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Ausgabe:

1988

Spalte:

772-773

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Michel, Karl-Heinz

Titel/Untertitel:

Immanuel Kant und die Frage der Erkennbarkeit Gottes 1988

Rezensent:

Schleiff, Hans

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 19XX Nr. 10

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sei denn, er betrachtet das Ganze als Impuls und macht sieh seine eigenen
Gedanken.

Jena Klaus-Peter Hertzsch

Kranz. Gisbert: Was ist christliche Dichtung? Thesen. Fakten. Daten.
München: Pfeiffer 1987. 122 S. 8'.

Auch das wäre ein Grund des Lesens: zu erfahren, was ein geübter
Autor auf so geringem Raum an gut aufbereiteter Information zu bieten
vermag. Kranz faßt zuerst ..Die Sache" ins Auge. ..das Christliche
*' wird erfragt und am Beispiel knapper poetischer Texte gezeigt
(I). Dann fallt der Blick auf den „Autor", die äußeren Bedingungen
seiner Arbeit, auf innere Anpassung und Widerstand. Konflikte.
Temperamente (II). ..Adressat und Wirkung" schließen sich an mit
interessanten Partien über das ..Durchbrechen konfessioneller
Mauern" durch christliche Dichtung und über ihre ..Rezeption bei
NichtChristen" (III). Es werden ..Die Mittel" des Schreibens von
Christen berührt: die Sprache, die Gattungen (es gibt eigene christliche
Formen!), die „Institutionen der Vermittlung", als da sind Verlage
. Zeitschriften. lehramtliehe Aufsicht auf katholischer Seite (IV).
Nachdem das aktuelle Phänomen von christlicher Literatur ausgemacht
ist. wird es grundsätzlich problcinatisiert: „Christliche Dichtung
ein Epochcnbegriir?", so als sei es mit christlicher Literatur als
Dichtung heute vorbei (V). Und nachdem dies abgewiesen ist. wird
„Zur Geschichte des Begriffs" ein eigener Abschnitt geliefert, aus dem
sowohl Wandel wie Stehvermögen von Phänomen und Nomenklatur
hervorgehen (VI). Das letzte der Diskurskapilel behandelt christliche
Dichtung „als Herausforderung für die Theologie" (VII). Die Abschnitte
VIII bis X enthalten Daten und Verzeichnisse: eine Liste
der „Hauptwerke der christlichen Dichtung" vom „Hirten" des Hermas
bis Bolls „Gruppenbild mit Dame"; die Aufstellung der Literatur
in ..Textsammlungen". „Wissenschaftliche Arbeiten" und „Zeitschriften
und Reihen"; schließlich das Register der Autoren und das
der „Literaturwissenschaftler, Kritiker. Theologen" - die Verzeichnisse
machen über dreißig Seiten aus.

Wer Kranz' frühere Arbeiten kennt, so große Werke wie etwa das
„Lexikon der christlichen Weltliteratur" (1978. s. ThLZ 105. 1980.
65-68). wird sich auf gebahnten Wegen wiederfinden. Dabei scheint
eine der begleitenden Linien verstärkt: das Problembewußtsein -
Kapitel V ist keineswegs der erste und einzige Ort. an dem das klar
wird. Daß der Begriff einer christlichen Dichtung kontrovers ist. wird
immer wieder angezeigt, die Argumente auch dagegen werden diskutiert
. Die Position des Autors wird darin deutlicher als bisher, und
zwar gleich im Vorwort. Danach hat er sich ungeniert zwischen die
Stühle gesetzt, ist lernbereit geblieben, weist jedoch die Unterstellung
zurück, „alle christliche Dichtung sei. als christliche, literarisch wertvoller
als alle nichtchristliche" - er war und ist „nicht dieser Mei-'
nung". Und hatte er früher mehr den literaturvergleichenden Wert des
Begriffs einer christlichen Dichtung hervorgehoben, betont er jetzt
eher die Bedeutung des Ganzen für die Theologie (VII, S. 78-89).

Gegen den alten Topos von Dichtung als Schein. Verführung. Lüge
setzt er den anderen, ebenso alten, „Dichtung sei verborgene Theologie
" (78). Wenn für den Apostel schon heidnische Dichter von Wert
sein können (Apg 17,28; Titl,12), „um wieviel mehr christliche
Dichter" für die Theologie (79). Christlicher Dichtung und Theologie
ist gemeinsam, „daß sie beide in Sprache auf die Offenbarung eine
Antwort geben", und sie sind darin verschieden, daß „der Dichter die
Phantasie des Lesers beschäftigt", indem er „imaginativ konkrete
menschliche Situationen und konkrete Glaubenserfahrung zu gestalten
" vermag, die Modellcharakter tragen (84/85). Hierin drückt sich
der Glaubenssinn besonders schreibender Laien aus. die „etwas wissen
und zeigen . . „ das für den Glauben wichtig ist. das der Theologe
aber nicht weiß" (86). Damit kommt Kranz dem von anderer Seite
geführten Dialog von Theologie und Literatur so nahe wie möglich
(vgl. ThLZ 113. 1988. 47-50). Das aber setzt ihm zufolge eine Dichtung
voraus, deren Geist christlich und die von Christen geschrieben
ist. Er wäre bereit, sie unter das Stichwort „Der Christ als Zeuge"
gestellt zu finden (K. Barth. KD IV.3).

