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Ausgabe:

1988

Spalte:

59-61

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schott, Christian-Erdmann

Titel/Untertitel:

Predigtgeschichte als Zugang zur Predigt 1988

Rezensent:

Theurich, Henning

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 1

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Im „Nachtrag 1982" (S. 190-208) skizziert M. das in den zurückliegenden
Jahren aufgebrochene Bemühen um eine „Israel bejahende
Christologie", nennt H. Berkhof, H. J. Kraus, C. Thoma, F. Mußner,
P. v. d. Osten-Sacken und ordnet seine Studie dieser „Losung" zu
(S. 191). Freilich „. . . der Respekt vor dem jüdischen Nein zu Jesus
Christus" (S. 204) ist in den Jahren stärker geworden, tangiert Christologie
(S. 205). Ziel der Studie nennt er jetzt: „eine christologische
Verhältnisbestimmung zwischen Jesus und dem jüdischen Volk, in
der Jesus Christus als die Aktualität Israels unter uns Gojim verstanden
werden kann" (S. 207).

Dieses Buch ist durch und durch aus einer Liebe zum jüdischen
Volk geschrieben, die sich im christologischen Denken eine Bahn
sucht. Es ist in starker Weise inspirierend, bereichert den Leser, verändert
ihn, fordert den Widerspruch heraus. Es ist von Paradoxien
durchzogen, am deutlichsten im Versuch, aus der Gegenwart des Auferstandenen
ein Judentum/Israel zu begreifen, daß ihn nicht kennt
und in seinem Nein zu Christus respektiert werden will. Ist dieses
Paradox theologischer Ausdruck des Gegensatzes, der bei Paulus
Rom 11,25ff eschatologische Hoffnung ist? - Anfragen sind als Zwischenbemerkungen
benannt. Es ist Verdienst des Autors und dem
Buch zu danken, die Aufgabe einer systematisch-theologischen
Bestimmung des jüdischen Volkes post Christum so dringlich gestellt
und Felder für weitere Diskussionen gezeigt zu haben (z. B.
S. 160ff).

Die Hoffnung des Autors, daß andere Fachkollegen „Mit- und
Weitermachen" (S. 8), ist zu bekräftigen.

Magdeburg Christoph Hinz

Praktische Theologie: Homiletik

Schott. Christian-Erdmann: Predigtgeschichte als Zugang zur Predigt
. Stuttgart: Calwer 1986. 135 S.8°. Kart. DM 19,80.

Hier liegt der Versuch vor, die Geschichte der Predigt für die gegenwärtige
homiletische Diskussion fruchtbar zu machen und ihr über
festgefahrene Positionen hinwegzuhelfen. Geordnet nach vier Kategorien
, gibt ein erster Teil (9-29) eine Bestandsaufnahme über die „Predigtgeschichte
in der neueren Homiletik": „allgemeine Traditionspflege
", „spezielle Vermächtsnispflege", „tendenzielle Inanspruchnahme
" und „direkte Befragung". Über diese Möglichkeiten im
Umgang mit der Predigtgeschichte hinaus wird ein neuer Weg gesucht
, der von inhaltlichen Gesichtspunkten weitgehend wegführt
und sich allein vom „Medium" der Predigt einen für die Homiletik
spezifischen Zugang zur Predigtgeschichte weisen läßt. Dabei ist der
Aspekt leitend, der bei dem polaren Verständnis der Predigt entweder
als „Medium der Kommunikation" oder als „Medium des heiligen
Geistes" jeweils mitvorausgesetzt wird, nämlich die Predigt als
„Medium der Institution Kirche", das von ihr eigens geschaffen
wurde. Predigtgeschichte soll daher als „Realisation der in diesem
Medium liegenden und mit ihm gegebenen positiven wie negativen
Möglichkeiten" (29)begriffen werden.

Dieses Programm wird im zweiten Teil (31-88)entfaltet: „Die Predigt
als Medium der Kirche - Predigtgeschichte als kirchliche
Mediengeschichte". Die uns geläufige Struktur der Predigt mit ihren
drei Faktoren „Text, Prediger, Hörer" hat sich schon in der Alten
Kirche herausgebildet, wobei mit jedem dieser Schwerpunkte auch
ein in sich spannungsreiches Grundproblem gegeben ist: I. Freiheit
und Bindung im Verhältnis zur Heiligen Schrift, 2. Freiheit und
Regulierung der Prediger, 3. Amt und Gemeinde, bzw. Klerus und
Laien. Diese Grundprobleme haben sich im „Prozeß der Vcrkirch-
lichung der Predigt" (51)ausgewirkt und werden auch weiterhin akut
sein, „weil sie im Medium selbst angelegt sind" (ebd.). In der
Geschichte des Protestantismus treten die drei Strukturelemente als
Antwort auf die Herausforderung der Zeit unterschiedlich stark hervor
. „In der Reformationsepoche ist es der Text, im Pietismus der

