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Ausgabe:

1988

Spalte:

753-755

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Fuhrmann, Horst

Titel/Untertitel:

Einladung ins Mittelalter 1988

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1488 Nr. 10

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1.4.11 genannten Adressatengemeinden birgt sich zugleich Aktualität
und gemeindeübergreifender, letztlich universaler Anspruch, durch
den die „fti Briefform gekleidete Offenbarung" zur „Enzyklika [...]
mit Widmung" wird (1 50). Als solche zielt sie auf die Behebung drängender
Mißstände, auf ethischen Ernst und christologische Bindung
christlichen Lebens (gebündelt im Schlußkap. 28 S. 278ff). Den kontrastierenden
Hintergrund bildet ein in humanistischer Tradition
breit entfaltetes Panorama von griechischer Philosophie und Tragödie
bis zu indischer Mystik und Gnosis (Kap. 1 -8 der Studie).

In den Einleitungsfragen bewegt der Vf. sich mit Vorsicht bei Quellenentscheidungen
(Annahme einer zurückhaltenden Fragmenttheorie
, die für Apk 1-3 nicht relevant wird) und mit Datierung der Apk
auf die Zeit Domitians im Konsens der deutschsprachigen Forschung
(96,1I5ff; 284 nimmt - ohne Berücksichtigung neuerer Lit. - für
Apk 22,6ff doch mehrere Hände an). Das wegen des hermeneutischen
Anliegens des Vf. wichtige Kap. zu Sprache und Metaphorologie der
Apk bleibt - wie dessen Titel „ut pictura poiesis" (Horaz, Dichtkunst
361; bei W. nicht verifiziert oder nach Horaz entfaltet) - mehrdeutig,
schwankt zwischen Sprachlogik und vielschichtiger traditioneller
Sprachaufschlüsselung.

Das Dilemma der Studie deutet sich an: Der Mut, in die Reflexion
der Apk Äußerungen von Heraklit bis Wittgenstein und von Aischy-
los bis Marti einzubezichen, spricht hermeneutisch an. Frömmig-
keits- und theologiegeschichtlich findet das noch durch Seitenblicke
etwa auf J. Gerhard und Kierkegaard Bereicherung (in den genannten
Fällen 123, 252 allerdings nicht voll verifiziert). Aber gleichzeitig tritt
eine Gefahr der Flächigkeit und Ungenauigkeit hervor, der die Studie
erliegt, wo sie nicht sorgfältig zwischen den Texten bzw. geistes-/theo-
logiegeschichtlichcn Positionen vermittelt. So unterbleibt etwa bei der
Textgruppe antike Tragödie die Frage, wieweit Aischylos, Euripides
und Sophokles Theater und Lebensgefühl des 1. Jh. n.Chr. prägten.
Analog werden indische Mystik und Gnosis nicht genauer auf die
Lage am Ende des 1. Jh. untersucht (bei der Gnosis wird unglücklich
zudem nur ein einziger Text aus Nag Hamm.adi berücksichtigt, dessen
Verifizierungsanmerkung S. 76 entfallen ist). Überhaupt ist das antike
Panorama nicht streng mit der Apk-Auslegung verbunden.

Was die Apk-Exegesc selbst angeht, bleiben die Kommentare des
letzten Jahrzehnts von P. Prigent, J. Roloff und U. B. Müller unberücksichtigt
(ebenso die katholischen Kurzkommentierungen
A. Vögtles und H. Ritts). Die neue Formdiskussion erscheint nicht,
desgleichen Spczialstudien wie die YarbroCollins' usw. Analog beziehen
die Ortsbeschreibungen in den Sendschreiben neue archäologische
Erkenntnisse, wie sie die Ausgrabungen bes. in Ephesus und Sarves
erbrachten, nicht ein (altertümlich wird gelegentlich - so 207 -
sogar noch das Entfernungsmaß der deutschen Meile verwendet). Man
findet in dieser Studie so weniger Neues als im skizzierten humani-
stisch-pastoralen Anliegen aufgenommene Erträge der älteren Forschung
.

Eine Reihe von Druckfehlern liegt vor. Unverständlich wird dadurch
die Literaturangabe von Untermöhlcn 23 Anm. 2.

Erlangen Martin Karrcr

Kirchengeschichte: Mittelalter

Fuhrmann. Horst: Einladung ins Mittelalter. 2. Aull. München: Beck
1987. 327 S. m. 45 Abb. 8 Lw. DM 39.50.