Selbst wer in dieser Eindeutigkeit eine Engführung sehen oder wer
hier und da etwas vermissen mag - wie etwa die Dichtung gewordenen
christlichen Stimmen Armeniens und Georgiens-: er darf die Daten
benutzen, den Fakten vertrauen, den Thesen widersprechen.

Berlin Pcler Sänger

Philosophie, Religionsphilosophie

Michel. Karl-Heinz: Immanuel Kant und die Frage der Krkennharkeit
Gottes. Eine kritische Untersuchung der ..Transzendentalen Ästhetik
" in der „Kritik der reinen Vernunft" und ihrer theologischen
Konsequenz. Wuppertal: Brockhaus 1987. 264 S. 8" = TVG. Monographien
und Studienbücher. 334. Kart. DM 38.-.

Diese Arbeit ist ein Aufruf zur Abwendung vom Geist und zur
Rückkehr in die Welt. Ein Irrweg sei es gewesen, dem menschlichen
Denken zuzutrauen, es könne sich über Raum und Zeit zu einer allgemeingültigen
Wahrheit erheben. Der Mensch möge sich damit begnügen
, ein Teil der Natur zu sein. Zwar können wir den Begriff „Schöpfung
" gebrauchen, doch nicht so. daß der Mensch irgendwie an der
Qualität des Schöpfers Anteil hat. sondern nur so. daß der Mensch
sich bewußt in die Schöpfung einfügt: „Er ist selber geschöpfliche
(iahe, und mir insofern kommt er von Gott, wie alle übrige Schöpfung
auch, und ist ihrer Ordnung unterworfen." (185) Allerdings hat der
Geist des Menschen innerhalb der Schöpfung eine relative Eigenständigkeit
. Wo der Mensch seine Welt erkennt, spiegelt er sie nicht einfach
so wider, wie sie unabhängig von ihm ist. sondern er baut sie sich
mit seiner Gehirntätigkeit zu seiner ihm eigenen Welt zusammen. Es
gibt einen Unterschied von Geist und Materie, doch darf dieser Unterschied
nicht so groß gemacht werden, daß der Mensch der ganzen
Welt gegenübersteht. Auch die Tätigkeit des Geistes gehört zur Natur.
Uns bleibt unbekannt, wie groß die Übereinstimmung der von der
theoretischen Erkenntnis des Menschen rekonstruierten Welt mit der
wirklichen Welt ist. „weil uns der archimedische Punkt außerhalb
unserer selbst versagt ist. von dem aus wir unsere Wahrnehmung und
Erkenntnis beurteilen könnten". (158)

Von dieser Voraussetzung her kritisiert der Vf. die Erkenntnistheorie
von Kant. Kant stelle die Alternative, daß Raum und Zeit entweder
real in der Außenwelt gegeben oder im Menschen angelegte
Formen seiner Anschauung seien, eine dritte Möglichkeit aber zwischen
diesen beiden Extremen lasse er nicht zu. Die moderne Physik
führe hier weiter, denn sie zeige, daß die Raumvorstellung des Menschen
durch empirische Forschung verändert wird. Wir hätten hier
„ein diffiziles Wechselspiel von äußerer (von menschlicher Wahrnehmung
unabhängiger) Realität, empirischer Beobachtung und Messung
. Wahrnehmung und Erfahrung und konstruktiver Theoricbil-
dung". (62) So seien wir heute dazu gekommen, den gekrümmten
Raum als den realen Raum anzusehen, in dem wir leben. Der Vf. kann
zu diesem Mittelweg allerdings nur gelangen, indem er den Blick vom
erkennenden Subjekt wegwendet auf das erkannte Objekt. Das
Apriori ist ihm dabei schon aus dem Blick geraten.

Im nächsten Kapitel geht er noch grundsätzlicher auf die Frage des
Apriori ein. Es sei bei Kant eine gänzlich der Welt entnommene Voraussetzung
im Menschen für seine konstruktive Wcltcrkenntnis.
Doch die moderne Wissenschaft zeige, daß die Vernunft des Menschen
so „rein" nicht ist: Die Evolutionstheorie mache heute deutlich,
daß auch das Erkennen des Menschen in der Auseinandersetzung mit
seiner Umwelt sich entwickelt hat und somit empirisch bedingt ist.
Der Vf. weist hier auf eine oft bemerkte Schwierigkeit in Kants
Erkenntnistheorie hin: Obwohl die apriorischen Erkenntnisbedingungen
nach Kant jenseits aller Empirie stehen, werden sie von ihn1
doch als konkrete und mannigfaltige beschrieben. Kant hielt sie für
nicht empirisch ableitbar, der Leser möchte hier aber doch gern