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Ausgabe:

1988

Spalte:

54-56

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Russell, Jeffrey Burton

Titel/Untertitel:

Mephistopheles 1988

Rezensent:

Suda, Max Joseph

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. I

5-J

Erfahrungen von Frauen (S. 36). Die Autorin formuliert in diesem Autorinnen wie Catharina Halkes und Elisabeth Moltmann-Wendel
Zusammenhang Postulate zur Erneuerung biophiler Symbole besser darlegen, daß die Bibel durchgehend von einer Befreiungsbot-
(Lebensbaum. Schlange, Taube, die „Göttin und ihr Heros", Symbole schaft bestimmt ist. Gegen die Autorin möchte ich drei Problemzu-
einer zyklischen Naturbetrachtung des Werdens und Vergehens, des sammenhänge betonen. Erstens: M. E. wird Elga Sorge dem Stellen-
Lebens und des Todes usw.). Das 2. Kapitel schlägt den Bogen vom wert des Exodusprinzips in keiner Weise gerecht. Ich sehe in diesem
traditionellen Gottesbild zum Göttinnenproblem (S. 38ff). Kritisiert Prinzip einen wichtigen Impuls zum Befreiungs- und Emanzipations-
w'rd vor allem die alttestamentliche Vorstellung vom allmächtigen potential in der abendländischen Geschichte, und man wird auch
Gott, der - nach Meinung der Autorin - menschliche Identitäts- sagen dürfen, daß dieser Impuls eine Bedeutung für die Frauen-
findung schädige und die zwischenmenschlichen Beziehungen zer- befreiung hat; die Rückkehr der Göttinnen könnte m. E. wieder anti-
store und natürliche Lebensbedingungen nicht zulasse. Dieses All- emanzipatorische Bindungen und,Zustände entstehen lassen (vgl.
machtsmodell ruft das (anthropologische) Ohnmachtsmodell hervor. dazu das Problem der sog. „neuen Mütterlichkeit" im Rahmen der
und darum ist auch das für die Bibel charakteristische Verhältnis Frauenbewegung). Weil Elga Sorge das Exodusprinzip vernachlässigt,
zwischen Gott-Vater und Sohn gestört; der Sohn ist ohnmächtig, und erliegt sie bedenklichen Klischeebildungen, die eine kritische Theologie
ethischen Implikationen des Kreuzes sind sado-masochistisch. gie überwunden hat. Ich nenne hier das geschichtswirksame Klischee
Eine entsprechende Spiritualität und Ethik erweist sich als Nekro- vom „zornigen und gewalttätigen Gott des Alten Testaments" (S. 40);
Philie. Der kritischen Argumentation entspricht die positive Aussage das Klischee verbindet sich manchmal mit einem Gesetzesverständ-
zur „Wiederkehr der Göttin" (S. 46ff). Der religionsgeschichtlichc nis, in dem die jüdische Auffassung vom Gesetz strikt antithetisch
Hintergrund ist durch das Muster der dreifaltigen Göttin gegeben; zum Neuen Testament gesehen wird. Mit diesen Klischeebildungen
charakteristisch für die Göttin ist die Struktur der Göttin und des ihr entstand - das zeigt heute das christlich-jüdische Gespräch - eine
zugeordneten Heros. Der theologische Hintergrund ist mit Jahwes fatale Wirkungsgeschichte. Weiter wird diese Klischeebildung deut-
Selbstbehauptung im prophetischen Kampf gegen die Fruchtbarkeits- lieh genug durch zahlreiche Zeugnisse jüdischer Spiritualität kriti-
re'igion gegeben. Ein wichtiges Zeugnis des Matriarchats ist u. a. das sieit; hier müßten die Judaica ernst genommen werden. Zweitens; Die
Hohe Lied (,,. .. ein matriarchales Kultlied der Göttin Ishtar, die der traditionellen Theologie ungewohnte Sicht der „Rückkehr der
'hren Heros Tammuz umwirbt, um mit ihm die Heilige Hochzeit zu Göttin" müßte sicher in einer Epoche, die sich auf den Dialog der
feiern", S. 53). Neutestamentlich verkörpert Jesus weibliche „Weis- Religionen vorbereitet, ernsthaft diskutiert werden. Ob das Alte
heit", wobei sich die Autorin in ihren Argumenten auf das Buch von Testament tatsächlich auch das Buch der Entthronung der Göttin ist,
Felix Christ: Jesus Sophia (Zürich 1970) bezieht. Nach Aussagen der steht zur Diskussion. Das Thema der Selbstbehauptung Jahwes gegen
Autorin wurde Jesus ermordet, „. . . weil er ein Magier war, der, wie die Fruchtbarkeitsreligion müßte exegetisch und systematisch neu
die Frauen. Heilungswunder vollbrachte und die Natur (vgl. Bergpre- bedacht werden. Ob aber die Integration von Symbolen des Lebens in
digt) und die Frauen (vgl. Maria und Martha, Maria von Magdala Jahwe nur negativ, nur als Entwertung des Weiblichen gesehen
u-a.) liebte" (S. 75). Das 3. Kapitel thematisiert „Frauen-Religion werden müßte, scheint mir fraglich. Der alttestamentliche Schöp-
und lebenliebende Spiritualität" (S. 75ff). Zur Kritik des christlichen fungsglaube ist doch genuin undualistisch und lebensfreundlich. Ich
Dualismus und der christlichen Erosfeindlichkeit werden Aiternati- möchte hier - gegen Elga Sorge - bei meiner These bleiben, daß es
ven formuliert: Entwurf eines biophilen Vaterunsers („Lieber Vater, sinnvoll-positive Beziehungen Jahwes zu weiblicher Symbolik gibt,
der Du mich gemeinsam mit meiner Mutter lebendig machst: Ich daß Jahwe sich auch als Gott des Lebens ausweist, daß manchmal das
'iebe Dich S. 91), Entwürfe zu „Glücklich-Preisungen der Toch- Volk das weibliche Gegenüber zu Jahwe bedeutet, das von Gott
'er derWeisheit" anstelle der Seligpreisungen der Bergpredigt (S. 920- liebend gesucht und umworben wird (vgl. mein Buch: Gottes neue
'm 4. Kapitel wird die Evageschichte aus dem Zusammenhang der Eva. Wandlungen des Weiblichen, Stuttgart 1978, S. 181 ff). M. a. W.:
Patriarchalischen Erbsündentradition herausgelöst. Der „mytholo- Mir scheint es nach wie vor sinnvoll, Jahwes „Geschlechtlichkeit"
gische Code", der - nach dem Programm von Michel Clevenot - androgyn und nicht frauenfeindlich zu bestimmen. Drittens: Die
"nmer den Produktionsbedingungen einer Epoche entspricht, ist fol- Argumentation der Autorin scheint mir auch darin von Vorurteilen
gendermaßen zu beschreiben: Eva wäre die Göttin, Adam der ihr zu- bestimmt, daß sie Jahwes Möglichkeiten, Heilsgeschichte mit Frauen
geordnete Heros. Dieses Verhältnis wurde aber durch eine gesell- als Movens zu inszenieren, nicht würdigt (Rahab, Sara. Rebekka.
sehaftlich-legitimicrendc Theologie patriarchalisch umgeschrieben: Debora, Thamar, Ruth). Zwar scheint der „männliche" Charakter
Eva wird ihrem Heros Untertan, ihre Fruchtbarkeit und Göttinnen- von Jahwe eine gesellschaftlich-patriarchalische Wirkungsgeschichtc
We'sheit wird entwertet, ja verflucht (S. 102ff). Auch die weibliche ausgelöst oder mitbestimmt zu haben; es gibt aber doch auch eine
Weisheit, die die Schlange symbolisiert, wird verflucht (S. 105ff). Freiheit Jahwes von diesen männlichen Strukturen und damit dann
NaPitel 5 enthält schließlich eine didaktische Skizze zum Thema die Implikation einer Solidarität Jahwes mit Frauen gegen eine
■•Sündenfall als Liebesfall" (S. 1 I6ff). Der Baum des Lebens erscheint männerbestimmte Gesellschaft. - Trotz der kritischen Einwände

