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Ausgabe:

1988

Spalte:

835-836

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Nicolaus de Cusa, Nicolai de Cusa de Beryllo 1988

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 11

836

mus. M. bleibt beim Vulgata-Text, übernimmt auch nicht dessen
,,Sermo" statt „Verbum" (Joh 1,1), er korrigiert ihn sogar (bes. 130).
Unberührt davon bleibt der von Erasmus gelernte rhetorische Zugang
zum Text, besonders die Loci. Maurers Scheidungsversuche zwischen
ethischen Loci dort und theologischen hier werden überzeugend abgelehnt
. M.s Benutzung von Faber Stapulensis ist fraglich. Durch seine
hier geübte philologische Abstinenz erscheint M. weniger humanistisch
als Erasmus und Faber.

In Kap. 6 untersucht W. die Beziehung von M.s Johannes-
Kommentar zu Luther. Notiert sei Luthers Rolle als Tradent patristi-
scher Tradition (147ff), kaum überraschend ist M.s durchgängiges
Aufspüren oder Eintragen von Hauptanliegen Luthers: die Einfachheit
(152) und Gewißheit der Schrift (153fT); die Unterscheidung von
Gesetz und Evangelium (I 55ff); der Gegensatz von Glaube und Vernunft
(158 IT), bes. angesichts Kreuz und Rechtfertigung (160fT). Deutlich
sind auch M.s Interessen: Heilsgewißheit, die Funktion des Gesetzes
nach der Rechtfertigung, die praktische Applikation der Kreuzestheologie
und ein kognitives Moment der Rechtfertigung.

Durch Kap. 7 allein wäre W.s Buch schon lesenswert. Es arbeitet
die von M. in den Frühschriften über Rhetorik und Dialektik aufgestellten
Postulate sachgerechter Interpretation heraus und führt den
Johannes-Kommentar als Probe aufs Exempel vor: Rhetorik und
Logik im Evangelium selber (bei Jesus und dem Evangelisten), dann in
dessen Analyse und endlich in deren Organisation als Vorlesung. Die
Unentschlossenheit der M.-Forschung gegenüber der AMegorese
müßte nach dem I75ff, 180ff, bes. 195 fT Gesagten ein Ende haben,
ebenso die Hilflosigkeit gegenüber den Loci (182fF); hier ist endlich
die bahnbrechende Arbeit Siegfried Wiedenhofers („Formalstrukturen
", 1976) rezipiert (183).

Kap. 8 eröffnet einen Ausblick auf die Kommentare von Bullinger,
Zwingli und Brenz.

W.s Buch überzeugt durch Sorgfalt der Methode, Reichtum des
Ertrags und Vorurteilslosigkeit der Bewertung. Wer verarbeitet W.s
Funde zu einer wirklichen Edition?

Zum Schluß ein Monitum: Entgegen 125 schreibt M. nicht mit Erasmusfauf
..Sermo" bezogen) ..plenus". sondern mit Vulg. (auf,.Verbum" bezogen),,Plenum
" gratia et veritate (Vulg.: gratiae et veritatis)-jedenfalls im CR: „plenus"
könnte sich auch gar nicht direkt an den „Einziggebornen" anschließen, da
„Unigentti" eine Apposition im selben Kasus verlangt.

Sehr in Kontrast zu der Ausstattung des Bandes stehen die Druckfehler - ich
zähle, ohne auch nur einen Bruchteil der Stellenangabcn in den Fußnoten und
die Anhänge überprüft zu haben, über 30; S. 43 fehlen gar die Anm. 39 und 40
völlig.

Heidelberg Richard Wetzel

Dogmen- und Theologiegeschichte

Nicolai de Cusa: Opera Omnia iussu et auetoritate academiae littera-
rum Heidelbergensis ad codicum fidem edita. XI, 1: De Beryllo.
Editionem funditus renovatam atque instrauratam curavirunt J. G.
Senger et C. Bormann. Hamburg: Meiner 1988. XL, 148 S. 4
DM 160.-.

