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Ausgabe:

1988

Spalte:

691-693

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Tillard, Jean-Marie-Roger

Titel/Untertitel:

Église d'Églises 1988

Rezensent:

Birmelé, André

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 9

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lieber Schulen im Blick auf die Rechtfertigung. Der Vf. führt hier die
frühe dominikanische, die frühe franziskanische, die spätere franziskanische
Schule auf und wendet sich abschließend der via moderna
sowie der mittelalterlichen augustinischenTradition zu. Ein abschließender
Paragraph des ersten Bandes fragt dann nach den Vorläufern
der reformatorischen Lehrausbildungen im Blick auf die Rechtfertigung
.

Im II. Band setzt McGrath mit der Beschreibung der Entdeckung
der „Gerechtigkeit Gottes" durch Luther ein. Die reformierte Tradition
wird in ihrem Ursprung (Zwingli, Bucer, Calvin) dagegen relativ
kurz abgehandelt (II, 32-39), obwohl der englischsprachige Protestantismus
durch den reformierten Flügel der Reformation erheblieh
mehr beeinflußt worden ist als durch Luther. Das Rechtfertigungsverständnis
in der protestantischen Orthodoxie kommt dann in der lutherischen
und reformierten Ausprägung in einem zusammenfassenden
Kapitel vor. Das in vielen Fragestellungen gegenreformatorische
Konzil in Trient (1545-1563) mit seinen-Nachwirkungen erhält ein
eigenes Kapitel, ebenso das Vermächtnis der englischen Reformation
bis Hin zu dem großen Reformer Kardinal Newman.

Die Aufklärungszeit mit ihrer Kritik an orthodoxen Lehrmeinungen
auch über die Rechtfertigung, die Radikalkritik an der Aufklärung
durch Kant und Schleiermacher und schließlich für die Auffassungen
im 19. Jh. Albrecht Ritsehl bekommen breiten Raum in der Darstellung
. Die dialektische Theologie in der Rechtfertigungslehre wird nur
durch einen einzelnen vorgestellt, durch Karl Barth. Abschließend erfolgen
Darlegungen über die Rechtfertigung als generelles hermeneu-
tisches Prinzip (§38, II, 184ff).

Der große Vorzug des zweibändigen Werkes ist der Versuch, das
Rechtfertigungsverständnis nicht als Reservat des Protestantismus
hinzustellen. Die römisch-katholische und anglikanische Lehrbildung
haben zum Thema Erhebliches beizutragen. Diese Erkenntnis ist lehrreich
, auch wenn Vertreter evangelischer Lehrmeinungen an verschiedenen
Stellen ihre Vorbehalte gegenüber manchen behaupteten her-
meneutischen Grundregeln äußern werden, die beim Vf. als fest verankert
erscheinen. Dessen ungeachtet ist sehr anerkennend hervorzuheben
, daß der Vf. neu und in vieler Hinsicht differenziert aufmerksam
machen will auf den für christliche Lehrbildung unerläßlichen
„articulus stantis et cadentis ecclesiae" (II, 191).

Das Werk will Analysen vermitteln über die Art, wie frühere Generationen
die bemerkenswerte Einsicht verstanden und artikulierten,
daß Gott Sünder rechtfertigt. McGrath hält es für ein Vermächtnis
christlicher Lehrtradition, die Aufgabe zu erkennen, daß das Rechtfertigungsverständnis
neu artikuliert und verteidigt wird (s. o.). In dieser
erneuten Weisung für den Blick nach vorn wird man dem Vf. nur
zustimmen können. Offenbar ist es nicht nur rein philologisches Interesse
, wenn er sein zweibändiges Werk über die Iustitia Dei mit dem
deutschsprachig zitierten Goethe-Dictum im Faust abschließt: „Was
du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen"
(a. a. O.).

Görlitz Joachim Rogge

Kirchen- und Konfessionskunde

Tillard, J. M. R.: Eglise d'Eglises. L'ecclesiologie de communion.
Paris: Cerf 1987.415S.8-. Kart, ffr 149.-.

Der Titel des Buches kann beirren. „Kirche der Kirchen" mag zunächst
sehr ökumenisch klingen, um so mehr, als der Autor, der in
Kanada lehrende französische Dominikaner J. M. R. Tillard, katholischer
Vize-Präsident der Kommission „Glaube und Kirchenverfassung
" des Ökumenischen Rates der Kirchen sowie katholischer Vorsitzender
des bilateralen römisch-katholischen/orthodoxen Dialogs
ist. Es wird hier kein ökumenisches Einheitsmodell ausgearbeitet und
vorgeschlagen. Weltkirchenrat, Christliche Weltfamilien und Einheitsbemühungen
stehen nicht zur Debatte, auf sie wird auch in den

Fußnoten nicht hingewiesen. Der Vf. will eine römisch-katholische
Ekklesiologie vorlegen. Er tut dies, indem er sich exklusiv auf seine
besondere Tradition konzentriert und das nicht Römisch-Katholische
nicht zur Sprache bringt (auch nicht die bekannten Theologen anderer
Traditionen, wie das Personenregister zeigt). Dies ist bereits eine kritische
Anfrage an dieses Buch. Man muß sich wundern, daß der Autor
sich nicht gezwungen fühlt, den Beitrag anderer Traditionen für eine
römisch-katholische Ekklesiologie zu berücksichtigen, um so mehr,
als der Autor bestens über die weltweite interkonfessionelle Ökumene
informiert ist, wie er es des öfteren bewiesen hat.

