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Ausgabe:

1988

Spalte:

698-699

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lotz, Johannes Baptist

Titel/Untertitel:

Geschichtlicher Wandel und unwandelbare Wahrheit 1988

Rezensent:

Hildebrandt, Bernd

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697 Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 9 698

sieh noch angesichts der durchaus nicht einheitlichen Arbeits- und
Argumentationsweise der einzelnen Mitarbeiter. Neben Beiträgen, in
denen die entscheidenden Schritte nachgewiesen und belegt werden,
stehen andere, die mehr erzählend und rhetorisch appellierend vorzugehen
scheinen. Deutliches Indiz ist die Tatsache, daß nur vier Beiträge
mit Fußnoten arbeiten, während sonst vielfach Nachweise in
den Text selbst hineingezogen sind, auch in Fällen, wo das die Lektüre
empfindlich behindert. Der präzise Stellenwert dieser Bezüge
bleibt verschwommen wie manche Formulierung auch. Längst überholte
Positionen mischen sich mit Anfragen, die eigentlich dazu nicht
Passen wollen. Andere Daten fallen aus - so etwa die theoretischen
Beiträge der katholischen Gegenreformation, die für eine bestimmte
Apologetik nicht nur inhaltlich, sondern auch formal stilbildend wurden
. Es fehlen auch inhaltliche Ansätze, die weiterführen können,
aber der Hg. hat trotz des globalen Anspruchs, den das Werk erhebt,
für seine Darstellung katholischer Apologie in der Neuzeit keine Vollständigkeit
erstrebt (vgl. 304), was mutatis mutandis wohl auch für das
Gesamlunternchmcn gelten soll.

So ist denn der Abschnitt „Projekt" von Modellen und typischen
Leitbildern abhängig, die in aller zusammenfassenden Vereinfachung
doch treffend sein wollen. Diese Modelle dürften vor allem an Funk-
''onen orientiert sein, die nicht direkt aus der Offenbarung entwickelt
S|nd, sondern vom „Anderen", von dem her kommen, was dem Christentum
gegenübersteht. In der Tat deutet sich damit eine Bestimmung
der fundamentalthcologischcn Aufgabe an, die zu diskutieren
bleibt. Ob sich wirklich so einfach behaupten läßt: „Die Welt als
Schöpfung ist Gnade, und die Gnade bringt ständig Akte des Schengens
hervor" (678)? Ob sich wirklich so problemlos der Bruch und-der
Abbruch der Zeit ins Spiel bringen läßt (729). ohne daß damit gerade
das hier anvisierte Projekt entleert wird, das bliebe zu sehen. Anregungen
sind auch in diesen Beiträgen zu finden, deren Kenntnis für die
Geisteslage in Italien hilfreich ist.

Gegenüber dem Anspruch dieser „Enciclopcdia" so eigenwilligen
°der zufälligen Zuschnitts bleiben Reserven angebracht. Diese haben
v,elfältige Gründe und lassen sich nicht auf einen einzigen Nenner
bringen. So ist vieles von der Art des Bandes und seiner Themen, von
den Mitarbeitern und ihren Ergebnissen her bedingt. Beiträge zur
Pundamentaltheologie haben sich in den letzten Jahren gehäuft. Auch
ln Italien liegt ein einschlägiges Angebot vor. Manches spricht dafür,
daß der Wille, sich abzusetzen und zu unterscheiden, die eine oder
andere Eigenheit dieses Bandes verursacht hat. Nicht ganz greifbar
w,rd, an welche Ziclgruppc sich das Unternehmen wenden will und
welchem präziseren Ziel als dem eines Neubedenkens der apologe-
t'schen Rechtfertigung des Christentums es dienen soll. Als Grundlage
für die Ausbildung z. B. empfiehlt es sich in der vorliegenden
Gcstalt nicht. Ein Handbuch zur fundierten Information ist es nicht,
2Umal der Inhalt durch das Namenregister nur unzulänglich aufgeschlüsselt
wird. Für Bedürfnisse der Erwachsenenbildung ist es zu spe-
z,ell und zu umfangreich sowie in der Darstellung zu breit. Aber vielleicht
ist es gerade so, wie es ist, symptomatisch. Es macht das
Bewußtsein sowohl von Bedürfnissen und Schwierigkeiten klar, es
belegt eine Fülle von Möglichkeiten und ist Zeugnis des unabsehbar
gewordenen Materials, das in den letzten Jahren und Jahrzehnten
durch positive theologische Untersuchungen neu erarbeitet wurde. Es
belegt das Stadium der Sammlung, der Suche danach, mit der sich
anhäufenden Vielfalt fertig zu werden. Der dazu ins Spiel gebrachte
Sebr allgemeine Raster wird indes nicht von allen Mitarbeitern angewandt
- T. Citrini weist 562 daraufhin, seine ekklesiologischen Ausführungen
seien wenig geeignet, solche Grundfragen zu entwickeln -
ünd wirkt sich unterschiedlich aus. Er bleibt auf jeden Fall zu generell
Und undifferenziert, um überzeugende Ergebnisse zu erbringen. Viel-
'e'cht hat man von vornherein das Ziel zu hochgesteckt und die Hindernisse
gegen seine Verwirklichung unterschätzt. Sicher wird - trotz
al|er Anregungen im einzelnen - dieses Unternehmen nicht die katholi-
^be Fundamentaltheologic der Zukunft sein, auch nicht in Italien.

