Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1988

Spalte:

743-744

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klauck, Hans-Josef

Titel/Untertitel:

Judas - ein Jünger des Herrn 1988

Rezensent:

Holtz, Traugott

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

743

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 19X8 Nr. 10

744

cxcept in the Tabula. The uncluttercd aspect of the pages and the us.
of cola and commata. where appropriate to indicatc parallels. also
cnhance the visual impact. Ultimately it is the visual display that justi-
fies the Publishing of a Synopsis.

Leeds J. K. Elliott

Klauck. Hans-Josef: Judas - ein Jünger des Herrn. Frciburg-
Basel-Wien: Herder 1987. 160 S. 8° = Quaestiones Disputatae. III.
Kart. DM 36,-.

Schon das Vorwort und sein Bezug auf die Widmung des Buches an
die Bibliothek und den Konvent des Franziskanerklosters St. Anna
lassen erahnen, daß es dem Vf. nicht nur um historische Rekonstruktion
, sondern auch um Bewertung geht. Bewertung der Person des
Judas.

Den Hauptteil des Buches bildet freilich eine exegetisch-historische
Analyse der Texte der ur- und frühchristlichen Tradition, die über die
Geschichte des Judas Auskunft geben. Ihm vorgeordnet ist ein Teil,
der die unterschiedlichen Weisen des Verstehens vorführt, die an
Judas herangetragen worden sind. Denn nicht nur als Verkörperung
des Bösen schlechthin ist Judas begriffen worden, sondern auch als
der. der als einziger der Jünger das geheimnisvolle Funktionieren der
Heilsgeschichte begriffen und danach gehandelt hat (Gnosis). oder der
das jüdische Gottesvolk von dem Verführer Jesus befreite (Toledot
Jeschu). oder der. der in Wahrheit im Auftrag Jesu handelte.' der
überhaupt nur ein Produkt der legendenbildenden Phantasie ist. der
als fiktive Gestalt eine psychodynamische Funktion erfüllt oder sich
narrativer Notwendigkeiten verdankt. Solche Auflistung steht allerdings
in der Gefahr, den Eindruck zu erwecken, derartige Deutungen
stünden auch nur entfernt gleichrangig nebeneinander; das ist in gar
keiner Weise der Fall, erdrückend dominant ist das Verständnis von
Judas als die Inkarnation des Bösen.

Mit souveräner Meisterschaft analysiert K. die Texte. Die Fragerichtung
ist dabei vorzüglich eine historische. K. interessiert, was den
Texten über Judas und seine Geschichte zu entnehmen ist oder wie sie
und ihre Aussagen zustande gekommen sind. Der sichere Einsatz aller
Mittel historisch-kritischer Arbeit, der getragen ist von Verantwortung
vordem Text und dessen Absicht, läßt K. zu Schlußfolgerungen
gelangen, die weitgehend überzeugen." Dadurch, daß die Untersuchung
auch auf die außerkanonischen Zeugnisse ausgedehnt wird
und so die innere Logik der Weiterentwicklung der Judastradition
hervortritt, gewinnt das Ergebnis an Stringenz.

K. charakterisiert sein Ergebnis als ..ungemein ernüchternd"
(S. 138); das ist ein subjektives Urteil. Ich finde nicht, daß das. ..was
wir historisch gesehen über Judas wissen. . . . sehr, sehr wenig" ist
(S. 137), zumal gemessen an dem, was wir über die engste Umgebung
Jesu sonst wissen. Der Judäer Judas, vielleicht einer traditionsbewußten
Familie entstammend, gehörte zum Kreis der Zwölf, den
Jesus um sich sammelte. Bei der Verhaftung Jesu spielte er „eine
undurchsichtige Rolle. Offenbar hat er sich von Jesus abgewandt und
auf irgendeine, sei es auch noch so unscheinbare Weise dazu beigetragen
, daß die nächtliche Verhaftung Jesu am vertrauten Aufenthaltsort
, ohne viel Aufsehen zu erregen, gelang." ..Wahrscheinlich waren
enttäuschte messianische Erwartungen ein Grund." ..Seinen Bruch
mit der Jesusbewegung betrachtete Juefes als endgültig"; er „kehrte im
Unterschied zu den anderen Angehörigen des Zwölferkreises nach
Ostern nicht mehr zurück" (Zitate S. 138). Das ist das historische
Fazit, das K. zieht. Man kann hier natürlich noch einige Fragen
stellen. Ganz unsicher scheint mir die Herkunft des Judas aus Judäa
zu sein; denn abgesehen von der Unsicherheit der Deutung von [skaliert
weiß niemand, wo der vermutete Ort Kerijot oder Kariot lag (vgl.
S. 41; daß nun gar Markus aus dem Beinamen „Mann aus Kariot"
herausgehört und das in sein theologisches Paradigma Galiläa -
Jerusalem eingeordnet haben könnte [so „vermutlich" S. 42] ist ganz
unwahrscheinlich); andererseits ist die Einschränkung bei dem Beitrag
des Judas zu der Verhaftung Jesu („sei es auch noch so unscheinbare
Weise") nicht gedeckt; es ist überhaupt fraglich, ob im Bereich,
um den es hier geht, derartige Einschränkungen möglich und angebracht
sind. Schließlich bleibt die ganz unterschiedliche Verbindung
eines ..Blutackers" bei Matthäus und Lukas mit Judas auffällig und
läßt nach irgendeiner historischen Verankerung fragen. Aber mit
anderen Antworten auf solche Fragen als K. sie gibt, würde sich das
historische Bild von Judas nicht entscheidend ändern; insgesamt
dürfte K. es zutreffend aus der Überlieferung herausgeschält haben.