Der Band enthält 16 Aufsätze; 15 waren schon gedruckt und wurden
überarbeitet. Literaturhinweisc zu den Aufsätzen, Text- und Bildnachweise
sowie Namen- und Sachregister ermöglichen ein weiteres
Nachgraben.-Teil I „Lebenssicht und Lebensweise" beginnt mit dem
Aursatz „Über das Mittelalterliche am Mittelalter". Zeit und Geschichte
, der Mensch. Krankheit und Hunger, Ernährung. Kleidung
und Wohnen sowie Kaiser, Könige und die Kirche spielen eine Rolle,
■m Zentrum des Mittelalters „standen nicht profane diesseitige Gegenstände
, sondern Fragen nach Gott und der Wesensbestimmung des
Menschen" (37). Die Untersuchung der „Lebensqualität" im Mittelalter
teilt u. a. mit. daß im Frühniittclalter „nahezu arlc Mönche als
Kinder in das Kloster gekommen" seien (43). Fürsorge für Arme war
vielfältig, aber sie war kein Anrecht, sondern „für den mittelalterlichen
Menschen eine Gnade" (47). Den Tod wünschen sich heute
viele Menschen möglichst „schnell", im Mittelalter sah man es anders
: „Das plötzliche Verscheiden wurde als schlimmer Tod angesehen
" (49). Der dritte Aufsatz „Vom Elend des Rittcrlebens" bringt
Beziehungen bis in die Neuzeit hinein. - Teil II „Große der Zeit" beginnt
reizvoll: „Karl der Große. Geschichte und Geschichten". Ge-
roks Gedicht „Als Kaiser Karl zur Schule kam" wird zitiert (69); die
Beziehungen zum Papsttum und die Kaiserkrönung werden skizziert.
Ein Abschnitt wird überschrieben „Wächter des Glaubens, der Sitten
und der Bildung" (73). Der nächste Beitrag stellt Gregor VII. vor Augen
. Nach einigen gesellschaftlichen Veränderungen folgen die päpstlichen
Forderungen: Bekämpfung der Simonie, der Priesterehe und
der Laioninvestitur (81-84). Der „Mensch Hildebrand" kommt in
den Blick, die Vorgänge 1076/77 werden mit Quellenzitaten belegt
(94-99). Die Untersuchung „Herzog Heinrich der Löwe. Sein Evan-
geliar und die Frage des gerechten Preises" geht besonders aufdas Hcl-
marshausener Evangeliar ein. das 1983 für 32.5 Millionen Mark ersteigert
wurde (101-I 18).

Teil III „Ich bin über das Haus Gottes gesetzt, damit meine Stellung
alles überrage" bringt vier Aufsätze über das Papsttum. Um Hcrr-
schaftszeichen wie Tiara und Mitra geht es u. a. in der Arbeit ...Der
wahre Kaiser ist der Papst'-Von der irdischen Gewalt im Mittelalter"
(121-134). Bis in die Gegenwart führt „Die Wahl des Papstes - Ein
mittelalterliches Verfahren": „Der jetzige Papst Johannes Paul II
wurde 1978 - hält man sich das Verfahren vor Augen - in einer Form
gewählt, die sich großenteils vom Mittelalter herleitet" (149). Der
Aufsatz „über die .Heiligkeit' des Papstes" untersucht den Titel „Heiliger
Vater". Heiligsprechungen und den Begriff des Heiligen. Gregors
VII. Satz, ein römischer Bischof werde wegen der Verdienste des
Hl. Petrus zweifellos selig, wird im Zusammenhang mit seinem Ursprung
in der Zeit um 500 erörtert (156-162). Die Formel „Sic transit
gloria mundi" gehört seit dem 11. Jh. ebenfalls zur Papstkrönung
(166-168). Der Aufsatz „Das Ökumenische Konzil und seine historischen
Grundlagen" erinnerte 1961 daran, daß das Vorrecht des Papstes
zur Einberufung einer Ökumenischen Synode aus den Pseudoisi-
dorischen Dckretalcn des 9. Jh. stammt (178). Leo IX. war der erste
energische Rezipient dieser Fälschungen. Das I.Vatikanum war
„verwirklichtes Mittelalter" (187). - Teil IV „Fälschungen über
Fälschungen" beginnt mit dem Beitrag „Mittelalter - Zeit der
Fälschungen". Man liest dort: „Ein Handeln im Geiste der Billigkeit-
der subjektiv empfundenen Berechtigung - konnte auch darin bestehen
, überkommene Rechtstexte umzuformen" (200). Fälscher
hatten ort keinen materiellen Vorteil. Vom Mittelalter her könnte
man sagen: „Was heißt hier Fälschungen, wo es doch darum geht, der
von Gott gesetzten Wahrheit zum Siege zu verhelfen? Wahrheit kann
doch nur das sein, was sich einfügt in die Welt eigener Überzeugungen
und eigenen Glaubens" (210). Der folgende Beitrag betrachtet den
Wunsch des Menschen, betrogen zu werden: „Mundus vult deeipi".
Die ..Konstantinische Schenkung" war von Laurentius Valla und
Nikolaus von Cucs als Fälschung erwiesen. „Aber von dieser Seite
drohte der Kirche und dem Papsttum keine Gefahr, und die Autoren
machten in der Kirche Karriere und lebten von Kirchenpfründen"
(216). Der Artikel „Die Sorge um den rechten Text" geht über die
Septuaginta. Hieronymus, die Alkuin-Bibel zu den Korrcktorien des
13. Jh.; er zeigt, daß „hier und da der Wille aufgetaucht ist. über die
Gestalt eines Textes ins klare zu kommen" (228).

Teil V „Freude. Wissen. Neugier: Begegnungen mit dem mittelalterlichen
Anderssein" beginnt mit einer Rede zum 225jährigen Bestehen
der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1985: „Jubel.
Eine historische Betrachtung über den Anlaß zu feiern". Die Schlußsätze
lauten: In seiner „Ambivalenz sei das Wort Jubiläum in seiner