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Ausgabe:

1988

Spalte:

769-771

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Mosès, Stéphane

Titel/Untertitel:

Spuren der Schrift 1988

Rezensent:

Hertzsch, Klaus-Peter

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 10

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gen der .Wirkung" zu beurteilen ist. nicht als Ausdruck der Gesinnung
, verdienstlich durch den .Adel der Absicht', sondern als
Zeichen, aufgerichtet in unserer Geschichte, figural bezogen auf Vollendung
" (S. 232).

Elfricde Büchseis Hämann-Arbeit entstand wie die anderen Hamann
-Interpretationen dieser Zeit im Aufwind des Erscheinens der
Nadlerschen Hamann-Werkausgabc. die viele Texte (vor allem die
Londoner Bibelniederschriften) zuerst vollständig zugänglich machte
und Hamanns Londoner Schriftauslcgung als Schlüssel zu seinem
Werk erschloß. Von daher legte sich ein Umschwung von einer mehr
literarhistorischen zu einer mehr theologiebestimmten Interpretation
nahe, zumal Nadler in seiner 1949 erschienenen Hamann-Biographie
diesen Weg bereits gewiesen hatte. Hamann dabei aber zu einem Gno-
stikerdes 18. Jh. hatte machen wollen. Elfricde Büchsei hat mit ihrer
Grundthese von Hamanns ..figural" bestimmter Christuszeugenschaft
und ihrer Methode werkimmanenter Interpretation eine Deutungslinie
profiliert, die sich auch in der nachfolgenden Hamann-
Interpretation als wichtig und wegweisend erwies. Daß sie bei ihren
Interpretationsansälzen etwa bei Paul Ernst. Fritz Blanke und Hel-
muth Schreiner auch schon anregende Vorläufer hatte, macht sie
selbst immer wieder deutlich. Wollte man rückfragen, so könnte man
fragen, ob Elfnede Büchsei es tatsächlich geschallt hat. die Gesamtschau
einer ..typologischen" Bibclauslcgung. einer ..figuralen" Struktur
der Autorschaft und einer persönlichen Einordnung des ..Zeugen"
in eine ..typologisch-figuralc" und in dieser Weise heilsgeschichtlich
aufgefaßte Wirklichkeit miteinander zu verbinden und in dieser Verbindung
einsichtig zu machen. Volker Hoffmann, der 1972 in mancher
Hinsicht ergänzend zu Elfriede Büchsei über ..Hamanns Philologie
" schrieb, ist vielleicht nicht ohne Grund, wiewohl er die
Büchseischen Deutungstendenzen auch verfolgt, hinsichtlich der
Einordnung in Gesamlintentionen etwas zurückhaltender gewesen. In
der heute durch die gemeinsame Arbeit von Germanisten. Philosophen
und Theologen bestimmten Hamann-Forschung wird aber
niemand der Grundthese von Elfricde Büchsei widersprechen.
Hamanns Absicht sei es gewesen, schreibend ..Autorhandlungen" zu
organisieren, deren Intention die zeitbezogene Christuszeugenschart
gewesen ist. Daß man diese These und ihre Begründungen jetzt gedruckt
nachlesen und so vom Ursprung her nachvollziehen kann, ist
dankenswert und erfreulich.

Jena Martin Seils

Christliche Kunst und Literatur

Moses. Stephane: Spuren der Schrift. Von Goethe bis Celan. Frankfurt
/M.: Jüdischer Verlag bei Athenäum 1987. 151 S. 8*. geb.
DM 42.-.

Wer aufgrund des Titels und der Einleitung eine Darstellung biblischer
Motive in der neueren deutschen Literatur erwartet, wird von
diesem Buch enttäuscht sein. Ich hatte sie erwartet und war enttäuscht
.. Dabei sind die einzelnen Kapitel durchweg interessant und
lesenswert. Aber sie haben eigentlich kein gemeinsames Thema. Der
Autor, gebürtiger Deutscher, als Emigrant in der französischen Bildungstradition
aufgewachsen, zeitweilig Dozent an der Sorbonne und
heute Professor für Deutsche und Vergleichende Literatur an der
Hebräischen Universität in Jerusalem, spricht von einer ..Art zwanglosen
Wanderung durch einige Texte", und wohlwollend könnte man
sagen, er folgt damit einer französischen Essay-Tradition. Aber nüchtern
betrachtet, drängt der Eindruck sich auf: Hier hat sich ein realistischer
Verleger gesagt, ein Buch unter dem redlichen Titel „Gesammelte
", um nicht zu sagen „Vermischte Aufsätze zur deutschen Literatur
- und Geistesgeschichte" findet kaum Leser; er hat einen übergreifenden
Titel gefunden, der mehr verspricht, als das Buch halten
kann. ja. halten will. In einer Einleitung versucht Moses freilich selber
, einen solchen allgemeinen Rahmen und Zusammenhang herzustellen
. Seine These: An Offenbarung kann heute nicht mehr geglaubt
werden. Aber das Verschwinden dieser Vorstellung einer religiösen
Tradition schafft einen „spezifischen Raum - es wäre dies der Raum
einer radikalen Negativität - in dem der Geist der Modernität entstanden
ist". Für die „verheerenden Veränderungen, die die biblischen
Grundbegriffe und Motive im Laufe ihres Rezeptionsprozesses
in der modernen Kultur durchgemacht haben, wäre das Bild einer
Schrift, die allmählich verblaßt, auseinanderfällt und schließlich
unentzifferbar wird, wohl eine passende Metapher". Die Buchstaben
dieser Schrift werden für uns zu „bloßen Spuren", „also zu grafischen
Zeichen, denen keine semantisch identifizierbare Bedeutung entspricht
". Die einzelnen kleinen Aufsätze, die in verschiedenen Sprachen
zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Zeitschriften erschienen
sind, bündelt er nun kühn unter dem Satz: „Von Goethe bis
Nietzsche. Kafka. Rosenzweig. Benjamin. Thomas Mann und Paul
Celan wird die Bibel, die von nun an ihren Offenbarungscharakter
eingebüßt hat. zum Ausgangspunkt neuer dichterischer Deutungen
."

