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Ausgabe:

1988

Spalte:

810-811

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hillers, Delbert R.

Titel/Untertitel:

Micah 1988

Rezensent:

Conrad, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 11

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In breitem AusgrifT auf das gesamte, oben den Königspsalmen zugerechnete
Textgut entwirft Eaton im 4. Kapitel (S. 135-197) ein ausführliches
Bild des judäischen Königsideals, das wir, angesichts der
Notwendigkeit, uns an dieser Stelle kurz zu fassen, auf die Formel
bringen können, daß der König als der Sohn Gottes in besonderer Beziehung
zu seinem göttlichen Vater stand, wie er als sein Knecht
dessen Willen unterworfen war.

Ein knappes 5. Kapitel (S. 200-201) faßt die Ergebnisse zusammen
und weist gleichzeitig darauf hin, daß die sich mit ihnen ergebenden
Berührungspunkte zur Königsideologie der Umwelt keineswegs negativ
zu bewerten sind, sondern mit ihrer Kraft zur Adaption menschheitlicher
Grundanliegen die Stärke der biblischen Übcrlieferungs-
bildung erweisen, die daraus eine neue Botschaft formte, deren Erbe
die messianischc Erwartung und in den Augen des Christen die
messianischc Erfüllungangetrcten haben.

Es stellt eine schwierige Aufgabe dar, eine so weit ausgreifende und
zugleich so in sich geschlossene Abhandlung in angemessener Weise
kritisch zu beurteilen. Wichtiger als eine Addition seiner Bedenken
gegen dte Ansprache der meisten der hier als Königslieder angesprochenen
Psalmen scheint es dem Rcz.. zu grundsätzlichen Überlegungen
zurückzulcnken. Bei der weiteren und. wie sich sogleich zeigen
wird, auch von ihm als dringend angesehenen Bearbeitung
des Problems sollte eine Reihe von Gesichtspunkten in Rechnung gestellt
werden, die einen wohl doch zu weitgehenden Anschluß an die
Tradition in Frage stellen und zugleich der in verdienstvoller Weise
von John Eaton erneut bewußt gemachte Problematik Raum lassen.
So scheint mir 1. dem Umstand Rechnung getragen werden zu
müssen, daß wir es bei dem Psalter in seiner überlieferten Form und
seinen Tcilsammlungcn mit einem Erbe der jüdischen Gemeinschaft
des Zweiten Tempels zu tun haben, und 2. dem anderen, daß sich in
dieser Überlieferung eine extensive Tendenz nachweisen läßt, wie die
Weisheitliche Überlieferung mit Salomo so die Psalmcndichtung mit
David zu verbinden, vgl. auch I lQPsaDavComp. 3, wird man dem
Gesamtlcben der vorexilischen Religion gemäß unterstellen dürfen,
daß es schon damals eine nichtkönigliche individuelle Psalmendichtung
gegeben hat, wie es z. B. die Analogien zur babylonischen Gebetsliteratur
nahelegen; vgl. auch Ps 107* und lKön8,37ff. Allerdings
wird man bei der Untersuchung der Texte nicht nur die Möglichkeit
zu berücksichtigen haben, daß königliche Motive in die nichtkönigliche
individuelle Ritualdichtung und gegebenenfalls selbst die
nachkultischc Psalmcndichtung (F. Stolz) eingedrungen sind, sondern
auch mit der anderen zu rechnen haben, daß alte Königspsalmen
redaktionell einem veränderten Adressaten in einer veränderten
Situation angepaßwworden sind, wie das m. E. z. B. bei Ps 144 der Fall
zu sein scheint. Bei den redaktionsgeschichtlichen Untersuchungen
dürfte sich die von O. Loretz in Gemeinschaft mit I. Kottsieper entwickelte
kolometrische Methode als hilfreich erweisen, zumal wenn
sie im Zusammenspiel mit den traditionellen literarkritischen Methoden
angewandt wird.1 Doch ist 4. damit zu rechnen, daß die für die
Redaktion der biblischen Psalmen verantwortlichen Männer alle
Züge zu tilgen oder zu verwischen versucht haben, die ihrem eigenen,
die Diastase zwischen Gott und Mensch streng beachtenden Denken
widersprachen. Mithin ist es 5. nicht ausgeschlossen, daß auch das
Königsritual solche Züge enthielt, die sich also nur noch mittels einer
Kombination von Anspielungen und Abfolgen in den Psalmen bei
einem gleichzeitigen Blick in die Umwelt als wahrscheinlich erweisen
lassen. In diesem Zusammenhang erscheint mir eine gründliche
Neuuntersuchung zumal von Ps 118 ein dringendes Desiderat im
Interesse der alllälligen Untersuchung der von A. R. Johnson begrün-

1 Vgl. dazu O. Loretz und I. Kottsieper, Colometry in Ugaritic and Biblical
Poetry. Introduction. Illustrations and Topical Bibliography, tri. F. Renfroe.
UBL 5. Altenberge 1987, und jetzt auch O. Loretz. Die Königspsalmen. Die alt-
oricntalisch-kanaanäischc Königstradition in jüdischer Sicht. Teil I. Ps 20, 21.
72. 101 und 144. Mit einem Beitrag von 1. Kottsieper zu Papyrus Amherst.
UBL 6. Münster 19X8.

deten und von J. H. Eafon auf eine breitere Textbasis gestellten
Hypothese eines royal ritual combat zu sein. Die Einwände im
Grundsätzlichen wie im Detail erlauben es nach Ansicht des Rcz.
nicht, das von John H. Eaton erneut bewußt gemachte Problem als
vermeintlich längst gelöstes ad acta zu legen. Daher war die .ISOT-
Press richtig beraten, das seit langem vergriffene Buch noch einmal
neu aufzulegen.