Auch in „De beryllo" geht es Nikolaus von Kues (NvK) um sein
Grundthema, die coincidentia oppositorum; auch diese Schrift drückt
sein Suchen nach Gotteserkenntnis aus. In Auseinandersetzung mit
anderen Denkern und in Verwendung mathematischer Beispiele versucht
er zu erläutern, wie die Vielfalt des Verstandeswissens in eine
alles zusammenfassende Einsicht der Vernunft einmünden kann. So
möchte NvK mit seiner „Methode" zu bisher unerschlossener
Erkenntnis führen. In n. 3 erläutert er. was er mit der Schrift beabsichtigt
: „Der Beryll ist ein leuchtender, weißer und durchsichtiger Stein.
Gibt man ihm eine zugleich konkave und konvexe Form und schaut
durch ihn. beobachtet man, was zuvor einem unsichtbar war. Wenn
nun den geistigen Augen ein vernunftgemäßer Beryll (beide Male
„intellectualis") angepaßt wird, der zugleich die größte und kleinste
Form hat, wird durch seine Hilfe („medium") der unteilbare Ursprung
aller Dinge beobachtet. Aufweiche Weise dies geschieht, lege
ich mit größtmöglicher Klarheit dar." In n. 7 zitiert NvK Hermes
Trismegistos: „Der Mensch ist ein zweiter Gott", und fährt fort:
„Denn wie Gott der Schöpfer der wirklich seienden (Dinge) und der
natürlichen Formen ist, ist der Mensch der Schöpfer der verstandesmäßig
seienden (Dinge) und der künstlichen Formen; sie sind nichts
anderes als Ähnlichkeit seiner Vernunft, so wie Gottes Geschöpfe
Ähnlichkeiten der göttlichen Vernunft sind. So hat der Mensch seinen
Verstand (intellectus), der eine Ähnlichkeit der göttlichen Vernunft
ist, in (seinem) schöpferischen Tun." In n. 69fgeht NvK von Protago-
ras aus, daß der Mensch das Maß aller Dinge sei: „Aus der Natur
seiner Sinneserkenntnis weiß der Mensch, daß das Sinnenhafte um
seiner menschlichen Natur willen da ist. Er mißt das Sinncnfällige,
um sinnenfällig die Herrlichkeit des göttlichen Verstandes begreifen
zu können. ... So wird die Lehre des Evangeliums immer offenbarer,
die als Ziel der Schöpfung setzt, daß ,der Gott der Götter in Zion' in
der Majestät seiner Herrlichkeit gesehen wird. Sie ist die Offenbarung
des Vaters, in ihr ist alles Genüge." Und unser Erlöser sagt, aufweiche
Weise ersieh an jenem Tage zeigen wird. „Diese Offenbarung ist so zu
verstehen, wie wenn einer mit einem Blick den Verstand Euklids sähe
und damit zugleich seine Kunstfertigkeit, die Euklid in seinen .Elementen
' ausführt. So ist der göttliche Verstand die Kunstfertigkeit des
Allmächtigen, durch welche er die Generationen, jedes Leben und
jeden Verstand geschaffen hat. Diese Kunstfertigkeit erläßt zu haben
. . . bedeutet, die Gotteskindschaft und das Erbe des unsterblichen
Reiches erworben zu haben. Wenn der Versland diese Kunstfertigkeit
in sich haben wird, die Leben und ewige Freude schafft, so hat et
letztes Wissen und Glück erhalten."

Bereits 1940 hatte L. Baur „De beryllo" ediert. K. Bormann hatte in
den Mitteilungen und Forschungsbeiträgen der Cusanus-Gesellschalt.
Heft 10, auf eine vierte, bisher unbekannte Handschrift aufmerksam
gemacht.

In einer Praefatio (IX-XXXI) geben die Editoren Rechenschaft über
ihre Tätigkeit. Sie geben Auskunft über Ort und Zeit der Abfassung
der Schrift, über die Textzeugen und sie begründen die Festsetzung
des Textes; nicht nur die Codices, sondern auch die frühen Druckausgaben
sind berücksichtigt. Wie auch schon in früheren Bänden der
Opera omnia, so sind auch diesmal wieder reichhaltige Annotationen
beigegeben (89-116), die auf Parallelen hinweisen und all das bringen,
was um der Lesbarkeit willen im kritischen Apparat nicht aufgenommen
werden kann. So bringt etwa adn. 9 (S. 106) Quellen und Parallelen
zu n. 7, zu den Aussagen über den Menschen als „zweiten Gott".
Auf diese Annotationen wird jeweils im kritischen Apparat hingewiesen
. Dieser ist selbst wieder viergeteilt. Der erste gibt die Textvarianten
an, der zweite weist die Quellen auf, aus denen NvK
schöpft, der dritte bringt Parallelen aus dem cusanischen Schrifttum,
der vierte verzeichnet die Bezeugungen, die der Text im nacheusani-
schen Schrifttum erfahren hat. Fünf Indices sind beigegeben. Wenn
diesmal ein Wortregister fehlt, ist das kein Schaden. Es liegt jedenfalls
eine Ausgabe vor, die allen Ansprüchen voll gerecht wird. Es lohnt
sich, sich mit der Schrift zu befassen, möge dazu die vorliegende Ausgabe
reichlich benutzt werden.

Freiberg Karl-Hermann Kandier

Ruhbach, Gerhard: Theologie und Spiritualität. Beiträge zur Gestalt-
werdung des christlichen Glaubens. Göttingen: Vandcnhocck &
Ruprecht 1987.268 S. gr. 8 Kart. DM 34.-.

29 Aufsätze legt der bekannte Vf. vor. neun davon zum ersten Mal-
Die beiden Begriffe des Titels bezeichnen zwei Wirklichkeiten, die
mindestens seit der Aufklärung den Kontakt miteinander zunehmend
verlieren und darum so gut wie gar nicht aufeinander wirken. Wissenschaftliche
Theologie mag das wenig anfechten, doch der Vollzug
christlicher Religion sieht sich u. U. auf unbefriedigende Wege
gedrängt. Vf. denkt einleitend an einen Mann wie Guardini, der es