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Ausgabe:

1988

Spalte:

56-59

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Marquardt, Friedrich-Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Gegenwart des Auferstandenen bei seinem Volk Israel 1988

Rezensent:

Hinz, Christoph

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55.

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. I

56

J. B. Rüssel ist hervorragender Kenner der Literatur über das Böse
und Unheimliche. Abgesehen von zwei Büchern über das Hexenwesen
(1972 u. 1980) und anderen historischen Studien, liegt von ihm
jetzt eine vollständige Geschichte der Anschauungen über den Teufel
vor: Die vorchristliche Periode beschreibt er in "The Devil" (1977),
die frühchristliche in "Satan" (1981) und die mittelalterliche in
"Lucifer" (1984). Mit dem hierzu besprechenden "Mephistopheles"
ist die Gegenwart erreicht. In "Mephistopheles" setzt Rüssel mit der
Reformationszeit ein. Wir erfahren, daß nicht erst der nachfolgende
Hexenwahn, sondern schon die Reformation selber eine vorher und
nachher kaum überbotene Steigerung der Teufelsfurcht mit sich
brachte. Es ist ernüchternd, Luther, der auch in bezug auf Teufelsfurcht
an der Spitze der Reformatoren steht, einmal von dieser Seite
zu betrachten; die meisten Lutherdarstellungen verweilen ja nur bei
den lichten Seiten dieses vielseitigen Mannes. - Ab dem 17. Jh. geht es
jedoch durch philosophischen Rationalismus, Naturwissenschaft,
Materialismus und vollends durch die Aufklärung des 18. Jh. mit dem
Teufel sozusagen bergab. In der Romantik begegnen wir nur mehr
einer freischwebenden Idee des Teufels, von der manche Dichter verfolgt
werden (z. B. W. Blake, C. Baudelaire), die jedoch mehr in der
Literatur als im öffentlichen Bewußtsein oder in der Theologie zu
Hause ist. Bis heute bleibt die Belletristik (wozu dann der Film tritt)
das am meisten gebrauchte Medium einer spielerischen Auseinandersetzung
mit den Personifikationen des Bösen. Aber der Autor fragt
sich angesichts der nuklearen Bedrohung der gesamten Zivilisation
ängstlich, ob die Menschheit die Existenz des radikal Bösen schon allzu
lange auf die leichte Schulter nimmt (S. 17,251,298).

Angesichts dessen würde man eine intensive Bearbeitung der Problematik
des Bösen erwarten. Jedoch fallen die Bemühungen in dieser
Richtung eher schmal aus und gehen immer wieder in allzu detaillierte
Referate von Literatur über. Manche Anstöße führen nach
Meinung des Rez. sogar in die falsche Richtung. Davon gleich nachher
.

Zuerst muß der bisweilen unexakte Gebrauch von Daten und Fakten
erwähnt werden: So spricht der Autor S. 25 von einem „Frieden
von Augsburg", 1648; er meint offensichtlich den Westfälischen Frieden
. S. 46, Anm. 37, behauptet er, die erste französische Ausgabe von
Calvins „Institutio" sei 1560 erschienen. Eine Übersetzung von
Calvins eigener Hand gab es aber bereits 1541. S. 157, Anm. 49, lesen
wir, daß Mephistopheles in Goethes „Urfaust" überhaupt nicht vorkomme
. In Wirklichkeit hat Mephistopheles ab Zeile 253 bis zum
Ende genug Text und Rolle.

Sachlich kritisierbar ist die Festlegung der Philosophie Kants auf
einen phänomenologischen Ansatz und auf Metaphysikkritik
(S. 1430- Das ist nur der eine Teil der Interessen Kants. Auf der
anderen Seite schreibt er 1786 „Metaphysische Anfangsgründe der
Naturwissenschaft" und 1797 „Die Metaphysik der Sitten" und
schafft so einen neuen Zugang zur Metaphysik. - Sehr kritisierbar ist
auch die Behauptung S. 215, der Marxismus sei „eine Art Religion".
Das trifft weder auf das Selbstverständnis des Marxismus noch auf
seine Wirkungsweise zu. -S. 265 mißversteht Rüssel K. Barth gründlich
, wenn er berichtet, nach Barth biete Gott sein opus alienum gegen
den Teufel auf. Umgekehrt: Aus dem opus alienum Dei, dem Werk
des Unwillens Gottes, leitet das Böse seine - wenn auch nichtige -
Existenz ab. Was Gott dagegen aufbietet, ist sein opus proprium, seine
Gnade(KD III/3,S. 407fT).

Was nun die Auseinandersetzung mit der Gestalt des Teufels
betrifft, so werden wir dem Autor zugeben müssen, daß weder das
herrschende naturwissenschaftliche Weltbild noch Soziologie oder
Ethik eine Reihe von unerhörten Ausbrüchen des Bösen in den Griff
bekommen haben und sie daher nicht die alleinigen Maßstäbe sein
dürfen, Beschreibungen, Ahnungen und Erlebnisse des Dämonischen
zu beurteilen. Aber werden wir deshalb an den Teufel glauben?