Marburg (Lahn) Otto Kaiser

Hillers, Dclbcrt R.: Micah. A Commentary on the Book of the
Prophet Micah. Philadelphia, PA: Fortress Press 1984. XVIII. I 16
S. 8" = Hermeneia. Lw. $ 22.95.

Der vorliegende Kommentar ist Teilband einer Reihe, die dem
Vorwort der Hgg. zufolge historisch-kritisch orientiert, aber keiner bestimmten
theologischen Richtung verpflichtet ist und die von einem
internationalen und interkonfessionellen Kreis von Mitarbeitern verantwortet
wird (S. IX). In einem so weit gesteckten Rahmen hat daher
jeder Mitarbeiter selbst die Prinzipien seiner Auslegung zu bestimmen
. Das ist denn auch bei diesem Kommentar von besonderem
Interesse.

Der Vf. bietet zunächst eine allgemeine Einführung (S. I -10). in der
er vor allem einen Überblick über die Auslegungsgeschichte des
Michabuches seit H. Ewald gibt und im Anschluß daran die noch zu
besprechende Grundthese für seine eigene Auslegung entfaltet. Den
Hauptteil bildet die Kommentierung selbst (S. 11-91), in der für jedes
Stück eine eigene Übersetzung geboten wird, der sich z. T. sehr ausführliche
textkritische Anmerkungen anschließen, in denen aberauch
topographische Probleme und exegetische Einzelfragen erörtert werden
, ehe die eigentliche, durchweg knapp gehaltene Auslegung erfolgt
. Der Schlußteil (S. 93-1 16) enthält eine ausführliche Bibliographie
sowie je ein Stellen-, Wort-, Sach- und Autorenregister.

Entscheidend für die Beurteilung dieses Kommentars ist die Tatsache
, daß der Vf. von einer bestimmten Grundthesc ausgeht, die er in
einem Teil seiner Einführung genauer darlegt (Micah as Prophet of a
New Agc, S. 4-8) und auf die er bei der Kommentierung der einzelnen
Stücke ständig zurückgreift. In einer Rezension ist daher hauptsächlich
diese zu bedenken. Ihr zufolge war Micha der Vertreter einer
größeren Bewegung im vorexilischen Israel. Diese Bewegung wurde
von Gruppen getragen, die sich infolge tiefgreifender sozialer Veränderungen
ins Abseits gedrängt sahen und deshalb einen radikalen
Umbruch und eine Wiederkehr gerechter Ordnungen in einer neuen
Heilszeit erwarteten. In dieser Hinsicht ist sie chiliastischen Bewegungen
des Mittelalters und der Neuzeit vergleichbar, so daß sie der Vf.,
wenn auch nicht im spezifischen, aber doch im weiteren Sinne, als
"millenarian" bezeichnen kann. Sofern das Gewicht auf der Erwartung
einer radikalen Wende liegt, ist sie wie die letzteren als "movement
of'revitalization'" zu charakterisieren. Für den Vf. ist nun das
Michabuch ein Zeugnis für die Vorstellungen und Erwartungen dieser
Bewegung und als solches ein in sich zusammengehöriges Ganzes.
Damit erübrigt sich die Annahme einer längeren und komplizierten
Redaktionsgeschichte. Das Buch ist vielmehr in allen seinen Teilen
vom Propheten selbst oder doch aus seiner Zeit herzuleiten. Der
Prophet ist eben als Vertreter einer Bewegung aufgetreten, durch die
ihm die Inhalte seiner Botschaft weithin vorgegeben waren. Er ist
nicht als Einzelperson zu fassen, die eine eigenständige und individuell
geprägte Botschaft verkündet hätte, so daß zwischen echtem und
sekundärem Gut unterschieden werden müßte. Nur ganz selten, wie
etwa bei Mi 5,2, rechnet der Vf. mit einer späteren Überarbeitung. Als
ursprünglicher Bestandteil des Buches sind daher auch die Stücke zu
betrachten, in denen es um die Situation nach einer bereits als geschehen
vorausgesetzten Katastrophe geht, wie etwa Mi 2,l2f oder 4,6f
und sogar, wenn auch mit Vorbehalt, Mi 7,8-20. Der Vf. vertritt hier
die Auffassung, daß der Prophet die Zerstörung des Nordreiches und
den Feldzug Sanhcribs gegen Juda vor Augen hatte und dement-