Tillards Absicht ist es, endgültig von den rein strukturellen Kirchendefinitionen
Abschied zu nehmen. Das Kirchenverständnis Bellarmins
hat seine Zeit hinter sich, es geht nun darum, den alten traditionellen
Begriffen (wie Volk Gottes, Gemeinschaft, Amt, Ortskirche
usw.) einen neuen positiven Inhalt zu geben. Von dem neutestament-
lichen Verständnis der Kirche als Gemeinschaft ausgehend, stellt der
Autor fest, daß die wahre Kirche in der Ortskirche (d. h. der Diözesan-
kirche) verwirklicht ist. Ihre ganze Fülle jedoch erhält sie erst in und
durch die Gemeinschaft mit den anderen Ortskirchen, die den gleichen
apostolischen Glauben bekennen, die gleiche eucharistische
Wirklichkeit ausdrücken und das gleiche Amt teilen. Die Kirche Gottes
geht aber nicht nur auf das Neue, sondern auch auf das Alte Testament
zurück. Tillard betont die enge Verbindung mit dem Volk Israel,
das bereits ein priesterliches Volk war (priesterlich bedeutet ein geheiligtes
Leben führen, siehe S. 125 f). Jede Eucharistie der Kirche ist daher
Gemeinschaft mit Israel (S. 139).

Auf der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils definiert Tillard
diese Kirche als sowohl das Mysterion wie auch als das Volk Gottes.
Die genaue Artikulation dieser beiden Grundelemente ist eine Grundaufgabe
der Ekklesiologie, die das Konzil dadurch löste, daß es die
Kirche als Sakrament Gottes definierte, so auch Tillard. Er hebt zwei
Ebenen der Gemeinschaft der Kirchen hervor. Diese müssen unterschieden
, dürfen aber nicht getrennt werden; die Gemeinschaft der
Bischöfe, deren Haupt der Bischof von Rom ist, und die Gemeinschaft
der Gemeinden (S. 1730- Der Vf. bemüht sich, das enge Verflochtensein
beider sowie die nötige Unterscheidung deutlich zu machen, z. B.
am Verhältnis sensus fidelium - magisterium (S. 145 0- 'n seinem dritten
Teil betont er die Notwendigkeit und Besonderheit des ordinierten
Amtes als entscheidender Dienst für die Gemeinschaft. Das Amt ist
einerseits der gesamten Ortskirche aufgetragen, doch hat der Bischof
die besondere Aufgabe, der Eucharistie vorzustehen und so die Gemeinschaft
mit den anderen Ortskirchen zu bewahren. Auf analoge
Weise ist der Bischof von Rom Diener der Diener und wacht über die
Gemeinschaft der Bischöfe (Kapitel IV).

Der Dialog mit dem Vf. ist zugleich leicht und schwierig. Er ist
leicht, weil J. M. R. Tillard seine Thesen klar, deutlich und auch oft
provokativ formuliert. Er ist schwierig, denn sein Umgang mit der
Sprache führt zu Formulierungen, die überraschend und zweideutig
sind und erklärt werden müßten. Was heißt z. B.: das Amt „tritt in
die Offenbarung ein" (S. 225)? oder: „durch den Geist Christi getrieben
, schafft er (der Leib.d. h. die Kirche) Werke, die in ihm und durch
ihn Werke des Herrn sind" (S. 298)? Ähnliches läßt sich vom Sakra-
mentsbegriff sagen: „Die Gemeinschaft ist vor Gott sowohl . . . empfangene
charis, auszubreitende doxa, Sieg über den Haß und zu verkündende
Liebe. Mit einem Wort, sie ist sacramentum des in Gottes
Geheimnis eng verborgenen Mysterions" (S 71), weiter „Die Kirche
Gottes hat als Auftrag . . . durch ihre Sorge Gemeinschaft mit der großen
Bruderschaft der Armen zu halten und dieser ihren wahren Platz
in ihrer Gemeinschaft zu geben, ein .Sakrament' des kommenden Re>"
ches zu sein" (S. 100). Man wird vergeblich z. B. nach einer anderen
Erklärung der Anwendung des Sakramentsbegriffes auf die Kirche
suchen. Theologisch ist dies nicht zureichend. Das II. Vatikanische
Konzil hat diesen Begriff im Blick auf die Kirche eingeführt, ihn aber
nicht weiter erklärt. Tillard übernimmt die Begrifflichkeit und erklärt
nicht mehr. Seine Formulierungen sind anregend, und man möchte in
ein Gespräch eintreten, man möchte aber auch genaueres wissen.