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Ausgabe:

1988

Spalte:

821-823

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stuhlmacher, Peter

Titel/Untertitel:

Jesus von Nazareth - Christus des Glaubens 1988

Rezensent:

Schweizer, Eduard

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Theologische Literaturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. I 1

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von ihm verfolgten synchronisch angelegten Paulusinterpretation
hoch ein. Trotz seiner starken Betonung der Synchronie will er aber
die Bedeutung der Diachronie nicht leugnen: .....für die Herausarbeitung
einer auch unter dem Aspekt der Geschichtlichkeit vertretbaren
Zusammenschau der theologischen Konzeptionen des
Neuen Testaments" sei es „noch wichtiger, auf die Diachronie von
primär synchronisch erarbeiteten Gesamtkonzeptionen zu achten"
(S. XXV). Woran aber Th. alles zu liegen scheint, ist weniger das Verhältnis
von Synchronie und Diachronie als vielmehr der u. a. von
//. Frankemölle, Biblische Handlungsanweisungcn, Beispiele pragmatischer
Exegese, Mainz 1983. entlehnte Ansatz der biblisch-pragmatischen
Exegese, mittels derer er „innerhalb des Auslegungsvorgangs
die Kommunikationssiluationen bzw. -Vorgänge zwischen den
Autoren des Neuen Testaments einerseits und ihren jeweiligen
Adressaten . .. andererseits zur Geltung bringen" will (S. XXVIII).

Da erst vom geplanten 2. Band deutlich werden wird, wie Th. das
von ihm im I. Band Gesagte jetzt versieht - übrigens ein hermeneu-
tisch nicht uninteressantes Problem: ein Autor in der diachronen
Distanz zu sich selbst, der den Leser auffordert, ihn aus dieser Distanz
zu lesen -, verzichte ich heute auf eine inhaltliche Besprechung des
Corpus des hier zu rezensierenden Buches und verschiebe sie auf die
Rezension des 2. Bandes, um dann eine Gesamtwürdigung zu geben.
Th. will im 2. Band vom biblisch-pragmatischen Ansatz her die
Rechtfertigungslehre darstellen. Zum Schluß dieses 2. Bandes soll
auch ein Kapitel über die Entwicklung der paulinischen Theologie
stehen. Der Rez. gesteht, daß er aus verständlichen Gründen an
diesem Kapitel interessiert ist; aber vielleicht ist es auch deshalb allgemein
von größerem Interesse, weil der Autor hier „das Zusammenspiel
von Synchronie und Diachronie auf die Gesamtkonzeptionen
einzelner Briefe bzw. Briefgruppen hin auszuweiten" versuchen will
(S. XXIV).

Göttingen Hans Hühner

' Z. B. bei J. Blank. Paulus und Jesus. Eine theologische Grundlegung
(StANT 18). München 301: ..Die ,C hristozentrik* ist, wie Th., Per Christum in
Deum, zutreffend gezeigt hat. auf Gott bezogen, sie ist .Thcozentrik'."

Stuhlmacher. Peter: Jesus von Nazareth - Christus des Glaubens.

Stuttgart: Calwer 1988. 107 S. 8 Kart. DM 16,80.

Je älter ich werde, desto bedrückender - manchmal auch befreiender
- wird die Einsicht, wie vieles wir nicht wissen. W. Schmithals
z. B. hält einzig die zeitlich und örtlich sehr begrenzte Vorstufe von Q
für ein noch einigermaßen die vorösterliche Zeit repräsentierendes
Zeugnis, so daß wir so gut wie nichts über Jesu Verkündigung wissen
(Einleitung in die drei ersten Evangelien, Berlin (West) 1985, 4030-
Stuhlmacher sieht nicht nur in den umstrittenen Stellen Mk 10,45;
14,24, sondern auch in den Erscheinungsberichten von Emmaus und
dem See Gcnezaret zuverlässige Tradition. Nun ist sein Bild von der
urchristlichen Entwicklung sicher möglich und mir sogar sympathisch
, weil es weithin dem Vor-Urteil entspricht, das ich von dem
habe, was Christusglaube und Kirche sein sollten. Aber gerade darum
habe ich auch kritische Fragen.

Oberthema der drei Aufsätze, von denen der erste noch unveröffentlicht
war, ist die Frage, wie weit Jesu Verhalten vor Ostern dem
entspricht, was der nachösterliche Glaube bekennt (S. 9-10).

! Jesus von Nazareth als Christus des Glaubens (S. 11-46). Glaubensbekenntnisse
wie 1 Kor 15,3-8 und 1 Tim 2,5f sehen in der Passion
, im gottgewollten Opfertod Jesu (S. 15), den Höhepunkt der Sendung
Jesu. Schon aufgrund der Unterschiede der Evangelien ist aber
„kritische historische Arbeit... unerläßlich" (S. 17, auch 48 mit
Anm. 5: Notwendigkeit diachronischer Betrachtung), wobei das NT
nie ohne das AT existiert hat. Die Zusammenfassung der Botschaft
zeigt, daß „Jesus selbst für den Glauben an ihn als den Mittler Gottes
die Spur gelegt hat" (S. 26). Er hat sich selbst als „Menschensohn-

Messias" bezeichnet und Petrusbekenntnis wie Hohenpriesterfrage
nach seiner Messianität bejaht (S. 27, 29). Neu ist aber die Verkündigung
seines Leidens (S. 30). Die „messianische Zeichenhandlung" der
Tempelreinigung weist auf das Ende des Kults und den Bau des endzeitlichen
Tempels (S. 320- Erst recht fordert die Ansage der Erhöhung
Jesu zu Gott und seines Kommens als Weltenrichtcr (Mk 14.62.
S. 34) den Widerstand heraus. Seinen kommenden Tod hat er als
Heilstod Tür die Vielen gedeutet (Mk 10,45; 14,24, S. 350- Ostern
zeigt, daß Gott - trotz Dtn 21,22 f- ihm Recht gegeben hat (S. 360.

