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Ausgabe:

1988

Spalte:

850-852

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wendel, Ernst Georg

Titel/Untertitel:

Studien zur Homiletik Dietrich Bonhoeffers 1988

Rezensent:

Bloth, Peter C.

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Theologische Litcraturzcitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. I 1

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Predigtarbeit steht das Gebet, das kein Arbeilsersatz ist. aber BBCh
nicht durch Arbeit ersetzt « erden kann.

Biblisch zu predigen setzt Arbeit mit dem Text voraus, dessen
Fremdheil anerkannt werden muß. Es ist für den Prediger „geradezu
lebensnotwendig, daß er Befremdliches im Text entdeckt" (93). Dazu
hilft die Exegese, die freilich den Text nicht nur in seiner Fremdheit
zeigt, sondern ihn auch so erschließt. ..daß er mich als mein Leben
zurechtbringendes Wort Gottes treffen kann und mir nicht nur als
Auslegungsmaterial erscheint, an das ich meine Fragestellung herantragen
kann, das ich als Ideenbörse Für meine Predigt benutze" (100).
Hirschler zeigt, wie er sich eine ordentliche Exegese denkt, am Beispiel
der Geschichte vom Seewandcl des Petrus. Für die biblische
Hermeneutik hat er besonders von Ebcling und Bultmann gelernt,
aber auch von länget, Weder und Jan T. Ramsey. dessen ..Erschließungssituation
" ihm wichtig ist. Die Arbeit mit dem Text setzt eigene
Erfahrung voraus, aber diese kann und soll „durch die im biblischen
Text zutage tretende Glaubenserfahrung erweitert, verändert und verwandelt
werden" (152). Die Exegese mündet in eine „erfahrungsbezo-
genc Textparaphrase", die nicht nur den Text mit eigenen Worten
nachspricht, sondern ihn mit dem Erfahrungspotential eigcYier
Lebenswirklichkeit verbindet. Als Beispiel wird eine Bibelarbeit über
Lk 15.1 1-32 vorgestellt. Hier wäre ein Modell erwünscht, wie eine
„erfahrungsbezogenc Textparaphrase" im Rahmen der Predigtvorbe-
rcitung aussehen könnte, etwa in den Vorarbeiten zu einer Seminaroder
Examenspredigt.

Wichtige Hinweise gibt Hirschlcr zur „Exegese" der Wirklichkeil
als Bestandteil der Predigtvorbereitung. „Der Prediger hat aus seiner
Alltagserlährung mit sich selbst und anderen eine hohe Kompetenz
zum Erfassen und Beurteilen der Lebenswirklichkeit" (235), wobei
vorausgesetzt ist. daß er bzw. sie mit den Gcmeindegliedern lebt und
von ihnen lernt. Am Beispiel von Predigtaussagen über Leistung und
Macht deckt Hirschler oberflächliche Urteile auf, hinter denen sich
Fehleinschätzungen oder Unkenntnis der Lebenswirklichkeil verbergen
. Hilfreich sind auch die Ratschläge zur Verwendung literarischer
Quellen. An einer Predigt zum 40. Jahrestag der Befreiung wird das
„Eigengewicht des Falles" deutlich. Ein erzähltes Beispiel kann so
eindrücklich wirken, daß sich die Frage stellt: „Erschlagt hier nicht
doch die Lebenswirklichkeit den Text?" (293) In der Tat gerät der
Text im vorliegenden Beispiel unter das Übergewicht des Falles, aber
„biblisch predigen" muß gewiß nicht heißen, daß der Hörer immer
den biblischen Text mit nach Hause nimmt, sondern daß die Predigt
einen kleinen Teil der biblischen Wahrheit in ihrer Bedeutung für das
Leben erschließt.

Zur obligatorischen Predigtvorbereitung gehört die systematisch-
theologische Überprüfung des zu Sagenden. Systematisch-theologisches
Denken ist eine Grundfunktion christlicher Existenz, die
natürlich in der Predigtarbeit nicht fehlen darf. Die Erfahrung des
deus absconditus und revclatus sowie die Unterscheidung von Gesetz
und Evangelium sind Kernstücke der dogmatischen Predigtfundie-
rung. Unter ethischem Aspekt erweisen sich viele Appelle in Predigten
als Schcinkonkrelionen. „Der große Rundumschlag im Bereich
der ethischen Probleme ist vom Hörer nicht ernsthaft aufzunehmen"
(329). Abstrakte und unrealistische Handlungsanweisungen schaden
ebenso wie die „hybride Allzuständigkeitsvorstcllung", die Prediger
auf die Gemeinde übertragen. Politische Streitfragen hat der Prediger
so zu artikulieren, „daß die anwesenden Gcmeindegliedcr, die einer
gegenteiligen Meinung sind, sich in seinen Äußerungen wiederfinden
können" (342). „Wer den Kompromiß schmäht, zeigt seine Unbildung
im Bereich des Politischen" (343).

