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Ausgabe:

1988

Spalte:

820-821

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Per Christum in deum 1988

Rezensent:

Hübner, Hans

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 11

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in einem Exkurs erläutert, in dem nicht recht deutlich wird, welche
soteriologische Bedeutung diese Leute der Taufe Jesu (Uoh 5,6) beimaßen
. Unklar ist auch - gerade bei der Annahme unterschiedlicher
Verfasserschaft - die für die Datierung des Uoh und des Johannesevangeliums
wichtige Folgerung: „Lassen sich in wichtigen Bereichen
der Christologie des 4. Evangeliums antidoketische Züge und
damit eine bewußte Reaktion auf die Irrlehre nachweisen, dann muß
die zeitliche Priorität des Uoh als wahrscheinlich gelten" (S. 83).

Um den Nachweis antidoketischer Tendenzen im 4. Evangelium
bemüht sich Vf. anhand der redaktionsgeschichtlichen Untersuchung
dreier Problemkreise: der Wunder Jesu, der Sakramente und des Prologs
.

Die sieben Wundergeschichten werden eingehend, vor allem in
bezug auf Redaktion und Tradition, untersucht. Für Johannes wird
jeweils ein positives Wunderverständnis ermittelt: „durch die Offenbarung
der Doxa des Inkarnierten im Wunder entsteht Glaube"
(S. 94). Vf. spricht daher häufig vom ,joh. Junktim vom Sehen des
Wunders und daraus entstehendem Glauben" (z. B. S. 123). Johannes
vertrete keine Wunderkritik; wo kritische Äußerungen fielen, seien sie
gegen die bloße Forderung nach Zeichen und Wundern gerichtet. Auf
Grund von 2,23-25 und 4,48 ist jedoch zu differenzieren; denn von
einer Forderung ist in 2,23-25 nicht die Rede, und in 4,48 handelt es
sich um eine Notsituation, nicht um die Forderung nach Legitimation
. - Gut begründet wird die These von der Existenz einer Semeia-
Quelle abgelehnt; instruktiv sind die Ausführungen zum Gebrauch
von semeion. - Vf. erblickt des öfteren eine antidoketische Tendenz in
den Wundererzählungen. Aber diese ist nirgends betont; auch soll
Joh 20,25.27 kaum bestätigen, „daß der Auferstandene in dem Fleisch
ist, in dem er litt und starb" (so S. 160), wenn man V. 26 bedenkt.

Hinsichtlich des johanneischen Verständnisses der Sakramente
wird in Joh 6,30-58 zwischen einer traditionellen, weisheitlich
geprägten Lebensbrotrede (V. 30-35. 41-51 b) und der johanneischen
Redaktion vor allem in V. 5 1 c—58 unterschieden und für letztere die
Auseinandersetzung des Evangelisten mit dem Doketismus zur Geltung
gebracht. - Die Verankerung der Taufe im Leben Jesu (3,22.26;
4,1) wird ebenfalls antidoketisch verstanden. Aber das läßt sich diesen
Stellen, die eine Kontroverse mit Anhängern Johannes des Täufers als
Hintergrund haben, nicht entnehmen. Die vom Vf. vertretene sakramentale
Deutung von Joh 19,34f hat u. a. die von ihm nicht erörterte
Reihenfolge Blut-Wasser gegen sich.

Aus Joh 1 werden V. 1-5.10-12b. 14a-c. 16 der Tradition zugewiesen
. Vf. betont zu Recht die Funktion des Prologs als „eines programmatischen
Eröffnungstextes" (S. 246) und die zentrale Bedeutung der
antidoketischen Inkarnationsaussage V. 14, auf die der Evangelist
V. 5 -durch den Einschub V. 6-8 - vorbereiten läßt.

Der zusammenfassende Schlußteil erörtert die Stellung des vierten
Evangeliums innerhalb der johanneischen Schule. Das Evangelium
wird als „Höhepunkt und Abschluß der in der joh. Schule entstandenen
und uns überlieferten Literatur" (S. 2560 gewertet. Diese der
gängigen Meinung über die Abfolge des johanneischen Schrifttums
entgegengesetzte Einordnung wird damit begründet, daß das Evangelium
„die akute Auseinandersetzung des Briefes offensichtlich
bereits voraus(setzt) und (sie theologisch) verarbeitet" (S. 249).

Für das Johannesevangelium wird man antidoketische Züge nicht
in Frage stellen können. Sie werden jedoch vom Vf. überbetont, wenn
dem Evangelisten „eine umfassende theologische Bewältigung des
Doketismus" (S. 249) zugeschrieben wird. Ist der Antidoketismus
eher nur eines neben weiteren Anliegen des vierten Evangeliums (wie
vor allem Stärkung der Gemeinde in der Auseinandersetzung mit dem
zeitgenössischen Judentum und mit Täuferkreisen), dann läßt sich
aus der antidoketischen Tendenz nichts für die Reihenfolge der
johanneischen Schriften entnehmen.