2. Warum mußte Jesus sterben? (S. 47-64). Er hat alle vor den
Kopf gestoßen (S. 49), weil seine messianische Sendung sein Verhalten
prägte (S. 51). Die Interpretation seines Sterbens als Heilstod

könnte durch Jes43,4 (in IQIsa: ..... werde ich den Menschen an

deiner Statt dahingehen", das konnte individualistisch verstanden
werden) mitgeprägt sein (S. 53). Kultische Sühne ist dabei von Gott
geschenkte Möglichkeit, nie Beschwichtigung einer rachedürstigen
Gottheit (S. 54f; ein Taubenpaar ist ja in der Tat nie dem Erstgeborenen
äquivalent, anstelle dessen Gott es annimmt!). Jesu letztes Wort
ist Anfang des 22. Psalms, kein Verzweiflungsschrei (S. 56). Doch
muß das in unsere Zeit hinein übersetzt werden: da Jesus und NT fast
nur übertragen von Opfer und Sühne reden, wird man die opferbereite
Liebe Jesu zu Freunden und Feinden betonen (S. 57f).

3. Das neuteslamentliche Zeugnis vom Ilerrenmuhl (S. 65-105).
Angesichts der Ubereinstimmungen und Verschiedenheiten der
Berichte (S. 66-69) ist die Markuslorm als die wohl ursprünglichere
anzusehen, also die Datierung am Passa. Da dessen Ablauf bekannt
war, werden nur die Besonderheiten geschildert. Die Zwölf sind
Repräsentanten des Gottesvolkes, daher fehlen Frauen und Kinder
(S. 71 0- Nie vergleicht sich Jesus mit dem Passalamm (S. 73), wohl
aber gibt er Anteil an seiner Proexistenz (ebd., auch 64, A. 23), wobei
der Bundesschluß von Ex 24,8-11 prägend ist (S. 74-78). Nachösterlich
wird das Abschieds- zum Dankopfermahl des Auferstandenen
(H. Gese). inauguriert durch ihn selbst in Emmaus und am See Gene-
zaret (S. 78-81). Paulus unterstreicht den Gemeinschaftscharaktcr
(S. 81 -86), Joh 6,51 b-58 die anlidoketischc Bedeutung (ohne dabei
über I Kor 11,27-34 hinauszugehen)(S. 87-94).

Meine Fragen sind zunächst methodische; Daß kurz nach Jesu Tod
große Teile der zweiten Markushälfte geschrieben wurden (R. Pesch),
ist nicht unmöglich, aber auch nicht zu beweisen. Sieht man. wie miteinander
unvereinbare Erscheinungsberichte und Kindheitsgeschichten
entstehen, wie Geschichten weiterwachsen (Heilung des Knechts-
des Sohns des königlichen Beamten oder Erweckung des Lazarus in
voller Öffentlichkeit usf.). ist das große Zutrauen zur Tradition doch
nicht so leicht vollziehbar. Daß der Menschensohn schon eine Messiasgestalt
war, ist wiederum möglich, aber nur in den henochischen
Bildreden belegt, die schwerlich vorchristlich sind. Ich bin mit Stuhlmacher
darin völlig einig, daß Jesus mit einem Anspruch geredet,
gehandelt und gelitten hat, der weit über die Messiaserwartungen
hinausging. Eben darum ist es umso gewichtiger, daß er den Christus-
titcl nicht selbst in den Mund nahm, obwohl ich es für wahrscheinlich
halte, daß er das Petrusbekenntnis zwar nicht ausdrücklich akzeptierte
, aber auch nicht ablehnte (Mk 8,300 und die Hohenpriesterfrage
vermutlich bejahte (freilich wohl ohne die Fortsetzung in
Mk 14,62). Kümmel (S. 44. A. 36) könnte darin rechthaben, daß
Jesus einen gängigen jüdischen Titel ebenso neugestaltet hatte wie die
Erwartung des „Gottesreichs"; doch wäre selbst dann weder eine vorchristliche
Gleichsetzung mit dem Messias noch deren bewußte Übernahme
durch Jesus erwiesen. Da sie auch nach Stuhlmacher „selbst
Tür die Jünger vom Schleier des Geheimnisses umgeben" bleibt und
darin ein „Grundzug des Wirkens Jesu selbst" sichtbar wird (S. 300,
müßte ich noch konsequenter betonen, daß Jesus seinen Anspruch
zwar unausweichlich in seinem ganzen Verhalten gestellt, ihn aber
bewußt nicht in Formeln und Titel gepreßt hat, weil diese immer
Vor-Urteile einschließen und fördern. Ähnlich geht es mir in der Sote-
riologic. Es ist auch mir sehr wahrscheinlich, daß Jesus bewußt in den
Tod ging. Hätte er ihn aber derart klar „dogmatisch" begründet, wie