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Ausgabe:

1988

Spalte:

752-753

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Woschitz, Karl Matthäus

Titel/Untertitel:

Erneuerung aus dem Ewigen 1988

Rezensent:

Karrer, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 10

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geschichtliche Überblick, beginnend bei Johann Salomo Seniler und
dessen Lehrer Siegmund Jacob Baumgarten (auf immerhin 23 Seiten,
danach Ertragssicherung auf etwa 10 Seiten), ist von erheblichem
Wert und wird vermutlich auch manchem Fachcxcgeten noch Informationen
liefern. Hinzu kommt, daß diese von der Forschungsgeschichte
her gestaltete Einleitung zumindest das Recht der von B.
praktizierten Fragestellung erweist. Die Fragen, ob 2Kor ein Gefüge
mehrerer ursprünglich separater Briefe ist und wie diese hypothetisch
rekonstruierten Einzelbriefe möglicherweise rhetorisch analysiert
werden können, verflechten sich ineinander. Der forschungsgeschichtliche
Überblick zeigt also zur Genüge, daß ein Problem dann
erst richtig verstanden ist. wenn sein geschichtliches Werden und Gewordensein
erfaßt sind. Fazit: Allein die leitende Fragestellung des
Kommentars bereichert die neutestamentliche Wissenschaft.

Zu 2Kor 8: B. analysiert, wie folgt: 1-5 = exerdhwi. 6 = not ratio.
7-8 = propositio, 9-15= probalio, 16-22 = the commendation of the
delegates. 23 = the aut horization of the delegates. 24 = peroratio. Ist
aber diese Analyse mit ihren /. T. aus der antiken Rhetorik genommenen
Klassifikationen, z. T. aus der Rechlsterminologie genommenen
Begriffe zutreffend?

Die Schwierigkeit, hier zu einem überzeugenden und dem Autor
gegenüber gerechten Urteil zu gelangen, liegt vor allem im Tatbestand
, daß einerseits zwar die antike Rhetoriktheorie mit ihren drei
gencra und Definitionen der Bestandteile einer Rede - sieht man von
unerheblichen Differenzen einmal ab-ein ziemlich einheitliches Bild
abgibt, daß aber andererseits das Altertum bekanntlich keine allgemein
verbindlichen Regeln für die Gestaltung von Briefen kannte.
Daß sich Briefschreiber im allgemeinen und Paulus im besonderen für
die Konzeption eines Briefes zuweilen der rhetorischen Praxis bedienten
, ist sicher unbestreitbar. Für den Gal hat B. dies m. E. überzeugend
nachgewiesen. Es bleibt aber die Frage, die ich schon damals
(ThLZ 109. 1984. 244) gestellt habe und auf die ich leider im neuen
Kommentar von B. keine Antwort gefunden habe, nämlich die Frage
nach dem Verhältnis von antiker Epislolographie und antiker Rhetorik
. Ich kann im Rahmen einer Rezension nur sehr ansatzweisc erneut
aufdiese Problematik eingehen: Liest man einmal antike Briefe unterschiedlicher
Provenienz, so stößt man unbestreitbar zuweilen auch
auf solche, die die Elemente exordium. narratio und argumentatio
bringen. Nehmen wir jedoch die Briefe, die in ihrem ersten Teil eine
mehr oder weniger ausführliche narratio aufweisen, so zielt diese dann
meist auf die klar ausgesprochene Absicht, den/die Adressaten zu
einem bestimmten Tun zu bewegen. Die narratio steht oft geradezu
anstelle der argumentatio. und es ist zu fragen, ob wir es hier wirklich
mit dem zu tun haben, was in rhetorischer Terminologie narratio
heißt..

Doch nun ganz speziell zu 2 Kor 8! Auch nach sehr ausführlicher Prüfung der
von B. genannten Argumente leuchtet mir nicht ein. V. 1-5 als exordium zu
klassifizieren und lediglich V. 6. also den mit tä n<ipiix<ü.r.am beginnenden
Satz/e/Vals nurratio zu fassen, zumal der finale Nebensatz in diesem Vers keine
narralive Funktion besitzt. Wenn man schon in 2Kor 8 eine narratio identifizieren
zu können glaubt, dann V. 1-6. Ks ist ja durchaus mit der Möglichkeit zu
rechnen, daß dieser Kollektcnbrief ohne das ursprünglich zugehörige txordium
(und natürlich das davorstehende praeseriptum) erhalten ist. Nur am Rande sei
bemerkt: Nach B. beginnt in 2Kor 8 das exordium mit yviopICofUtv S'r. ÖftTv. Wo
aber Paulus ywopiC.r.tv in der 1. Pers. bringt, eröffnet er damit an keiner Stelle ein
exordium. B. setzt nun insofern V. I -5 von V. 6 ab. als er mit Chrysostoinos in
ersteren. wieder in rhetorischer Terminologie, ein eneomium sieht. Der enko-
mischc Charakter der Verse ist m. E. unbestreitbar; aber die Einheit des Abschnitts
V. 1-6 ist so offenkundig, daß man sie nicht auf zwei rhetorische Ein-
zelabschnittc verteilen sollte.

Nun könnte man freilich entgegnen, in V. 1-5 sollten im Sinne der antiken
Rhetoriktheorie (z. B. Hcrcnn. 1. 3.4: exordium est prineipium oralionis per
quod animus auditoris constituitur ad audiendum) die Koriniher durch das Beispiel
der Makedonicr für das Anliegen des Paulus geneigt gemacht werden.
Dann könnte man jedoch eher erwägen, ob nicht in diesem Brief angesichts dessen
, daß ja für Briefe als solche rhetorische Regeln nur im Einzelfall berücksichtigt
wurden, exordium und narratio zusammenfallen. Mit B, möchte auch ich
annehmen, daß im Vergleich von Makcdoniern und Korinthern die rhetorische

Figur der synkrisis vorliegt (S. 48); doch gerade diese Figur umfaßt den ganzen
Abschnitt V. 1-6.

