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Ausgabe:

1988

Spalte:

47-50

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Theologie und Literatur 1988

Rezensent:

Sänger, Peter-Paul

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Theologische Literaturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 1

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zum Begriff der Geschichte S. 124IT wäre die fortwirkende Bedeutung
des Hamannschen Erbes bei H. zu bestimmen.) Um Engfiihrungen in
der H.-Interpretation auszuschließen, kann auf eine Untersuchung
der Hermeneutik H.s im Zusammenhang von dessen Sprachphilosophie
nicht verzichtet werden; der homiletisch-funktionale, religions-
■pädagogisch-gesellschaftskritische Aspekt allein genügt nicht. - Auch
in Zukunft gebührt der Primat einer werkimmanenten Interpretation:
H.s theologisches proprium kann weder im Rahmen der Neologie
noch von späteren Positionen einer partiellen H.-Rezeption her erfaßt
werden.2 Mit Recht urteilt Federlin: „In der Zeit stehend hatte H.
doch seinen unvergleichlichen Standort." (S. 120 Anm. 20)

Jena Eberhard Pältz

1 ..Zur Bedeutung des Christenglaubens für die Humanitätsvorstellung
J. G. Herders" s. den Beitrag des seinerzeitigen Jenenser Forschungsstudenten
Udo Huß, der die Thematik weiterbearbeitet, im „Amtsblatt der Ev.-Luth.
Kirche in Thüringen" Jg. 35, 1982, 156, 160-168.

2 Der jetzt vorliegende Beitrag von E. Herms, Herder: TRE Bd. XV, 1986,
70-95 erschließt mit der Markierung der „Grundzüge seines Werks" eine
adäquate Gesamtdeutung des philosophischen und theologischen Denkens H.s,
die eine von der H.-Forschung seit langem geforderten Darstellung der Theologie
H.s näherbringt.

Christliche Kunst und Literatur

Jens, Walter, Küng, Hans, u. Karl-Josef Kuschel [Hg.]: Theologie
und Literatur. Zum Stand des Dialogs. München: Kindler 1986.
272 S.8°.'

Wie ein Buch vorstellen, dessen Inhalt Diskussion einer Tagung2
war mit einem „Programm" (267-269), angefangen von der „Exkursion
auf den Spuren des Pfarrers und Poeten Eduard Mörike" bis zu
„Öffentlichen Autorenlesungen"? Wird es darauf ankommen, neben
den Thesen und Gegenthesen in Referat und Korreferat den Gang des
Gesprächs mitzuvollziehen, wie er vom „Mitarbeiterstab" der
„Tagungsleitung" in den „Diskussionsberichten" nachgezeichnet ist
(67,78,91, 107, 178,240)? Es scheint wohl richtiger, das Buch als
solches ins Auge zu fassen, als publizierte Zwischenbilanz „Zum
Stand des Dialogs", richtiger also, von dem ihm mitgegebenen Untertitel
auszugehen, den ja die Tagung nicht trug. Wir werden Fragen an
das Buch zu richten haben.

I. Was will der in Gang gekommene Dialog? - Das „Vorwort" (5)
verweist auf zwei vorhergehende Publikationen, die ebenfalls „zeigen,
worum es in der Sache . . . geht"'. Es selbst formuliert das Ziel als die
Frage, „wie sich im Medium der Literatur für unsere Zeit signifikante
und theologisch relevante Probleme spiegeln. Um die Erkenntnisfunktion
der Literatur und Literaturwissenschaft für die Theologie"
ist den Hgg. zu tun (9). Wirklich entsteht der Eindruck, daß Theologen
die eigentlich Nehmenden sind. Aber: „Geben ist seliger als nehmen."
Die dennoch beabsichtigte „Gegenseitige Herausforderung" von
Theologie und Literatur, die Hans Küng in seinem programmatischen
Beitrag (24-29) entwirft, verdichtet sich ihm zu einer „kleinen
Vision": daß Theologen eine Zweckbenutzung von Literatur ebenso
unterließen wie ein bloß binnentheologisches und innerkirchliches
Problematisieren, wohl aber sich fragten, „ob ihr Denken und Reden
Bestand hätte vor dem Werk eines Thomas Mann, eines Hermann
Hesse, eines Robert Musil oder Bertolt Brecht" (28); und wiederum
daß Schriftsteller nicht nur die erhellende Hilfe der Humanwissenschaften
zu schätzen wüßten, „sondern auch die Theologie . . „die ihr
Eigenes so zu sagen hätte, daß sie sich unverzichtbar macht" und sich
Schriftsteller fragten, „ob ihr Reden vom Menschen, vom Ethos, von
Religion Bestand hätte vor dem Werk eines Nikolaus von Kues, eines
Pascal, eines Kierkegaard, aber auch eines Karl Barth und Paul
Tillich" (28,29).