lcr als „Sinn-Bild des Lebens, Sterbens und Wiederauferstehens" sollte die Schultheologie nicht an diesem anregenden Buch vorbei-

'S- 128); zyklische Naturprozesse, Kreuzesaussagen, Liebe zur Natur, gehen.

le°e zum Selbst, erotische Liebe treten in eine Synthese: Alle
Anschlichen Wege sind erlaubt, sofern sie das Prinzip der Liebe
nicht verletzen (S. 138).

Einige kritische Überlegungen: Ich stimme der Autorin und der Rüssel, Jeffrey Burton: Mephistopheles. The Devil in the Modern

fcministischcn Theologie dort zu, wo auf die patriarchalische Wir- World Ithaca-London: Cornell University Press 1986. 333 S. m.

ungsgeschichte aufmerksam gemacht wird. Weiter empfinde ich 26 Abb. gr. 8 . Lw. $ 27.45.

Vlclc Anregungen, wenn die Bibel „mit den Augen der Frauen" gele- Man könnte es fast eine „Schattenliteratur" nennen, was im Lauf

Sen w'fd; sicher wurde vieles von einer männerorientierten Theologie der Zeiten an theologisch oder historisch orientierten bzw. belletristi-

Ur,ersehen und vernachlässigt. Schließlich halte ich Möglichkeiten sehen Büchern über das Böse geschrieben worden ist, Schattenlitera-

e'ner Synthese von Theologie. Friedensproblematik und Ökologie für tur nicht zuletzt deshalb, weil das meiste lange nicht so bekannt wurde

Wlehtig; damit werden, wie ich glaube, die „Zeichen der Zeit" richtig wie etwa Miltons „Verlorenes Paradies". Wer weiß z. B. schon, daß

diesen, und es entsteht eine „Theologie der Befreiung" für unsere Mark Twain die Thematik des Satanischen in drei verschiedenen

8escllschafllichen Bedingungen. Romanentwürfen gestaltet, aber nie veröffentlicht hat? (Erschienen ist

'ch habe auch Einwände: M. E. kann das Befreiungspotential auch die Version "The Mysterious Stranger" erst 1916, sechs Jahre nach

Alien Testaments viel positiver gesehen werden; ich glaube, daß dem Tod des Autors.)

Wien KurtLüthi