Prediger, in der Aufklärung der Hörer. Die beiden anderen Elemente
der Predigt treten dann jeweils zurück" (64). „Für eine an der Medienstruktur
orientierte Sicht haben diese drei frühen Epochen der protestantischen
Predigtgeschichte - Orthodoxie. Pietismus, Aufklärung-
klassischen Charakter, und zwar bis in ihre Aporien hinein. So sehr
viel wirklich Neues konnte es danach eigentlich nicht mehr geben und
hat es dann tatsächlich auch nicht gegeben" (74). Bis heute steht die
Geschichte der Predigt „in der Wirkungsgeschichte der drei klassischen
Entwürfe, die nun ständig neu durchgespielt werden: der reformatorisch
-orthodoxe Entwurf vor allem im Neukonfessionalismus
und in der Neuorthodoxie des 19. Jahrhunderts, in der Lutherrenaissance
zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in der Dialektischen Theologie
bis hin zur Predigt der Bekennenden Kirche; der pietistische Entwurf
in der Erweckungsbewegung, in der neben- und innerkirchlichen
Gemeinschaftsbewegung; der aufklärerische Ansatz in der .Modernen
Predigt' um die Jahrhundertwende bis hin zu den Versuchen, die von
den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts an unter dem Stichwort
.Zweite Aufklärung' unternommen worden sind" (77). Ein Ergebnis
dieses medienorientierten Durchgangs durch die Predigtgeschichte
lautet: „Jedes der drei klassischen Modelle ist, solange es allein herrschend
war, in einer Aporie geendet. Und jedes ist auf die korrigierende
Kraft der anderen angewiesen." (79) Die „Herausforderung der
Neuzeit", durch die der Predigt ihre öffentliche Monopolstellung
genommen wurde, kann die Tatsache nicht leugnen, „daß der Wandel
von Öffentlichkeit und Medienkonkurrenz die Predigt nicht hat verdrängen
können. Obgleich sie ein antikes Medium ist, behauptet sie
ihren Platz auch in unserer Zeit." (87)

Der Frage, wie dies heute sinnvoll geschehen kann, sind die Überlegungen
des dritten und letzten Teils (89-135) gewidmet: „Die Predigt
als Medium Gottes - die predigtgeschichtliche Krise des Protestantismus
". Methodisch wird jetzt neu eingesetzt; denn: „Der Versuch
, vom kirchlich-institutionellen Medium her zu einer homiletischen
Auswertung der Erfahrungen der Predigtgeschichte zu kommen
, stößt dort an seine Grenze bzw. weist dort über sich hinaus, wo
wir gezwungen sind, uns klarzumachen, daß das Wesen der Predigt in
diesem Rahmen allein nicht zu erfassen und zu bestimmen ist." (89)
Darum wird jetzt eine „transekklesiologische Weite des predigtgeschichtlichen
Erfahrungshorizontes" gesucht, so daß Predigtgeschichte
in Aufnahme biblischer Tradition (nach dem Modell von
Mk 12,1-12: Gleichnis „Von den bösen Winzern") „von den Anfangen
in Israel bis zum Endsieg als Kampfgeschehen zwischen Gott und
den Mächten, die sich ihm widersetzen" (93), begriffen werden kann.
„Die Prediger müssen bei ihrer Predigt das Kampfgeschchen zwischen
Gott und dem Teufel von Anfang bis zum Endsieg ständig im Auge
behalten. Nur so können sie die Weite von Gottes Atem von der
Schöpfung über die Sendung Christi bis zum Jüngsten Tag in ihre
Predigt einbringen." (94) Während die „altprotestantische" Predigt
diese geschichtstheologische Weite noch besessen hat, ist sie der
„neuprotestantischen" Predigt etwa seit der „Höhe der Aufklärung"
verlorengegangen, indem sie sich dem aufgeklärten Zeitgeist gegenüber
entweder auf eine Funktion der Kirche reduzierte oder aber sich
ihm vollständig akkomodierte. Dieser „neuprotestantische Ansatz"
ist bis in die verschiedenen Konzeptionen der Gegenwart hinein (z. B.
bei Gert Otto und Hans-Eckehard Bahr, aber auch bei Karl Barth)
lediglich „ausgeformt", nicht aber wirklich überwunden worden. Dies
könnte erst durch eine erneute Hinwendung zur altprotestantischen
Geschichtstheologie (wie etwa bei Gustaf Wingren) geschehen. Darum
schließt die Untersuchung mit der Frage, „ob es nicht an der Zeit
sein sollte, es doch noch einmal mit dem reformatorischen Ansatz zu
versuchen und die Predigt aus dem Heilswillen und -handeln Gottes
heraus zu begründen und so wieder als ein Medium zu begreifen,
durch das Gott sein Werk heute fortsetzt, indem er es verkündigen
läßt. Wir Prediger aber sollten unsere Primärtugend nicht in der Entwicklung
von homiletischen Strategien sehen, sondern darin, daß wir
in dieses Werk und in das Wirken Gottes in der Geschichte hineinhören
, um aus diesem Hören heraus zu reden." (135)