Weniger knapp und klar spricht Walter Jens in seiner Grundsatzerklärung
„Möglichkeiten und Grenzen eines Dialogs im 20. Jh."
(30-56). Sie ist streckenweise eine wahre Philippica gegen gewisse
„kirchliche Kreise" und andererseits eine panegyrische Rede auf
Kierkegaard als den „reflexionsmächtigen Archipoet der religiösen
Literatur" (40). Jens kommt beladen mit Kierkegaard, Dostojewski
und Paul Celan daher, möchte unter dieser Last bei dem alten Fontane
hervorschlüpfen, tut es dann lieber bei dem jugendlichen
Bobrowski und läßt die Frage nach dem nüchternen Sinn seiner leidenschaftlichen
Darbietung offen. Nicht nur „Tränen-Trieschke"
(53), „Teufel auch, Barth" hat schwer unter ihm zu leiden: Gestützt
auf ein einziges kurzes Zitat geht Jens vehement gegen Barths Gotteslehre
an als gegen die Erkenntnis von Gottes Herrlichkeit und Schönheit
- schade.4 Die Rede kulminiert in der Vermutung, die Literatur
sei „erst jetzt in der Lage, der Theologie . . . die Melodie vorzuspielen
- jene von Pathos und Präzision, Nüchternheit und Entzückung
bestimmte Diktion, die Pastoren-Rede in Frage stellt, theologische
Begriffe aufrauht, dogmatische Definitionen verfremdet und der
Theologie . . . neue Verbindlichkeit, neue Uberzeugungskraft durch
ein Sich-Einlassen auf die Weltlichkeit einer Welt gibt. .." (54). Hier
wird das Nehmen eindeutig der Theologie zugewiesen.

2. Welche Beiträge stechen aus dem so eingestimmten Dialog hervor
?- Im ersten Teil „Programmatisches" fällt der Essay des Schriftstellers
Peter Härtling (17-23) auf, der entgegen dem Zwischentitel
nichts grundsätzlich Wegweisendes enthält. Er gibt am Beispiel Möri-
kes die Beschreibung eines offenbar als exemplarisch empfundenen
Problems: „Es fällt auf, wie wenig er predigte, mehr noch, daß er sich
scheute, auf die Kanzel zu steigen . . . Ihm war das Wort tatsächlich
heilig. Was er zu leben nicht fähig war, konnte er schreiben" (22).
Mörike ist so etwas wie der Schutzpatron dieses Dialogs, zitiert und
analysiert, aber auch als unzureichend beklagt (Kurz 2261"). Hier wird
man, ohne Härtling zu verletzen, sagen müssen: Sein schöner Essay ist
nur eine Schwelle, kein Schritt auf dem Weg der Diskussion.

Im zweiten Teil „Text und Kritik", in dem Lyrik und Prosa von
Härtling, de Bruyn, Gertrud Fussenegger und Kurt Marti diskutiert
werden, ragt das Kapitel „Frauendienst" (70-78) aus einem „noch
unveröffentlichten Roman" von Günter de Bruyn heraus (Arbeitstitel
: „Pazifisten"). Der Autor schildert ein abgebrochenes Beichtgespräch
, dem routinehaft die Absolution für Sünden folgt, die keine
sind, während die wirklichen im Umfeld von „Kriegs- und Konkordats
- und Judenproblematik" nicht, auch keinem sonst abgefragt werden
, obwohl sie doch unter dem „Verbot der Menschentötung"
stehen. Der in einer hymnisch skandierenden Prosa geschriebene Text
kann als überzeugend im Sinne des gestellten Tagungsthemas gelten
(Diskussionsbericht 78-80). Sein Vf. hat zwar nicht direkt Anregungen
der Theologie übernommen, wohl aber katholische Frömmigkeit
und Kirchlichkeit so gestaltet, daß die Erzählung als „Urkatholisch",
aber auch als kirchenkritisch empfunden werden kann. Beides resultiert
aus der Vielschichtigkeit des'von de Bruyn gelieferten Beispiels.
Es hat einen kirchlichen Stoff, ist jedoch von gesamtgesellschaftlicher
Bedeutung, und das ist das eigentliche. Auch hier erweist sich Literatur
als gut beraten; Kirche und Theologie sind mit der ganzen
Gesellschaft zugleich angefragt.

Im dritten Teil „Analysen" sind sowohl „literaturwissenschaftliche
" (113-185) wie „theologische" (186-244) versammelt. Versteht
man darunter TVxtanalysen, ist leider zu sagen, daß sie im strengen
Sinn nur von Literaturwissenschaftlern unternommen werden.
Dabei führt der Germanist Theodore Ziolkowski den Ungetümen
Begriff der „Literaturtheologie" und des „Literaturtheologen" ein
(115, 119 u. ö.), der nun durch den Band geistert, wenn auch nicht
unwidersprochen. Walther Killy lenkt mit dem „Begriff des Mythos
bei Goethe und Hörderlin" (130-I45)a!lem Anschein nach aufeinen
Nebenweg, der jedoch dem Korreferenten Wilfried Barner die Frage
aufgibt: „Literaturtheologie oder Literaturmythologie?" (146-161).
Barner will sich nicht für solche Wortungeheuer verwenden - sein
Beitrag gewinnt dadurch Gewicht, daß er zur „Neuen Mythologie"