Rom Karl H. NcufcIdSJ

Lot/., Johann Baptist: Geschichtlicher Wandel und unwandelbare
Wahrheit. Salzburg: Müller 1986. VIII, 178 S. 8 Kart.
DM 52,60.

Das Verhältnis von Geschichtlichem und Absolutem wird mit der
Intention erörtert, der Relativierung von Wahrheit und Sittlichkeit
entgegenzutreten. Ausgangspunkt für den katholischen Vf. ist das
grundsätzliche Ja zur Geschichtlichkeit des Menschen. Dieses Ja
bedeutet keineswegs die Negierung des Absoluten. Im Gegenteil! Das
Absolute erweist sich vielmehr als ermöglichender Grund des Geschichtlichen
und somit als dessen tieferer Gehalt. Diese These will
der Vf. - gleichsam in scholastischer Weise ünd auf dem entsprechenden
philosophischen Abstraktionsniveau-beweisen.

In allem Wandel hält sich Unwandelbares durch. Was dieses ist.
wird unter Bezugnahme auf Gedanken Heideggers vor allem mit dem
Begriff des Seins entfaltet. Personsein charakterisiert der Vf. als Rückkehr
des Menschen zu dem ihm eigenen Sein, als Ver-inncrlichung.
die an das „Sein-selbst als dem Inncrsten-überhaupt" rührt (S. 16).
„Da aber Ver-innerlichung Werden besagt, ist für den Menschen das
Sein dem Werden unterworfen oder teilt sich ihm das Sein stets als
geschichtlicher Prozeß mit und hat es damit selbst geschichtlichen
Charakter" (S. 37). Was aber hindert dann daran, daraus die Relativität
der Wahrheit abzuleiten? Schon das Begreifen der Relativierung
als solcher setzt ein Ubergeschichtliches voraus (S. 39). Vor allem jedoch
ist es die Vernunft, in welcher über das Erfahren hinaus im Begreifen
, Urteilen und Schlußfolgern das Hervortreten des Seins aus
dem Seienden erreicht wird (S. 52). Dieses Hervortreten ist ein andauernder
Prozeß, so daß sich nur durch die geschichtlichen Wahrheiten
hindurch die Wahrheit darstellt.

Konsequenzen hat diese zunächst rein philosophische Analyse
auch für die Gültigkeit dogmatischer Aussagen: Es sind nämlich auch
„alle dogmatischen Sätze überholbar, weil sie durch andere, die das
Geheimnis genauer, reicher und tiefer fassen, ergänzt und sogar ersetzt
werden können" (S. 73). Zu ähnlichen Einschränkungen gelangt der
Vf. auch auf dem Gebiet des Sittlichen. Die Geschichtlichkeit des Sittlichen
wird gegenüber einer starren Normenethik und einer gänzlich
relativierenden Situationsethik behauptet. Es lassen sich im vernünftigen
Nachdenken Grundwerte mit unbedingter Gültigkeit erheben.
Ebenso aber ergibt sich aus dem Wesen der Geschichtlichkeit heraus
notwendig der Wandel von Normen. Konkret wird dies an der Ehemoral
vorgeführt, in welcher zunehmend die Eigenbedeutung der liebenden
Vereinigung von Mann und Frau entgegen der Unterordnung
dieser unter die Fortpflanzung Raum gewinnt (S. 107). Damit ist auch
eine differenziertere Sicht der mit der Enzyklika „Humanae vitae"
aufgeworfenen Probleme eröffnet. Es „kann der Fall eintreten, der
nach den neueren Überlegungen auch tatsächlich eingetreten ist. daß
man über die lehramtliche Auslegung hinausgehen muß, um das von
Gott gegebene Wesensgesetz jener Verknüpfung zu treffen. Danach
läßt sich die heutige Situation der Übervölkerung und des Hungerelendes
mit jener Auslegung nicht meistern, wodurch deren Anwendung
darauf sinnlos zu sein scheint. Der hierin liegende Anstoß treibt
über die Auslegung hinaus und führt zu der Entdeckung, daß die Bedingtheit
jener Verknüpfung weiter reicht, als man bisher annahm,
und ein direktes Eingreifen unter diesen extremen Bedingungen und
damit grundsätzlich nicht ausschließt" (S. 117). Das Plädoyer für eine
Beweglichkeit der sittlichen Einstellung auf der Grundlage der Gewissensbindung
des einzelnen geht von der Beachtung der durchhaltenden
Gültigkeit aus. Auf diese Weise entspricht dann auch die geforderte
Beweglichkeit „genau der Struktur des Gegebenen selbst, dessen
Wandelbares sich als Entfalten des Unwandelbaren darstellt"
(S. 121).

Abschließend wird in dem Buch die Frage gestellt, ob es mit der
Erkenntnis des Absoluten im Relativen, des Seins im Seienden und
des Gaj>zen in den Teilen sein Bewenden habe oder ob nicht vielmehr
aus der Sache heraus das Absolute streng als reine Transzendenz bzw.
als das subsistierendc Sein gefaßt werden müsse (S. 135). Eben dies