Schnelles Gesamtentwurf zur Ausprägung der johanneischen Theologie
wirft also eine Reihe von Fragen auf und wird allein schon
dadurch auf die johanncische Forschung anregend wirken. Der
eigentliche Wert des Buches aber liegt wohl in den präzisen Einzcl-

exegesen sowie in der profunden und konsequenten Methodenkritik,
die zu dem Urteil führt: „Das JE ist nicht als eine archäologische Grabungsstätte
zu betrachten, aus der je nach methodischem Ansatz
.Quellen', literarische Schichten oder historisch fixierbare Entwicklungsstadien
geborgen werden können. Es muß vielmehr als das
bewußte schriftstellerische und theologische Werk eines hervorragenden
Theologen des Urchristentums begriffen werden" (S. 49).

Berlin Christian WolfT

Thüsing. Wilhelm: Gott und Christus in der paulinischen Soteriologie.

I: Per Christum in Deum. Das Verhältnis der Christozentrik zur
Theozentrik. 3., verb. und um hcrmeneutisch-mcthodische Vorüberlegungen
zum Gesamtwerk sowie um einen Anhang erw. Aufl.
Münster/W.: Aschendorff 1986. XXXV, 307 S. gr. 8" = Neutesta-
mentl. Abhandlgn, N. F. 1/1. Lw. DM 48,-.

In 1. Auflage erschien 1965 (2. Aufl. 1969) in der Reihe „Neute-
stamentliche Abhandlungen" als 1. Bd. der „Neuc(n) Folge" Wilhelm
Thüsing (Th.), Per Christum in Deum, Studien zum Verhältnis von
Christozentrik und Theozentrik. Beide Auflagen wurden in der ThLZ
nicht rezensiert. Nun liegt mir die 3. Auflage zur Rezension vor. Eine
Rezension im üblichen Stil nach über 20 Jahren seit Erscheinen der
1. Auflage ist jedoch dann wenig sinnvoll, wenn ein Buch in der wissenschaftlichen
Diskussion rezipiert wurde und die Auseinandersetzung
mit dem Autor bereits im breiten Umläng stattgefunden hat.
Und das ist für Th.s Buch in der Tat der Fall. Dennoch gibt es zwei
Gründe, warum es sinnvoll, ja geboten ist, auf die nun vorliegende
Neuauflage aufmerksam zu machen.

1. Die von Th. behandelte Thematik des Verhältnisses von Theozentrik
und Christozentrik bei Paulus hat die wissenschaftliche Diskussion
trotz der Rezeption des Buches nicht sonderlich bewegt. Wo
man seine Monographie zur Kenntnis nahm oder Ansichten aus ihr
diskutierte, ging es leider meist nicht um Th.s Zentralanliegen, auch
wenn es zuweilen ausdrücklich genannt wird.1 Zugegeben, immer
wieder wird das paulinische Gottesverständnis in Pauluspublikationen
thematisiert - aber die Arbeit über die 77ieo-Logie des Apostels
steht immer noch aus. Nun hat sicherlich Th.s Monographie mit der
Diskussion des Verhältnisses von Theozentrik und Christozentrik
und seinem gelungenen Nachweis, daß Christozentrik im Prinzip
Theozentrik ist, noch keine solche Theo-Logie geschrieben; aber sie
könnte das Desiderat, ja Postulat danach noch deutlicher zum
Bewußtsein bringen.

2. Die zunächst unter dem Titel „Per Christum in Deum" publizierte
Arbeit war ursprünglich als selbständige und in sich abgeschlossene
Monographie intendiert. Jetzt erscheint sie als 1. Teil des zweibändigen
Werkes „Gott und Christus in der paulinischen Soteriologie
". Dieser I. Band bringt in seinem Untertitel „Per Christum in
Deum. Das Verhältnis der Christozentrik zur Theozentrik" noch in
etwa den alten Titel. Damit wird das in diesem Buche Gesagte in einen
neuen übergeordneten Horizont hineingestellt. Th. sagt auch ganz
offen, daß er seine neue methodologische Intention bei der Niederschrift
vor über 20 Jahren noch nicht verfolgte. Im fast 20 Seiten
umfassenden Abschnitt,,Hermeneutisch-methodische Vorüberlegungen
zu beiden Bänden: Synchronic - Diachronie - Pragmatik", den er
nun dem eigentlichen Corpus des Buches voranstellt, faßt er programmatisch
seine neue Absicht zusammen. Durch diese einführenden
Bemerkungen will er den Leser auch des I. Bandes bewegen, das
damals Geschriebene schon im Lichte des neuen Horizonts aufzufassen
. Er sieht die Klärung des Verhältnisses „zwischen der Tiefenstruktur
des paulinischen Denkens und dessen einzelnen Artikulationen
" (S. XIX) als entscheidende Aufgabe, und da die paulinischen
Hauptbriefe - gegenüber der Frühzeit (IThess)- „eine weitgehend in
sich kohärente neue Stufe" (S. XVIII) darstellten, in ihnen also eine
lebendige Ganzheit, eine „im sachlich-theologischen Sinn verstandene
.Tiefenstruktur'" (S. XXI) vorliege, schätzt er die Chance der