Durchaus erwägenswert ist die Analyse von V. 7f als propositio und V. 9-15
als probalio. Allerdings sei auf eine Schwierigkeit hingewiesen, deren Gewicht
hier nicht diskutiert werden kann: Entspricht nicht dem zur propositio gerechneten
od BOT*iumytfr UfXO in V. 8 das zur probalio gerechnete xai yvtöptpi
mi>w> SidcOfU in V. 10? Kann man wirklich diese beiden aufeinander bezogenen
Aussagen auf zwei unterschiedliche rhetorische Abschnitte verteilen? Andererseits
ist schon die von B. aufgew iesene Parallele faszinierend, gemäß der Cicero
(invent. 2.52, 157 f) für das genus deliberalivum die drei res expeiendae honesta.
ulilUt und honesta* fordert und Paulus für das 2. Argument der probalio ausdrücklich
das dem utile entsprechende oofUfipti und für das 3. Argument die der
aequitas entsprechende iodwfc nennt (S. 601). Der zuweilen gegebene Widerspruch
von utilitas, honestum und aequitas war immerhin für die Theoretiker
der antiken Rhetorik ein wichtiger Diskussionspunkt (z. B. Quint. III. 8; zum
Ganzen s. vor allem J. Martin. Antike Rhetorik. München 1974. 169IT).

Daß B. dann für die Einheiten V. 16-22 und V. 23 keine klassifikatorischen
Begriffe der antiken Rhetorik bringt, spricht nicht notwendig gegen seine Analyse
, zeigt aber, daß die oben genannte Grundproblematik auch an dieser Stelle
thematisiert werden muß. und zwar unter Berücksichtigung unterschiedlicher
Briclärten. Was ist z. B. der ny;vin;; w ttbv mpi iKUTWi&t xa/.wv (Brief des Liba-
nius an Basilcides: L.ibanius. opera IX. ed. R. Focrstcr. Hildesheim 1963.
ep. I 408).

Ein schwieriges Problem ist, ob man mit B. napcxä/.mcv V. 6 im juristischen
Sinne als „ernennen" ("to appoint") interpretieren kann.
Im Bedeutungsspektrum dieses Verbs ist das juristische Moment unzweifelhaft
enthalten, jedoch vor allem im Sinne von „vorladen" (B-
nennt auch als eine der Bedeutungen "lo summon"). Die Bedeutung
„amtlich beauftragen" bzw. „ernennen zu einem offiziellen Amt" ist
jedoch für napaxä).r.rj£v höchstens eine Randbedeutung, zumal viele,
wenn nicht sogar die meisten der hierfür von B. angeführten Stellen
(S. 54. Anm. 117) nicht bzw. nicht eindeutig diesen Sinn abgeben.
Liegt, wie B. meint, ein im juristischen Sinn verstandenes mandatuin
des Paulus an Titus vor (S. 70f.)? Ich habe aufgrund der philologischen
und rechtsterminologisehen Sachlage starke Bedenken. Doch
einmal angenommen, er hätte recht, so hätte dies Konsequenzen für
das Selbstverständnis des Paulus bezüglich seines Apostelamtes. Auf
jeden Fall impliziert die der Forschung durch den Kommentar von B.
aufgegebene Diskussion Fragen von höchster theologischer Relevanz
und Brisanz. Einerlei, wie die Diskussion ausgeht, man wird B. für die
durch seine Sicht des Status quaestionis provozierte Diskussionslage
zu danken haben.

Zu 2Kor 9: B. analysiert, wie folgt: 1-2 = exordium. 3-5a = narratio
, 5 b-c=propositio, 6-14=probalio, 15 = peroratio.

Ich verzichte auf eine Stellungnahme zu dieser Analyse, weil ich
meine, daß es im Dienste der Rezension und des Dialogs mit B. hilfreicher
war. den zur Verfügung stehenden Platz ausführlicher für kritische
Fragen an die Analyse eines der beiden Briefe zu nutzen als zu
beiden Briefen jeweils wenigerzu sagen.

Göttingen Hans Hübner

Woschitz, Karl Matthäus: Erneuerung aus dem Ewigen. Denkweisen '
Glaubensweisen in Antike und Christentum nach Offb. 1-3. Fl*»"
burg-Basel-Wien: Herder 1987. 285 S. 8geb. DM 48.-.

Dem Klappentext nach stellt die hier zu besprechende Studie einen
anspruchsvollen Kommentar zur Apk im „Umfeld Apokalypse" dar-
Korrekter signalisiert der Titel: Der exegetische Schwerpunkt liegt au'
Apk 1-3, die im Anliegen untersucht werden, christliche Glaubenshaltung
vor dem Kontrastfeld konkurrierender Denkweisen sichtbar
zu machen. Kap. 4-22 werden nur im Anschluß daran Gegenstand
streifender Lektüre. „Umfeld Apokalypse" schließlieh besagt Lhufi*
der Apk in weitestem geistesgeschichtlichem Sinn, nicht speziell Einbettung
in jüdisch-frühchristliche Apokalyptik.

Diese Signale lenken den Blick auf die pastoralen Akzente der Studie
. Demnach betritt der Apk-Autor das Feld der „Seelsorge" (99). 'n
dem er seine Adressaten tröstend und warnend auf die im (ilauben ergriffene
Wahrheit anspricht (bes. ebd. und 280). In der Siebenzahl der