Die sog. materiale Homiletik hat Hirschler exemplarisch eingefügt,
sie läßt sich über das Register finden. So wird die Passionspredigt beim
erklärenden Erzählen bedacht (183-191). die Erntedankpredigt im
Zusammenhang des alltäglichen Sachverstands und seiner Bedeutung
für die Wirklichkeitsexegesc. Beiträge zur matcrialen Homiletik enthalten
auch die Prcdigtbeispiele. die überwiegend von Hirschler selber
stammen.

„Der Gemeindebezug biblischer Predigt" ist Inhalt des dritten
Teiles, doch es gehört zu den Stärken dieser Homiletik, daß die
Wechselbeziehung von Gemeinde und Predigt durchweg präsent ist.
Die ekklesiologische Dimension der Homiletik kommt kräftig zur
Geltung. Der Für das ganze Buch kennzeichnende reformatorische
Ansatz ist hier besonders deutlich: Die notae ecclesiac nach CA VII
bedürfen keiner Ergänzung. Die Früchte des Glaubens sind selbstverständliche
Wirkung des Wortes Gottes. Diakonie scheint von daher
kein zu forderndes Wesensmerkmal der Kirche zu sein. Hier liegt
doch wohl die Gefahr vor. daß der wechselseitige Zusammenhang von
Wort- und Talzeugnis dogmatisch unterlaufen wird, was gewiß nicht
in Hirschlers Sinn wäre, zumal er selber feststellt: „Die überzeugendste
Form christlicher Präsenz in unserer Welt ist die Diakonie"
(471).

Bei aller Hochschätzung der Predigt sieht Hirschler die Grenzen
ihrer Möglichkeiten: „Selbst die hervorragendste biblische Predigt
wird am Gottesdienstbesuch nichts Wesentliches ändern" (404).
Deshalb muß die Predigt in den Gemeindeaufbau einbezogen werden.
Die Bedeutung des Amtes bedenkt Hirschler im Rahmen der „Verantwortung
der Gemeinde für die Predigt". Zum Gemeindebezug der
Predigt gehört, daß die kommunikationstheoretischen Erkenntnisse
beachtet und die Probleme der Prediger ernst genommen werden. So
linden sich unter dieser Überschrift viele gute pastoraltheologische
Ciedanken. Gründlich wird das Verhältnis von Predigt und Gottesdienst
bedacht. Der Gottesdienst „ist die Mitte unseres sonst vielfältigen
Gemeindelebens" (387). „Die Predigt soll das die Gemeinde
zentrierende Wort sein" (386). Als Hörer werden aber nicht nur die
Glieder der Kerngemeinde, sondern auch die distanziertcren Teilnehmer
bedacht.

„Die Gestaltung biblischer Predigt" wird im Schlußteil relativ kurz
behandelt (529-581). doch enthalten die anderen Kapitel bereits viele
methodische Hinweise. Die Sprache der Predigt, ihre Gliederung.
Schritte der Vorbereitung und der Predigtvortrag, der frei vom Konzept
erfolgen soll, werden berücksichtigt. „Die Predigt darf nicht langweilig
sein" (549), das ist psychologisch eins der Hauptziele dieser
Homiletik, die den Leser davon überzeugen möchte, daß eine gut erarbeitete
, biblisch fundierte Predigt nicht langweilig ist.

Diese Zuversicht wirkt überzeugend, zumal die ganze vorliegende
Homiletik trotz ihres Umlängs nicht langweilig ist. Einige Redundanz
hätte freilich vermieden werden können, und die wichtigen Impulse
dieses dankbar zu begrüßenden Buches kämen wohl noch stärker zur
Geltung, hätte der Autor etwa 100 Seiten eingespart. Es ist aber zu
hoffen,daß die Leser sich vom Umläng nicht abschrecken lassen, sondern
die dargebotenen Hilfen annehmen, entschlossener biblisch zu
predigen oder als Hörer „selbstbewußter nach biblischer Predigt zu
fragen" (10).

Halle (Saale) Fherhard Winklcr

Wendel. Ernst Georg: Studien zur Homiletik llictrich Bonhoeffers.

Predigt - Hermeneutik - Sprache. Tübingen: Mohr 1985. XIII,
256 S. gr. 8' = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 21.
Lw. DM 98.-.

BonhoetTer hat keine „Homiletik" hinterlassen. Was wir in den Gesammelten
Schriften (GS IV. 237ff) als sog. Finkenwaldcr Homiletik
besitzen, ist die Rekonstruktion E. Bethges aus sieben Nachschriften
einer Vorlesung, die BonhoelTer in sechs Kursen des Predigerseminars
der Bekennenden Kirche zwischen 1935 und 1940 gehalten hat. Wert
und Grenzen des Ergebnisses treten, auch aufgrund der inzwischen
zugänglichen Nachschrift von G.Krause (t 1982) aus dem Kurs
1936/37, mit dem vorliegenden Buch von E. G. Wendel erstmals voll
zutage(8-10;bes.Anm.27).

Bonhoeffer- und das ist weniger bekannt - hat „63 Predigten" hinterlassen
, „von denen bislang 56 (seil, in GS IV und V) veröffentlicht
wurden . . . Mit je ca. 15 Predigten sind die Zeilabschnitte Barcelona.
Berlin. London (seil. 1928-1935) gegenüber 9 Predigten aus der Fin-