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Ausgabe:

1988

Spalte:

670

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Die Mitte des Alten Testaments 1988

Rezensent:

Bernhardt, Karl-Heinz

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Seite 1

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669

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 9

670

Kap. 5; S. 134-166) veranschaulicht und unterbaut. Im Dtn steht
vieles, was Tür das AT wesentlich ist (betr. Gott. Tempel, Menschlichkeit
, Volk und Völker, Land, Familie, Gericht, Heil, Umkehr,
Mensch als Sünder, Krieg). Da das Dtn bei vielen seiner Anliegen
Kompromisse schließen muß zwischen dem, was ist und dem, was
sein soll oder wird, ist es für ein Leben in diesen Spannungen wichtig,
und mit seinen offenen Fragen (z, B. der eine JHWH und die anderen
Götter) bietet es Denkmodelle und Lebenspraktiken an, die jeweils
analog zu bewältigen sind.

Teil III schließlich (S. 167-239) mit den Kapiteln 6 und 7
(S. 167-199 und 200-239) geht nochmals thematisch auf die Fragen
einer vereinheitlichenden (unifying) und konstruktiven Annäherung
an die Gesamtproblematik ein und fragt (Kap. 6), ob wir eine AT-
Theologie formulieren können. Welche Beziehungen hat marfgesucht
zwischen dem so verschiedenen atl. Material? Welche Nachteile und
Grenzen läßt ein solcher Versuch (z. B. von Eichrodt) erkennen? Wird
die Einheitsschau von außen herangetragen? Entfernen sich Hypothesen
zu weit von den Texten? Die Darstellungen von v. Rad und
Childs sind in sich großartig, bieten aber keine AT-Theologie, die notwendig
systematische Zusammenschau bieten muß. Folglich sei
Eichrodts Versuch weiterzuführen. Eine Theologie des AT ist nicht
deskriptiv-rekonstruierend, sondern konstruktiv-kreativ, sucht nicht
den höchsten gemeinsamen Faktor der verschiedenen Versionen atl.
Glaubens, sondern den niedrigsten gemeinsamen Nenner, auf dem
diese verschiedenen Ausprägungen ihren Ort finden können (184).
AT-Theologie zeigt, was aus dem Glauben des AT für die Menschheit
bedeutsam ist (185), und dabei zieht der christliche Theologe auch das
NT heran, ohne das er keine theologischen Urteile fällt. Jedes dei beiden
Testamente ist im Kontext des anderen zu sehen, damit so biblische
Theologie entsteht. Als Beispiel solcher „Konstruktion" wird
u-a. die Rolle einer individuellen Erlöserfigur und ihre Bedeutung
(von Mose bis zum Menschensohn) genannt. Bei aller Fülle von Polaritäten
(Erwählung und Universalismus, Gericht und Gnade, Glaube
und Ungewißheit) muß eine Theologie des AT eine Zusammenschau
üben. z. B. von den verschiedenen Wertungen des Exils und den Antworten
darauf. Die eigene Situation des heutigen Theologen ist dann
für die Bewertung der oft komplementären, ja gegenläufigen Entwürfe
w'chtig. Kap. 7 geht einer solchen Polarität nochmals paradigmatisch
nach. nämlich dem Verhältnis von Schöpfung und Erlösung im AT,
v°n Heilsgeschichte und Natur, Segen und Rettung, Weisheit und
Heilsgeschichte. Resultat: Die Welt, welche Gott erlöst, ist die seiner
Schöpfung; die von ihm geschaffene Welt braucht die Erlösung; Erlö-
SUr>g geschieht zu neuem Leben vor Gott; die erlöste Menschheit
schaut aus auf die endgültige Erlösung und Neuschöpfung. Jeder
Aspekt steht in Spannung mit anderen. Man kann und soll aber nicht
^r den einen gegen den anderen optieren, sondern: "The challange of
'he construetive approach to OT Theology is to hold them together as
'he varied facets of the dialectic or complementary or counterpoint
su8gested by the OT's treatment of God's involvement in the regulari-
'■es of our lives and his acts ofdeliverance in history, so that the whole
can be fruitful forourown faith and living." (Schlußsatz des Buches)

Dies ist ein wichtiges, interessantes und beinahe spannendes Buch.
Wären zuweilen kritischere Positionen aufgenommen worden (z. B.
betr. Vätergeschichten oder Restvorstellung), wäre alles noch komple-
Xer geraten. So ist der Versuch lobenswert, zugleich aber auch pro-
blembeladen in zumindest zwei Bereichen. Es wird nicht immer ganz
deutlich, worauf Vf. seine Wertungen gründet, woher er z. B. weiß,
was „wahrer" ist. Und vor allem: Sucht er die Einheit des biblischen
Zeugnisses durch den gemeinsamen niedrigsten Nenner (worin begeht
dieser?) oder nicht letztlich doch durch Harmonisierung? Hier
Wird weiterzufragen sein, aber mit all dem Material und der Diskus-
s'°n im Rücken, die G. gut aufbereitet hat. Das Buch verheißt eigent-
"ch eine eigene AT-Theologie, die offen ist Für das Anliegen bibli-
Scher Theologie. Ob es eine Erfüllung dieser Verheißung(en) gibt?