Als wirklicher Beleg dafür kann aber eigentlich nur der letzte Aufsatz
gelten: eine sehr präzise Analyse des Gedichts „Die Posaunenstelle
" von Paul Celan, in dem die biblische Überlieferung zum ..Leertext
" und der alte Schophar zur Metapher dichterischer Aktivität
umgekehrt wird. Die andern Kapitel aber lassen sich nur schwer in
diesen Rahmen einfügen. So ist nicht recht einzusehen, wie Franz
Rosenzweig, dem gleich zwei der sieben Aufsätze gewidmet sind,
unter die Umdeuter einer Bibel eingeordnet werden soll, die „von nun
an ihren Offenbarungscharakter eingebüßt hat". Und daß Franz Kafkas
„Schweigen der Sirenen", das sich ausschließlich mit einer Episode
aus der Odyssee beschäftigt, ausdrücklich als Beispiel bezeichnet
wird für die „Verwandlung der Offenbarung von einem theologischen
zu einem poetologischen Begriff, scheint mir nur für den einsichtig,
der die Odyssee als Offenbarung und Homer als Theologen anzusehen
bereit wäre. Gerade aber in diesem Aufsatz erscheint die zugespitzteste
These, „daß der Mythos uns heute nur noch anspricht, wenn er
sich in Ironie oder Paradox kleidet". Wen soll dieses „nur" in Hinblick
aufdie Bibel überzeugen?

Tatsächlich sind in diesem Band einige Aufsätze zusammengestellt,
die im großen Umfeld der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der
Bibel - und anderer Kultur- und Denktraditionen - eine Reihe von
Einzelthemen behandeln: Da gibt es eine liebenswürdige Interpretation
des Märchens vom „Neuen Paris" aus Goethes „Dichtung und
Wahrheit", die manches über Goethes Denken und seine Literaturtheorie
deutlich macht und die in einem großen Gefüge verschiedener
Motive auch das vom Garten Eden in der spezifischen Deutung einer
jüdisch-christlichen Kabala aufzeigt. Da gibt es einen Aufsatz über
Nietzsches Verhältnis zum Judentum, das den Grundansatz seiner
Kulturkritik und Zeitsicht deutlich macht. Da wird der Einfluß
Rosenzweigs auf das Denken Walter Benjamins in einer Weise dargestellt
, die uns beide Autoren näherbringt. Da wird an der Person des
Chaim Breisacher in Thomas Manns „Doktor Faustus" einiges Erhellende
über die Konzeption dieses Romans und Thomas Manns wechselnde
Beziehung zu Oskar Goldberg deutlich. Ich habe das alles mit
Interesse gelesen; aber Beweise oder auch nur Belege für die kritischen
Thesen der Einleitung habe ich in all dem kaum gefunden. Da ist die
theologische Reflexion weiter vorangetrieben, als dem Autor offenbar
bewußt ist. die Reflexion über die komplexe Wechselwirkung zwischen
heutigem Denken und biblischer Tradition, zwischen Sprachgestalt
und Wirklichkeitsdeutung, übrigens auch zwischen mythischen
Elementen in den biblischen Büchern und geschichtlicher
Erfahrung, die von lebendigen Menschen gemacht und gedeutet
wurde.

Wer Freude daran hat. einige Kabinettstücke scharfsinniger und gut
pointierter Interpretation von Texten der neueren deutschen Literatur
zu lesen, wobei immer auch ein Anhauch der großen Tradition
jüdischer Schriftgclehrsamkeit zu spüren ist, der wird Freude an
diesem Buch haben. Wer mehr erwartet, wird enttäuscht werden - es