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Ausgabe:

1988

Spalte:

768-769

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Büchsel, Elfriede

Titel/Untertitel:

Biblisches Zeugnis und Sprachgestalt bei J. G. Hamann 1988

Rezensent:

Seils, Martin

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 10

768

Hebr 11 aus; nur der Glaube führe zur gewißmachenden Gemeinschaft
mit Gott, in die der Mensch immer tiefer hineinwachst: ..Allein
im Glauben, .sola fide'. ist der Mensch mit Gott verbunden, ist Gott
lür den Menschen erschlossen und Gott im Menschen schon anfanghaft
gegenwärtig" (34). So rechnet H. auch den Glauben zu den Sakramenten
: Im Glauben kommt Gplt auf den Menschen zu. Mit Bernhard
wendet sich H. gegen Abaelards Auffassung vom Glauben als
..existimatio rerum non apparentium"; Glaube ist nicht unmittelbar
zugänglich, sondern auf geschichtliche Vermittlung angewiesen
(33-46). H. weiß, in dieser Welt läßt sich die Wahrheit über das Göttliche
nicht finden. Schon hier stellt H. gegenüber: „In der Schöpfung
zeigt sich Gottes Macht, in der Erlösung Gottes Liebe" (56. 58). Daß
aber das ..sola fide". das Vf. stets betont, ein „sola fide charitate for-
mata" ist, und sich hier H. von Abaelard nicht unterscheidet, wird
daran deutlich: „Erst in diesen Werken der Liebe wird der Glaube
wahrer, verdienstlicher Glaube vor Gott, der den Menschen rechtfertigt
" (62, vgl. 20, 245). So sehr H. die Einheit von Schöpfer und
Erlöser betont, unterscheidet er konsequent Schöpfung und Erlösung.
Die Erlösung wird dem Menschen durch die Sakramente vermittelt,
aber diese sind nicht in sich heilswirksam (65-69,231). H. kennt auch
den Gedanken eines anonymen, impliziten Glaubens; auch vor Christus
konnten Menschen „gerechtmachenden Glauben haben", aber
solcher Glaube ist immer auf Christus hin ausgerichtet, immer
Glaube an den Schöpfer und Erlöser (75). Bei seinem weiten Sakramentsbegriff
- sie sind „Geheimnisse des Heilshandelns Gottes am
Menschen" - ist Glaube selbst Sakrament (80f)-

Im 2. Hauptteil „Der Inhalt des christlichen Glaubens - De sacra-
mentis christianae fidei" (88-281) führt Vf. das im 1. Hauptteil
Erhobene ausfuhrlich, zu ausführlich aus. Hinsichtlich des Schöpfungswerkes
betont Vf.. daß H. die Welt als Gottes gute Schöpfung
sieht; aber sie ist radikal von dem der Welt fernen, verborgenen Gott
unterschieden. Die ratio vermag den Verweis des Geschaffenen auf
Gott mitzuvollziehen, wenn sie sich für die Verborgenheit Gottes
offenhält und seinen Geheimnischarakter anerkennt. Hinsichtlich des
Erlösungswerkes ist es H. wichtig aufzuzeigen, daß der Mensch „in die
innertrinitarische Beziehung des Sohnes zum Vater selbst hineingenommen
wird" (211). Erlösung ist „Wiederherstellung des Menschen
". „Befreiung zu seiner ursprünglichen Freiheit" (213, 215). Die
vom Erlöser eingesetzten Sakramente vermitteln „die Einung des
Menschen mit Christus im Glauben" (229). In ihnen „knüpft Gott...
an der Situation des Menschen nach der Sünde an" und „bereitet ihm
.aus der Strafe selbst ein Heilmittel'" (230). Gottes Heilshandeln ist
nicht notwendig an sie gebunden, aber der Mensch notwendig an sie
gewiesen (241). Prägnant formuliert H. die Erlösung: „Factus est
Filius Dei, Filius hominis, ut filios hominum, filios Dei faceret" (255,
PL 176, 372 D). In seiner Kirche und in seinen Sakramenten ist Christus
immer gegenwärtig, wobei die „Sakramente wesentlich als Vollzüge
der Kirche verstanden sind" (278). Diese moderne Formulierung
scheint mir nur sehr indirekt durch die Texte gedeckt zu sein.

Eine „Zusammenfassende Reflexion" (281-286) beschließt die
Untersuchung. Vf. will in ihr darlegen, wie H. es gelingt, einsichtig zu
machen, „warum die Wahrheit und Glaubwürdigkeit des christlichen
Glaubens allein in demjenigen Glaubensvollzug aufgeht, der selbst
von seinem Inhalt her vermittelt und ereignet ist" (286).

Literaturverzeichnis. Namen- und Sachregister sind beigegeben. Vf.
legt eine gut fundierte und weithin überzeugende Arbeit vor. Sie
hätte freilich eine Raffung (im 2. Hauptteil) vertragen, denn das Wichtige
steht zumeist schon im I. Hauptteil. Daß Vf. von der gegenwärtigen
Situation ausgeht, ist zwar heute weithin üblich, aber es erweist
sich wieder, wie Theologen längst vergangener Jahrhundertc uns anregen
können, heute gestellte Fragen zu beantworten. Was früher
gedacht wurde, kann sich heute als hilfreich erweisen, nicht zuletzt im
ökumenischen Gespräch.

