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Ausgabe:

1988

Spalte:

846-847

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Pesch, Otto Hermann

Titel/Untertitel:

Dogmatik im Fragment 1988

Rezensent:

Raiser, Konrad

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Theologische Lilcraturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 1 I

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von seinem konkreten und kontingenten "actual life in which the
essence is progressively embodied" (S. 591) unterscheidet und einen
entsprechend modifizierten Begriff der Vollkommenheit Gottes (Gott
kann, aber nur von sich selbst, übertrofTen werden S. 592) dem ontolo-
gischen Argument zugrundelcgt.

Der das Buch abschließende Reigen weiterer moderner theologischer
und philosophischer Entwürfe signalisiert entweder das Problem
des Absoluten (Henrich, Pannenberg, Wagner), oder führt die
Destruktion des klassischen Rationalismus weiter (Popper, Luhmann,
die Positionen der „Intcrsubjektivität": Thcunissen, Habermas,
Apel). Vf. bringt seine Referate hier gar nicht mehr explizit mit dem
ontologischen Argument zusammen.

Was also hat die Arbeit erbracht? Vf. bietet zugleich zu viel und zu
wenig: zu viel Material (auch solches, das in der Sache nicht weiterführt
, und oft Erläuterungen, die nur der Anfänger braucht) und zu
wenig Orientierung in der f ülle. ..Theologie und Metaphysik" hätten
als programmatische Titel sogleich Erläuterungen verlangt, denn in
diesem Paar ist jedenfalls ..Theologie" doppeldeutig mindestens: das
Reden von und Nachdenken überGotl unter dem Anspruch der biblischen
Texte einerseits und das dem griechischen Logos folgende
Reden - und Schweigen vom Göttlichen in uns und über uns andererseits
. Die Geschichte des ontologischen Arguments ist der Zusammenstoß
beider Traditionen, in dem sie sich wechselseitig verschlingen
und weitertreiben. Der Gegensatz von Rationalismus und Antira-
tionalismus ist hier deshalb unangebracht, weil sich in dieser
Geschichte „Rationalität" selbst wandelt. Das vom Vf. präsentierte
Material läßt z. B. deutlich ins Auge springen den Unterschied zwischen
der präsentischen Ontologie der Griechen, die ihre Rationalität
aus der teleologischen Ordnung der Wesenshierarchie bezieht, und
der protologischen Ontologie der creatio ex nihilo, die ihre Rationalität
an der göttlichen Welterzeugung und der effektiven Welterhaltung
Gottes bemißl. Vf. sieht ganz zutreffend: „Auf dem Boden der aristotelischen
Philosophie läßt sich keine Schöpfungstheologie konstruieren
, die mit dem Gedanken einer creatio ex nihilo arbeitet. Und man
wird die vom Judentum. Christentum und Islam gleichermaßen
geteilte Auffassung, daß Gott die Welt aus dem Nichts erschaffen hat,
als den eigentlichen Grund für die Unterscheidung von Essenz und
Existenz betrachten müssen" (S. 57). Genauer wandelt sich der eideti-
sche Vorrang des eidos vor der hyle zum Vorrang der essentia in
mente Dei vor der essentia extra mentem Dei. um Campanellas Fassung
des Problems zu zitieren (cf. S. 1830. die existentia extra mentem
Dei aber kann entweder, vom Standpunkt Gottes aus, als accesso-
rium verstanden werden, oder, vom Standpunkt des mit Gottes
Absichten nicht vertrauten Menschen, als das kontingent Gegebene,
das Faktische, auf das er seine Hypothesen bezieht. Der mit dem „ens
perfectissimum" angesprochene Zusammenhang gehört ursprünglich
in die Rationalität der Wesenshierarchie, während ens necessarium
sehr verschieden entweder aus demselben Zusammenhang oder aus
der Kontingcnz der Welt und einem auf sie bezogenen menschlichen
Verstand her begriffen wird. Das Problem der Gottesbeweise aber
wandelt sieh fundamental im Wandel dieser Konstellationen. Henrich
hat in seinem Buch den Wandel des Wirklichkeitsverständnisses m
den neuzeitlichen Diskussionen des ontologischen Arguments aufgewiesen
. Daran hätte Vf. auch explizit anknüpfen sollen.

Vf. nennt in seiner Einleitung auch eines der Probleme, die eine
christliche Theologie mit dem Gottesbegriff eines ens necessarium
hat: das Apathieaxiom. Ebenso fundamental ist das mit dem Projekt
„Gottesbeweis" selbst gestellte Problem, da doch (nach Jacobi) ,.,die
Überzeugung durch Beweise' nur eine .Gewißheit aus zweiter Hand'"
ist (S. 352). Warum überhaupt nimmt sich Anselm jenes Toren an, da
er doch gar nicht von Gottesleugnern umgeben war?