Russeis Gebrauch der Wendung „Glaube an den Satan" (belicf in
the Satan) S. 132, ähnlich S. 213, 263, 300 u. ö. türmt eher neue
Schwierigkeiten auf, als daß er die alten beseitigt. Er meint, der

Glaube an den Teufel durchdringe (permeates) das NT (S. 263). - Daß
es sich hier nicht nur um einen sprachlichen, sondern um einen
theologischen Mißbrauch des Wortes „Glaube" handelt, zeigen Sätze
wie: „Gott ist ein genauso unwissenschaftlicher Begriff wie der
Teufel" (S. 297) und das Plädoyer für eine „offenbarte Diabologie"
(revealed diabology, S. 297ff). Darunter versteht Rüssel eine solche
„Teufelslehre", die sich am NT orientiert. Sucht man aber nach
einem unbestrittenen Offenbarungsbegriff, so finden wir denjenigen,
daß Offenbarung - besonders im NT - Selbstoffenbarung Gottes ist.
Gott offenbart sich selbst und nicht den Teufel oder gar sich durch
den Teufel! Die Gestalt eines personalen Bösen ist die vollständige
Verbergung Gottes und nicht seine Offenbarung! Wer vom Glauben
an den Teufel spricht, befestigt jene Bosheit, die er entkräften
möchte.

Die Theologie hat eine wissenschaftliche Tradition, die, wenn
bisweilen umstritten, doch weitgehend anerkannt ist. Von einer
„Satanologie" läßt sich ähnliches nicht sagen. Ob weitverbreitete
Erfahrungen der Einwirkungen von Dämonen oder eines Teufels je zu
einer konsistenten Theorie zusammengefaßt werden können - diese
Frage ist derzeit unbeantwortbar. J. B. Russeis Durchforstung einschlägiger
literarischer Darstellungen ist ein Schritt zur Durcharbeitung
des Problems. Studien zur Naturreligiosität und zur Parapsycho-
logie müssen sich dazugesellen.

Was man jetzt schon sagen kann ist zweierlei: 1. Eine "revealed
diabology" im Sinne Russeis ist kein geeigneter Theorieansatz. Und 2.
daß sich Böses in menschlichen Existenzen personalisiert und unheilvolle
Wirkungen zeitigt - das erkennen und bekämpfen Moral und
Ethik, und eine ausgedehnte Suche nach außermenschlichen Personalisierungen
des Bösen lenkt uns von unserer ethischen Aufgabe ab.

Wien MaxJ.Suda

Systematische Theologie: Dogmatik

Marquardt, Friedrich-Wilhelm: Die Gegenwart des Auferstandenen
bei seinem Volk Israel. Ein dogmatisches Experiment. München:
Kaiser 1983. 224 S. 8" = Abhandlungen zum christlich-jüdischen
Dialog, 15.

Dieser Buchtitel ist ungewöhnlich. Der erste Gedanke war, er
bezeugt eine persönliche Vision, die Richtung einer Gebetshoffnung
für Israel. Denn das „Judentum ist darin es selbst, daß es weder von
. . . Jesus als Messias noch von seiner Auferstehung etwas weiß"
(S. 147). Aber M. legt eine dogmatische Studie vor, welche -
streckenweise in mühsamem Gespräch mit altprotestantischer Chri-
stologie (S. 61-105) „die christologische Qualität des Judentums"
post Christum (S. 19) zu bestimmen versucht und darum nach der
Gegenwart des Auferstandenen bei ihm fragt (vgl. S. 99, 133,141).

Die Arbeit reicht in die 60er Jahre zurück. Seitdem, in den letzten
25 Jahren, hat M. vielfältig für die Erneuerung der Beziehung von
Juden und Christen gewirkt, sie durch theologische Veröffentlichungen
mitgeprägt, wurde schon 1968 mit der Buber-Rosenzweig
Medaille geehrt. - Aber am Anfang stand M.s große Arbeit: Die Entdeckung
des Judentums für die christliche Theologie. Israel im Denken
Karl Barths. München 1967. Darstellung und Würdigung von
Barths Israel-Lehre mündete in ein Kapitel leidenschaftlicher Fragen
nach der Tragweite der Auferstehung für das jüdische Volk
(S. 345-360). Nötigt sie uns nicht, mehr zu erkennen, als daß „Israel
der Darstellung des göttlichen Gerichts" (KDII.2.213) dient? Aus
dem Zusammenhang dieser Fragen wurde vorliegende Studie „Die
Gegenwart des Auferstandenen..." bereits 1966/67 geschrieben
(S. 7).

Die Einleitung nennt Programm und Thema: „Soll . . . Christologische
Qualifizierung des Judentums . . . nicht nur in dem bestehen,
worin das Judentum sich z. B. durch seine .Heimholung Jesu' selbst
qualifizieren kann, sondern auch in dem. worin es ... in Jesus Christus
gültig qualifiziert wurde, - dann müssen wir Barths Besinnung