Freiberg Karl-Hermann Kandier

Büchsei, Elfriede: Biblisches Zeugnis und Sprachgestalt bei J. G. Hamann
. Untersuchungen zur Struktur von Hamanns Schriften auf
dem Hintergrund der Bibel. Gießen-Basel: Brunnen Verlag 1988.
X.284 S. 8* = TVG. Monographien und Studienbücher. 336.

Es wird nicht häufig vorkommen, daß eine ungedruckt gebliebene
Dissertation nach 35 Jahren noch zum Druck gebracht wird. Hier liegt
dieser seltene Fall vor. Elfriede Büchseis Arbeit zur Struktur von
Hamanns Schriften auf dem Hintergrund der Bibel ist eine Göttinger
germanistische Doktorarbeit aus dem Jahre 1953. Daß sie jetzt veröffentlicht
wird, liegt wahrscheinlich auch an Einstellungsnähcn zwischen
der Grundthese der Büchseischen Arbeit und der Leserschaft
des Verlages, der diese Arbeit jetzt herausgibt. Und es liegt natürlich
daran, daß 1988 das 200. Todesjahr Hamanns begangen wird, in dem
eine gewisse Aufmerksamkeit auf Titel über Hamann vermutet werden
kann. Im Grunde geht es aber um mehr. Für Kenner ist die Büchseische
Dissertation immer eine wichtige Arbeit gewesen. Die These
und die Methode haben die Interpretationsgeschichte des Hamann-
schen Werkes nach 1945 mitgeprägt. So ist es ein freundliches Geschehen
ausgleichender Gerechtigkeit, daß der Arbeit von Elfricde
Büchsei spät, aber durchaus nicht zu spät die Ehre verlegerischer Aufmerksamkeit
und buchhändlerischer Öffentlichkeit zuteil geworden
ist. Man liest das, was Elfricde Büchsei 1953 geschrieben hat. auch
heute noch mit Gewinn.

Wir stellen zunächst - sehr verkürzend - die These, den Gedankengang
und die Methode der Arbeit vor. Die These wird immer wieder
deutlich herausgestellt. Gegenüber einer vorwiegend literargcschicht-
lichen Einordnung Hamanns, die ihn überdies geistesgeschichtlich als
„Irrationalisten" ortet, wird deutlich gemacht, daß Hamann durch
seine Londoner Bibellektüre im Jahre 1758 und das ihr entsprungene
Bekehrungserlebnis entscheidend und dauernd geprägt war. daß seine
Wirklichkeits- und Weltauffassung eine Verlängerung seiner bibelher-
meneutischen Grunderkenntnisse gewesen ist und daß er sich in
umfassenden heilsgeschichtlichcn Zusammenhängen als Christuszeuge
verstanden hat. dessen Schriften als „Autorhandlungen" im
Dienst dieses Zeugenauftrages standen. Der Gedankengang hat zwei
einander ergänzende und entgegenlaufende Interprctations- und Aussagenbereiche
. Zunächst wird herausgestellt, daß Hamann an der
Bibel ein „typologisches". durch heilsgeschichlliche Ein- und Entfaltungen
bestimmtes Geschichtsverständnis gewonnen hat und daß er
sich selbst als Mensch, Christ und Autor in diese „figurale" Geschichte
verspannt sah. Dann wird dargelegt, daß Hamann seine literarische
Äußerung sehr bewußt in Entsprechung zu dem in diesen Zusammenhängen
verstandenen Zeugenauftrag gestaltet hat: „Der
Zeuge spricht zeichenhaft. Er kann so nur sprechen durch das ständige
Verweisen auf das biblische Zeugnis, sich an seinem Ort hineingestellt
wissend in den gewaltigen Spannungsbogen der Heilsgeschichte, der
in der Schau der Bibel schon prophetisch vergegenwärtigt ist." (S. 113)
Was Elfriedc Büchseis Arbeit über diese schlüsselhaften Thesen und
den ausführenden Gedankengang hinaus auszeichnet, ist die
Methode, mit der sie die Thesen belegt. Dabei ist sie angeregt durch
den Romanisten Auerbach, der die sog. „Figuralstruktur" bei Dante
untersuchte und herausstellte („Mimesis". 1946). Es kann hier kaum
nachgezeichnet werden, mit welcher aufdeckenden Akribie Elfriede
Büchsei der „figuralen" Struktur bestimmter Briefe und vor allem der
Schriften Hamanns nachgegangen ist, wie sie durch die Nebeneinanderstellung
von Vergleichs- und Kontrasttexten und die durchaus
„mikrologische" Beobachtung von Stileigentümlichkcitcn und Zielstrategien
die in Zeugendienst genommene Struktur der Hamann-
schen Autorsprache (S. 203) hcrauszupräparieren sucht. Zur gleichen
Zeit wie Elfriede Büchsei hat Karlfried Gründer in seiner Dissertation
ebenfalls die Typologie als Schlüssel insbesondere zu Hamanns Geschichtsverständnis
entdeckt und Martin Seils auch in einer Dissertation
eine zunächst ausschließlich werkbezogene Hamann-Interpretation
verlangt. Bei Elfriedc Büchsei war beides schon zusammengefügt-
Ihr Ergebnis: „Wer" Hamann „folgt, wird seine Autorschart verstehen
als .Handlung höherer Ordnung'.... nicht als Werk, das aus den Fol-