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Ausgabe:

1988

Spalte:

823-825

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Barrett, Charles K.

Titel/Untertitel:

Church, ministry, and sacraments in the New Testament 1988

Rezensent:

Roloff, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 11

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Stuhlmacher es suggeriert, und ihn deutlich vorausgesagt, ist dann das
völlige Versagen der Jünger, die sich nicht einmal um die sehr wichtige
Pietätspflicht der Bestattung kümmern, verständlich? Warum
erscheint Jes 53 so spät als wirkliches Zitat? Warum ist außerhalb von
Mk 10,45 (bei Lukas und Johannes fehlend) und 14,24 (bei Lukas/
Paulus, deren Form mir immer noch die ältere zu sein scheint, wenn
auch nicht in sprachlichen Einzelheiten, abgeschwächt) nichts von
dieser zentralen Aussage in den Synoptikern zu finden? Liegt darin
nicht wieder dieselbe Zurückhaltung Jesu, die andeutet, daß das
Geheimnis seines Todes alle vorhandenen Sprachmöglichkeiten
sprengt und daher auch nachösterlich in sehr verschiedenen Formen
ausgedrückt werden muß? Ob man vom „Versühner" (S. 36, vgl. 57,
75) reden soll, fragt sich. „Sühne" und „Versöhnung" ähneln sich nur
im Deutschen, werden aber hellenistisch und jüdisch kaum je miteinander
verbunden (vgl. J. C. Breytenbach, KATALLAGE [im
Druck]). In den Evangelien findet sich weder der Stamm lülask- noch
katallass- (Mt 5,24 dialass- zwischenmenschlich). Paulus verwendet
beides, verbindet aber nicht direkt (am ehesten Rom 5,90- Auch wenn
sich beide Vorstellungen theologisch nicht widersprechen, sollten wir
sie doch auseinanderhalten. Schließlich ist mir wahrscheinlicher
(wenn auch unbeweisbar), daß Jesus am Vortag des Passa starb. Die
spätere Verlegung auf das Fest ist denkbar, weil das Herrenmahl an
die Stelle des Passa trat wie die Taufe an die der Beschneidung
(Kol 2,11). Mk 14,2 kann man kaum übersetzen: „fern von der Festmenge
" (S. 70); ich kenne dafür nur einen Beleg bei Plotin im
3. Jh. n.Chr., und 15,6 bedeutet das Wort sicher „Fest". Mk 14,2
beweist freilich nicht, daß es dann nicht doch am Fest geschah. Außerdem
sind Passagedanken auch am Vorabend lebendig, und eine
essenische Sonderdatierung (E. Ruckstuhl: Studien zum NT und
seiner Umwelt 10, 1985, 52-56) ist auch nicht ausgeschlossen. Daß
vom Lamm nie die Rede ist und das Passa nur Mk 14,12-16. wegen
seiner Parallele zu 11,1-6 und dem Neuansatz in V. 17 nicht gerade
vertrauenerweckend, erwähnt ist, bleibt trotz allem dazu Gesagten
merkwürdig. Daß Joh 6,51 b-58, das ich auch eher (wie Joh 3,5 neben
3,3) als aufgenommene Tradition ansehe denn als spätere Glosse,
„recht genau dem urchristlichen Verständnis dieses Mahles. . . entspricht
" (S. 93), bleibt mir trotz 6,63 doch fraglich; auch daß das
schöne und richtige Verständnis dieses Mahls als „Wegzehrung
des . . . wahren Israel auf seinem irdischen Zeugnisweg zum Jüngsten
Tage" sich gerade auf Johannes berufen kann, leuchtet nicht recht ein;
die eine unklare Stelle 14,3 und eventuell übernommene Wendungen
in 6,39f reichen als Basis dafür doch wohl nicht aus.

Es ist Stuhlmacher zu danken, daß er gerade gegenüber konservativ
eingestellten Kreisen das Recht historisch-kritischer Forschung verteidigt
und zugleich zeigt, daß diese keineswegs den Glauben zerstört,
sondern befruchtet. Ich habe manches von ihm gelernt, und er ist doch
einer der Neutestamentier, der mit sich diskutieren läßt, auch wenn
einer wie der Verfasser dieser Besprechung sehr viel kritischer
bleibt.

Zürich Eduard Schweizer

Barrett, C. K.: Church, Ministry, and Saeraments in the New Testament
. Exeter: Paternoster Press 1985. 110 S. 8' = The 1983
Didsbury Lectures.