Neuendettelsau Horst Dietrich Preuß

Smend, Rudolf: Die Mitte des Alten Testaments. Gesammelte
Studien, Bd. 1. München: Kaiser 1986. 246 S. 8- = Beiträge zur
evang. Theologie, 99. DM'38,-.

Rudolf Smend hat sich in seinen Veröffentlichungen im besonderen
Maße mit der Frage nach jenen Aussagen des Alten Testaments
beschäftigt, die sich um eine „Mitte" gruppieren, von der aus
oder zu der hin sich die Botschaft des Alten Testaments für den neu-
testamentlichen Christusglauben erschließt und verbindlich wird.
Zwölf Aufsätze zu dieser Thematik aus den Jahren 1963 bis 1982, die
in Fachzeitschriften oder Festschriften erschienen sind, vereinigt der
erste Band der „Gesammelten Studien". In der Zusammenstellung
wird das Mühen des Vf. um eine theologische Orientierung der Bibelwissenschaft
(und um eine biblische Orientierung der Theologie)
unter Berücksichtigung und kritischer Auseinandersetzung mit heilsgeschichtlichen
Entwicklungen von verschiedenen Ansätzen aus
besonders deutlich, so daß man von einer „Alttestamentlichen Theologie
" in Aufsätzen sprechen kann. Die Studien sind hinsichtlich Literatur
- soweit erforderlich - auf den neuesten Stand gebracht. Bibelstellenregister
sowie Stichwort- und Autorenverzeichnis wurden hinzugefügt
.

K.-H. B.

Judaica

Sandelin, Karl-Gustav: Wisdom as Nourisher. A Study of an Old
Testament Thcme, its Development within Early Judaism and its
Impact on Early Christianity. Abo: Abo Akademi 1986. 274 S.
gr. 8' = Acta Academiae Aboensis, Ser. A. 64,3. dkr 85.-.

Diese Arbeit steht, wie vom Vf. auch ausdrücklich in der Einleitung
vermerkt, im Zusammenhang mit dem in den letzten 20 Jahren stark
gestiegenen Interesse an den jüdischen Weisheitsüberlieferungen.
Dabei kommt über das AT und das frühe Judentum hinaus nun auch
das NT immer mehr in das Blickfeld, selbst wenn die Vorbehalte der
Neutestamentier immer noch groß sind. Der Vf. hat sich auf ein
Thema konzentriert, das auch den Titel der Arbeit abgibt: Weisheit
als Ernährerin. Allerdings zeigt sich im Verlaufe der Untersuchung
sehr deutlich, wie schwer es ist, diesen Motivzusammenhang scharf
abzugrenzen. Es geht nicht nur darum, daß die Weisheit metaphorisch
als Speise und Trank bezeichnet und die Aufnahme der Weisheit
demgemäß als Essen und Trinken beschrieben werden kann. Die
Weisheit tritt selbst als Veranstalterin eines Gastmahls und damit als
Gastgeberin auf. Sie lädt zu diesem Mahl ein. Sie ist selbst Speise, ja,
himmlische Speise und himmlischer Trank. Wie weit der Kreis dabei
zu ziehen ist, zeigt sich besonders bei Philo von Alexandrien. Hier
behandelt der Vf. denn auch als Metaphern für die ernährende Funktion
der Weisheit: Weisheit als Himmel und verheißenes Land (89);
Weisheit als Lebensbaum (91); Weisheit als Wein (92); Weisheit als
Quelle und Brunnen (94); Weisheit als Fels in der Wüste (96); Weisheit
als Mutter (96); Weisheit als Frau (98); Weisheit als Strom (100).
Es wird also fast der ganze Kreis der personifizierten Weisheit abgesehritten
.

Die traditionsgeschichtliche Untersuchung gliedert sich in drei
Teile: 1. Weisheit als Ernährerin im AT und im frühen palästinensischen
Judentum; 2. Weisheit als Ernährerin im hellenistischen
Judentum; 3. Die Wirkung der Idee der Weisheit als Ernährerin in der
frühen Christenheit.

Wie die Gliederung zeigt, werden palästinensisches und hellenistisches
Judentum nebeneinander abgehandelt. Das heißt für den Vf.
aber nicht, daß hier keine Verbindungen gezogen werden können.
Basistext ist für das palästinensische ebenso wie für das hellenistische
Judentum Spr9,l-6. Für das hellenistische Judentum wird »vom
LXX-Text ausgegangen.

Die Vorstellung von der Weisheit als Ernährerin wird dann durch
die beiden Gestalten des Frühjudentums hindurch verfolgt. Für das
palästinensische Judentum werden nach Spr9,J-6 das Buch Jesus