Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1988

Spalte:

738-740

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Stemberger, Günter

Titel/Untertitel:

Juden und Christen im Heiligen Land 1988

Rezensent:

Opitz, Helmut

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

737

Theologische Literaturzeitung 1 13. .lahrgang 1988 Nr. 10

738

politisches Verhalten in seinem Glauben und Sendungsbewußtsein
erschlossen. Den Theologen insgemein wird die Frage gestellt, wie es
um die Verständlichkeit ihrer Hotschaft und ihrer Verantwortung
gegenüber ihrem Volk bestellt ist"-so resümiert Otto Kaiser im Vorwort
Schmidts Arbeit zutreffend. Der komplexen Vita Ewalds entspricht
sein Werk: Seine Prophelendeutung ist. wie gesagt, von seinem
Selbstbewußtsein und Selbstverständnis nicht zu trennen. Seine
Haltung gegenüber weifanschaulich-philosophischen Kragen ist meistens
durch sein Verharren in den Vorstellungen älterer Systeme (z. B.
Leibniz. Kant), die seinem christlichen Weltbild entsprachen und die
biblischen Grundansichten unangetastet ließen, bestimmt. Ewalds
kirchliche und auch kirchenpolitische Einsichten könnte man zum
Teil als ..progressiv" bezeichnen; bei der Suche nach dem rechten
Verhältnis zwischen Staat und Kirche ist Ewald (Anklänge auch an
Richard Rothe!) Konllikten nicht aus dem Weggegangen, was u. a. zu
zweimaliger Amtsenthebung (Hannover und Preußen) führte. Georg
Schmidt trägt diesem komplexen Charakter auch dadurch Rechnung,
daß er Ewald in seiner eigentümlichen Aggressivität und seinem Sen-
dungsbewußtscin reichlich zu Wort kommen läßt; das Thema hätte
fast ..Ewald als Prophet" lauten können (304)! ..Aber trotz der großen
Worte, die Ewald gebraucht, bleiben entscheidende Dinge gerade für
uns Heutige unklar, und seine Aussagen weisen eine Reihe innerer
Widersprüche auf", was Schmidts Forschungen nicht gerade erleichtert
hat. Einige Ergebnisse seien angedeutet; ..Der Angelpunkt prophetischen
Wesens ist Für Ewald die geistige Verwandtschaft zwischen
Gott und Mensch. Der Geist. Vernunft und Verstand besitzende
Mensch müsse in seiner Geschichte durch den Kontakt mit dem göttlichen
Geist, der unmittelbar erfolgen könne, die ewigen und wahren
Grundgesetze der Religion und Sittlichkeit erkennen. Dies sei
sozusagen ein Buchstabieren der ewigen Ideen als dem intellectus Dei
durch den endlichen Geist. Dieser Prozeß, der paradigmatisch in der
Bibel stattgefunden habe, sei aber nicht durch dogmatische, sondern
durch historische Arbeit im Sinne einer biblischen Theologie, welche
diese .ewigen Wahrheiten' aus der geschichtlichen Form herausarbeite
. Für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Damit werde aber der
historischen Arbeit zugleich eine systematische Funktion zugewiesen,
d. h.. es bedürfe hier einer Vermittlung, um von dem Bibelwort zu
dem Wahrheitsgehalt zu kommen." (3040 Ewald hat die Mühe dieser
Vermittlung nicht gescheut, sehr zum Unterschied von manchen heutigen
Versuchen, prophetisches Pathos in allen möglichen Kontexten
in Anspruch zu nehmen, von Katheder und Kanzel bis hin zu
Massenmedien und Plenarsälen.

Für Ewald geschieht die Verkündigung der ..ewigen Wahrheiten" in
der Kirche immer in doppelter Weise: durch Predigt und Handeln.
Demnach gehört auch das. was Ewald unter ..Lebens- oder Pflichtcn-
lehre" versieht, in diesen Bereich der ..ewigen Wahrheiten". Ewald
sucht das Wesen der Religion im sittlichen Wollen und Handeln:
..Weil Gott in der Geschichte handle, müsse es der Mensch auch tun.
Dabei könne aber nur das gelten, was auf Moral gegründet sei." Dabei
hat Für Ewald der Gedanke von der ewigen Wahrheit des Sittengesetzes
Priorität vor seiner Umsetzung in die Tat (3060. was u.a.
einem kurzschlüssigen Aktionismus wehren kann.