Jene philosophischen und diese theologischen Probleme in der
Geschichte des ontologischen Arguments zu verfolgen wäre des
Schweißes der Edlen wert, eine Aufgabe, zu der diese Arbeit hinreichend
Material präsentiert. Sic würde aber ganz andere Koalitionen
aufdecken, als die Alternative Rationalismus und Antirationalismus

zuläßt. Es geht z. B. sowohl den nominalistischen Kritikern der (rot-
tesbeWeise als auch Hegel, dem Erneuerer der Gottesbeweise, die er
aber als Selbstcrweise Gottes interpretiert, als auch dem „Antirationa-
listen" Barth und wohl auch Hartshorne in je verschiedener Weise
darum, Gottes Freiheit denkend zu entsprechen.

Der Schluß der Arbeit vergleicht den postmodernen Dekonstrukti-
vismus mit dem spätscholastischen Nominalismus: „Das Verhältnis
des absoluten Grundes zu den kontingenten Strukturen ist somit vergleichbar
dem zwischen der potentia absoluta Gottes und der (sie)
weltlichen ordo bei Wilhelm von Ockham" (S. 638). In der Tat hat das
neuzeitliche Wirklichkeitsverständnis eine theologische Vorgeschichte
. Sie fordert den Theologen zu einer theologischen Theologiekritik
heraus. Barths Theologie wollte auch die Kritik einer Theologie
des willkürlichen Gottes leisten. Sie zielte damit auf einen Rationalitätsgewinn
, den Vf. wohl eher von einer menschliche Subjektivität
begründenden Theorie des Absoluten erwartet. Wie aber läßt sich das
absolute Subjekt vor dem Verdacht schützen, ein bloß subjektives
Absolutes zu sein?

Blankenfelde Riehard Schröder

Pesch, Otto Hermann: Dogmatik im Fragment. Gesammelte Studien.
Mainz: Grüncwald 1987. 442 S. 8°. Kart. DM 48,-.

Der Vf., der am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität
Hamburg katholische Systematische Theologie und Kontrovers-
thcologic lehrt, ist zweifellos einer der kompetentesten und verläßlichsten
Ökumcniker unter den nachkonziliaren katholischen Theologen
im deutschen Sprachraum. Als Schüler von Heinrich Fries hat
ersieh vor mehr als zwanzig Jahren mit seiner umfassenden und bahnbrechenden
Dissertation zur „Theologie der Rechtfertigung bei Martin
Luther und Thomas von Aquin" (Mainz 1967.: 1985) eingeführt.
Seine Reputation als Kenner und minutiöser Interpret nicht nur der
Scholastik, sondern auch der Theologie Luthers, hat er seither in einer
Reihe weiterer Veröffentlichungen untermauert (vgl. z. B. seine
Bücher „Hinführung zu Luther", Freiburg21983 und „Gerechtfertigt
aus Glauben. Luthers Frage an die Kirche", Freiburg 1982). Auch in
seinen ausdrücklich ökumenisch-theologischen Stellungnahmen aus
neuerer Zeit (vgl. Heinrich Fries/Otto Hermann Pesch, Streiten für
die eine Kirche, München 1987, s. ThLZ I 13, 1988, 552) steht die
Interpretation der Rechtfertigungslehre als Verweis auf die „Mitte des
Evangeliums" im Zentrum des Nachdenkens. Daneben hat Pesch sich
in einer Vielzahl von allgemeinverständlichen Schriften als sensibler
und den Fragen der Zeitgenossen zugewandter Interpret des christlichen
Glaubens erwiesen.

Diese Verbindung von differenzierter fachwissenschaftlicher Argumentation
mit ökumenischer Weite und pastoralem Einfühlungsvermögen
kennzeichnet auch die hier gesammelt vorgelegten Studien
aus den Jahren 1967-1986. Unabhängig voneinander verfaßt, meist
für Vorträge und an verschiedenen Stellen veröffentlicht, waren sie
nicht von vornherein auf eine systematische Zusammenordnung hin
konzipiert. Dennoch handelt es sich nicht nur um einen weiteren
Band mit gesammelten Aufsätzen. Der Titel „Dogmatik im Fragment
" (ein glücklicher Einfall!) ist voll und ganz berechtigt. Trotz des
zeitlichen Abstandes zwischen der Entstehungszeit der einzelnen
Kapitel wird ein gemeinsamer systematischer Ansatz erkennbar, der
sich von Anfang an durchhält. So ist der Entwurf einer Dogmatik in
Form von Einzelstudien zu ökumenisch besonders wichtigen und
strittigen Fragen der Lehrtradition entstanden, der gerade darin seinen
Reiz hat, daß er vieles an ermüdendem, dogmatischem „Stoff" ausspart
und statt dessen das Ganze der Dogmatik im Brennpunkt von
faszinierenden Detailuntersuchungen entfaltet. Von ganz besonderem
Wert für den fachtheologischen Leser sind die Anmerkungen, die sich
immer wieder als eine Fundgrube erweisen.

Der Band beginnt mit einem Kapitel über die Prolegomena, einer
Dogmatik entfaltet anhand der unvermeidlichen, aber problemati-