Das eigentliche Problem des Buches stellt sich erst an dem Punkt,
um den es ihm allerdings entscheidend geht, nämlich bei der Bewertung
des Judas. „Daß angesichts der späteren schweren Verzerrungen
eine Rehabilitierung des Judas gefordert werden muß. steht außer
Frage" (S. 138). „Was immer im konkreten Fall geschehen sein mag.
gehandelt hat nicht ein dämonischer Unhold, sondern ein Mensch, zu
dessen Wesen es gehört, zu suchen und zu irren - zu irren selbst da, wo
er nach bestem Wissen und Gewissen zu urteilen glaubt" (S. I 39), Das
führt dann schließlich zu dem letzten Satz des Buches: ..Wir sollten
Judas so akzeptieren und respektieren, wie er uns bei einer kritischen
Sichtung der Texte entgegentritt: als einen Jünger des Herrn, verstrickt
in einen tiefen Widerspruch, der jederzeit der unsrige werden
kann" (S. 147). Akzeptiert und respektiert ist damit nun freilich der
Mensch, dessen Recht es ist zu sein, wie er sich darstellt, als Suchender
und Irrender, der gerade als Suchender und Irrender das Recht hat. er
selbst zu sein. Darin allerdings denken die neutestamentlichen Texte
über Judas anders. Sic halten die „Auslieferung" Jesu an seine Gegner
durch einen seiner erwählten Jünger für eine Schuld, sie halten den
Abfall von Gott nicht für das Recht, sondern für die Schuld des
Menschen. Freilich respektiert und akzeptiert deshalb das Neue
Testament auch den Menschen nicht so. wie er sich darstellt, sondern
begreift ihn als einen, der an die Sünde verloren ist. der unheil ist und
deshalb der Zuwendung des Heils bedarf. Daß die Verstrickung des
Judas jederzeit die unsrige werden kann - und das ist allerdings wahrmacht
sie nicht erträglicher! Solche Einsicht läßt vielmehr den
Menschen als Mensch und Gott als Gott erkennen. Luther hat nicht
grundlos die Erklärung jedes Gebots beginnen lassen mit: Du sollst
Gottfiirchten und lieben. Es fällt uns schwer zu akzeptieren, daß Gott
bedingungslos Nein sagt zum Nein des Menschen zu Gott. Daher
können wir das Urteil des Paulus über solche, die Christus aktiv verwerfen
lThess2.I5f, nicht annehmen, sondern wollen es durch
Rom 11.25f aufheben, obwohl doch beide Aussagen zusammengehören
. Das gilt allerdings auch für Judas; deshalb darf von ihm tatsächlich
nicht gesagt werden, er sei „der einzige Mensch, von dem wir mit
Sicherheit wissen, daß er ewig verdammt ist" (vgl. S. 147); aber das gü'
nicht Judas wegen, sondern allein Gottes wegen!

Halle (Saale) Traugott Holtz

' Vgl. ncuestensG. Schwarz. Jesus undJudas. I988(BWANT 123).

1 In der Fragerichtung, aber durchaus auch in den Ergebnissen unterscheide!
sich K. von W. Vogler. Judas Iskarioth (ThA 42). 1983 (s. dazu G. Strecker.
ThLZ 110. 1985. 814-816); schon von daher ist die neuerliche Bearbeitung des
gleichen Gegenstands berechtigt.

I.apidc. Pinchas: Wer war schuld an Jesu Tod? Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn 1987. 123 S. 8' = GTB Siebenstern
1419. DM 14.80.

Pricke, Weddig: Standrechtlich gekreuzigt. Person und Prozeß des
Jesusaus Galiläa. 3. Aull. Buchschiagb. Frankfurt (M.): Mai Verlag
1987.304 S.8". Lw. DM38.-.

Zu den erregendsten Aspekten gegenwärtiger Theologie gehört
wohl der Versuch, das Verhältnis zwischen der Kirche und dem jüdischen
Volk neu zu bestimmen und von den Belastungen und Verzerrungen
der Vergangenheit zu befreien. Vor allem die neutesta-
mentliche Exegese ist dabei gefordert. Sie hat jene Texte, die im Aus-