Endlich ist auf Ewalds Futurologie hinzuweisen. Nach ihm müssen
die ewigen Gesetze der Sittlichkeit, die dem Leben des einzelnen zugrunde
liegen, auch die Norm Für das politische Leben der Staaten
abgeben (307). Historische Einsicht und Gegenwartsprophetie ergänzen
sich Für Ewald; er erwartet am Ende eine innergeschichtliche
Eschatologie auf dem Wege einer geistigen Entwicklung der Menschheit
, die die bei Gott vorhandenen ..ewigen Wahrheiten" erkennt und
aufnimmt. ..Wenn Gott z. B. Herr über alle Welt sei. dann sei er es
auch über alle Staaten. Ein Staatswesen dürfe deshalb nicht auf eine
unabhängige, unkontrollierte Gewalt aufgebaut sein" (307). was
Ewald z. B. in Preußen und beim „hündischen Napoleon" am Werk
sieht. ..Friede" ist Ewalds Ziel. Allerdings lehnt er z. B. die Parole
..Freie Kirche im freien Staat" als zu weitgehend und zu unprophetisch
ab. Hingegen befürwortet er die Duldung jeder religiösen

Gemeinschaft, sofern sie,die staatliche Ordnung nicht bedrohe. Gemeinsames
Miteinander aller Erdteile durch das Band des Welthandels
, das Aufeinanderzugehen von ..kultivierten und unkultivierten
Nationen", immer nähere Beziehungen von Nationalität und
Kosmopolitismus zueinander. Durchdringung des Nationalen vom
Weltbürgcrlichen und Weltgeschichtlichen. Annäherungen zwischen
Monarchie und Republik. Entstehung einer Gemeinschaft von Himmel
und Erde dadurch, daß Staat und Kirche in noch viel tieferem
Sinne aufeinander zugehen: Wiesich manche Hoffnungsbildcr damals
und heute gleichen!

..Trotz seiner immer wieder betonten Selbständigkeit als Gelehrter
hat sich Ewald den mannigfachen Einflüssen seiner Zeit sicher nicht
entziehen können. Das macht es schwer, ihm eine festumrissene Position
zuzuweisen. Viele der damaligen Strömungen lehnt er strikt
ab . .. Das meiste behauptet er. in eigener Arbeit selber herausgefunden
zu haben ... Wichtig scheint zum Abschluß die Feststellung zu
sein, daß Ewald-was den künftigen Gang der atl. Forschung betrifft -
sich auf ein fortan nicht mehr befahrenes Nebengleis begeben hat. an
dem die kurz nach Ewald besonders lebhaft einsetzende neuere Forschung
bis heute vorbeigeht. Das schmälert allerdings nicht Ewalds
überragende Sonderstellung als ein unsere ganze Aufmerksamkeit
verdienender Exeget und Theologe." (314)

Mit dieser gediegenen und kenntnisreichen Arbeit hat der Dörscheider
Lehrerssohn und spätere Biedenkopfer Pfarrer die atl.
Forschung bereichert. Als einer, der aus einem Lehrerhaus im Nachbarort
Weisel stammt, habe ich die Arbeit auch von daher mit Interesse
gelesen.

Darmstadt Karl Dienst

• Die Anzeige dieser Veröffentlichung, die beim Fachbereich Theologie der
Philipps-Universität. Lahntor 3. zu beziehen ist. erfolgt im Einverständnis mit
der Theologischen Fakultät zu Marburg (Lahn).

Judaica

Stemberger. Günter: Juden und Christen im Heiligen Land. Palästina
unter Konstantin und Theodosius. München: Beck 1987. 298 S. 8'.
Kart. DM 42.-.

Der Wiener Judaist versteht seine Darstellung als ..ständigen
Dialog" mit der 1946 erschienenen „Geschichte der Juden im Zeitalter
des Talmud" von M. Avi-Yona. Er möchte ein „Zwischenglied"
liefern zwischen jener letzten Gesamtdarstellung und einer neuen, der
fortgeschrittenen archäologischen Arbeit wie dem heutigen Quellen-
vepständnis gerechtwerdenden ..verantwortbaren ... Geschichte Palästinas
in frühchristlicher Zeit" (14).

Hinter seinem Bestreben, auf der Basis der archäologischen Forschungsergebnisse
seit 1946 und neu reflektierter Quellen das Verhältnis
zwischen Juden und Christen im 4. Jh. „verantwortbar"
darzustellen, steht ein allgemein wichtiges Anliegen: zwischen dem
Ende des zweiten Weltkrieges, dem Schock des Holocaust und dem
vielfältig ungeklärten Verhältnis zwischen Juden und Christen in
jener Zeit liegen nunmehr über 40 Jahre. In dieser Zeit entstand in
Palästina der Staat Israel, von der Mehrzahl der Staaten mit christlicher
Tradition anerkannt - Wiedergutmachungen durch Wort und
Tat wurden angeboten und auch angenommen, die christlichen
Kirchen fanden ein neues Verhältnis zu „Israel", und jüdische Theologen
bemühen sich um eine neue Position gegenüber Jesus und dem
Neuen Testament. Auf allen Ebenen - bis in die jüdischen und christlichen
Gemeinden hinein - sind Dialoge in Gang gekommen. All das.
ganz abgesehen von der weltweiten Antirassismus-Bewegung. fordert
nun eine kritische Überprüfung der „Idee der jüdischen Geschichte als
einer Geschichte von Leiden und heldenhaftem Widerstand" (14)
heraus.

Die Darstellung bewegt sich in dem zeitlichen Rahmen zwischen