es berechtigt, einmal eine Anzahl von Zitaten
der Autorin unverbunden nebeneinanderzustellen.

,,... in der Fertigstellung des Buches (trat) eine Unterbrechung ein, weil die
Suche nach dem geeigneten Verlag für eine germanistische Arbeit mit stark
interdisziplinärer Intention und die Beantragung des Druckkostenzuschusses
[schließlich von der DFG - DB] viel Zeit in Anspruch nahmen . .." (S. VII).
„Die aus wirtschaftlichen Gründen [! - DB] unerläßliche Kürzung um ein Fünftel
des ursprünglichen Umfangs wurde vor allem durch Einsparungen im Literaturverzeichnis
erreicht..." (S. VIII). „Der Titel der Untersuchung weist daraufhin
, daß sie vor allem Anstöße geben will, mehr denn abschließende Ergebnisse
vorlegen." (Ebd.) „Die grundlegenden Untersuchungen und Sammlungen
stammen samt und sonders aus der Frühzeit der Wissenschaft von der deutschen
Sprache und Literatur. . ." (S. 1). „Diese Arbeit hat... vorbereitenden
Charakter." (S. 2) Sie möge „Leerstellen aufweisen und Einzelarbciten hoffcnt-
lich vermehrt herausfordern." (S. 3) „Das Ergebnis sind mehrere, aufden ersten
Blick auseinanderfallende Einzeluntersuchungen, für die sich freilich schließlich
ein übergeordneter Gesichtspunkt ergibt." (Ebd.) „Der Theologe, der das
Kirchenlied als ein Stück gereimter Dogmatik analysiert und wertet, geht
ebenso fehl wie der Literaturwissenschaftler, der es als lyrisches Gedicht ohne
Rücksicht auf seine kirchliche Verwendung oder seine musikalische Gestalt
interpretiert." (Ebd.) Es „stellt sich heraus, daß die Un- und Mißverständlichkeit
keineswegs schlechthin mit dem zeitlichen Abstand zunimmt" (S. 5). „Das
heute Fremdartige (kommt) nicht unbedingt in den ältesten Liedern am dichtesten
(vor)" (Ebd.). „Das Resultat dieser Untersuchungen ist, daß all die unterschiedlichen
Beobachtungen dahingehend zu subsumieren sind, daß es sich
bei ihnen um Zeugnisse einer älteren Sprech- und Denkweise handelt - und
zwar nicht einmal so sehr um die Weise des 17. oder allenfalls 16. Jahrhunderts,
sondern - und das ist die entscheidende Einsicht - um Mittelalterliches." (S. 6)
Anliegen muß sein Zurückhaltung in der Bewertung dieses Sachverhaltes, hingegen
Förderung ,,ein[es] angemessene(n) Verständnisses] und aus ihm [! -
DB] hervorgehende[r] Lösungen, nicht aber.. . [ein] (Zerreißen) d(er) Tradition
, um deren Nachweis es geht" (S. 9).

Genügt dies, um - z. B. - an das beschämende Faktum von Hemmnissen
für diese interdisziplinär angelegte Arbeit zu erinnern, wo die
70er Jahre doch aus allen Ecken von dem Ruf nach disziplinübergreifender
Forschung und Lehre widerhallten . . .?! Um ca. 65 Druckseiten
mußte offenbar gefeilscht werden - und ich lese von keinem
Beitrag zum Druck aus dem Etat einer Kirche, die wahrlich an einer
(rascheren!) Publizierung dieser Arbeit ein wohlverstandenes Interesse
gehabt haben müßte! Genügen diese Zitate auch, um zu zeigen,
daß die Autorin in strenger Askese gegenüber der Versuchung der
Entwicklung neuer Konzeptionen und .Modelle' standhielt, unverdrossen
ihr ,Handwerk' trieb und auf jeden Fall schon einmal der
kaum noch hinterfragten Gleichung ,alt = unverständlich' ein kräftiges
Fragezeichen vorschaltetc? Ungeduldigem Drängen wird der
Untertitel der Arbeit schwer werden: „Vorüberlegungen . . ."! Aber
ist die Bewahrung vor falschen Weichenstellungen letztlich nicht
effektiver' als kurzlebige Lösungsangebote, die dann nicht einmal der
historischen, sprachlichen und theologischen Uberprüfung standhalten
würden? Es ist dieser Arbeit hinsichtlich ihrer Selbstbescheidung
hoher Respekt zu zollen! Von solcher Achtung ihrem Gegenstand
gegenüber geprägte Arbeiten zum Kirchenlied brauchten' wir
mehr - die Hymnologie ist wahrlich in keiner beneidenswerten
Lage -; Waldtraut Ingeborg Sauer-Gepperts mannigfache Einzelstudien
, z. T. noch nicht veröffentlicht, bedürfen nun dringend der gut
betreuten'Gesamtveröffentlichung, damit sowohl ihr sachlicher Bei-