Formal ist diese Sammlung von vier Vorlesungen eine historischexegetische
Studie, die zentrale Probleme frühchristlicher Ekklcsiolo-
gie allgemeinverständlich darstellt; der Sache nach jedoch ist sie, wie
das Vorwort deutlich zu verstehen gibt, eine kritische Auseinandersetzung
mit Trends und Tendenzen der gegenwärtigen ökumenischen
Diskussion. Deren Konzentration auf die ekklesiologische Schiene,
wie sie paradigmatisch in den Konvergenzerklärungen von Lima über
„Taufe, Eucharistie und Amt" erfolgt ist, hält Barrett für einen Irrweg.
Dafür, daß unter seiner wesentlichen Mitwirkung der Versuch der
Vereinigung der Kirche von England mit der Methodistenkirchc, der

er selbst angehört, auf der Basis einer Verständigung über Fragen der
Ekklesiologie und des Amtes, zum Scheitern gebracht wurde, gibt er
hier gewissermaßen Rechenschaft. Mit seinem Protest, der freilich
ohne jedes Wort einer direkten Polemik auskommt, macht sich
Barrett zugleich zum Sprecher jener Kirchen des „linken" protestantischen
Spektrums, die sich traditionell mit Institution. Sakrament
und Amt theologisch schwer tun und sich darum von der gegenwärtigen
ökumenischen Entwicklung mit ihrer Betonung dieser „katholischen
" Themen übergangen bzw. an den Rand gedrängt fühlen.

Barrett begegnet jedem theologischen Reden über die Kirche mit
einem grundsätzlichen Mißtrauen, das er durch das Neue Testament
selbst genährt und bestätigt sieht. Denn im Neuen Testament sei die
Kirche eine „eschatologische Monstrosität" (15), die sich geschichtlich
-empirisch nicht festmachen lasse: nicht mehr das Gottesvolk des
Alten Bundes, und noch nicht die Gemeinschaft der Vollendeten in
der neuen Schöpfung der Endzeit. Sie lasse sich theologisch allenfalls
bestimmen als eine Funktion der Christologic, aber diese Bestimmung
bedürfte, um zu überzeugen, der historischen Verifikation durch den
Aufweis einer faktischen Kontinuität zwischen dem historischen
Jesus und der „historischen Kirche" (20). Eben diese Kontinuität sei
jedoch problematisch, da Jesuseine Existenz seiner Anhängerschaft in
einer durch die Jahrhundertwende weitergehenden Geschichte
schwerlich vorhergesehen hat. Sie sei ebenso menschlich, wie vorläufig
und provisorisch. Die beste der ihrgegebenen Möglichkeiten sei
die. daß sie durch ein Leben unter dem Kreuz das Wesen ihres Herrn
bezeugt.

Die Entwicklung der Ämter will Barrett als einen Vorgang sehen, in
dem das Urchristentum aus diesem interimistischen und vorläufigen
Charakter der Kirche Konsequenzen gezogen hat. Er deutet ihn gleichermaßen
pragmatisch und harmonistisch. Pragmatisch habe man
den Umstand, daß alle Glieder der Gemeinde gleichermaßen zum
Dienst berufen waren, mit der Tatsache, daß in der Gemeinde unterschiedliche
Gaben und Fähigkeiten existieren, zum Ausgleich gebracht
, indem man einerseits bestehende Unterschiede nicht nivellierte
, andererseits dafür Sorge trug, daß diese innerhalb einer
gewissen Toleranzbreite blieben. So waren „in den paulinischen
Gemeinden alle Glieder gleich; aber... einige waren gleicher als
andere" (37). Nicht die Ämter selbst werden also durch Paulus theologisch
begründet, Gegenstand theologischer Begründung ist lediglich
dieser Ausgleich. Das aber heißt, daß die Theologie hier lediglich die
Funktion des Korrektivs hat (39). Harmonistisch ist Barrens Sicht
insofern, als sie die vielfach von der neueren Forschung herausgearbeiteten
Differenzen unter den im Neuen Testament vertretenen
Ämterkonzeptionen herunterspielt beziehungsweise völlig bestreitet.
Paulus steht hier neben dem Verlässer des I. Petrusbriefes. Lukas
neben Johannes, insofern Barrett bei ihnen allen die Zuordnung der
Hirten- zur Zeugnisfunktion innerhalb des einen und selben Amtes
finden will. Ob es wohl ein Zufall ist, daß im Zusammenhang des
Ämtcrkapitels die Pastoralbricfc unerwähnt bleiben? Möglicherweise
hätte ihre Einbeziehung das schöne Bild des lückenlosen Konsenses
doch etwas „aufgerauht".

Eine ganz analoge Sicht will Barrett auch für die Sakramente plausibel
machen. Doch das geht nicht ohne kühne Hypothesen ab, die den
Bereich, innerhalb dessen heute zwischen Exegeten ein Konsens möglich
erscheint, verlassen. Ausgangspunkt ist eine eigenartige Variante
der alten Lietzmannschen Hypothese vom doppelten Ursprung des
Herrenmahls: In den paulinischen Gemeinden - vorab in Korinth -
hätten sich, anknüpfend an allgemeine religiös-soziale Mahlbegehungen
der heidnischen Umwelt, sakramcntalistisch verstandene und
darum theologisch fragwürdige Mahlriten entwickelt. Diese habe der
Pragmatiker Paulus in neuer Sinngebung theologisch interpretiert,
indem er sie in 1 Kor 1 1 mit dem (ursprünglich keineswegs auf Wiederholung
angelegten) letzten Mahl Jesu verglich. Analog wird die
Taufe als ein zunächst für das frühe Christentum völlig irrelevanter
gemeingesell schalt lichcr Initiationsritus verslanden, der-da ersieh in
den paulinischen Gemeinden fest etabliert und darum als unausrott-