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Ausgabe:

1988

Spalte:

666-667

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Stipp, Hermann-Josef

Titel/Untertitel:

Elischa, Propheten, Gottesmänner 1988

Rezensent:

Hentschel, Georg

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 9

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(vor ihr) erschienen und X. hat meine Sklavin gepackt, sie in den .Kaufladen'
gebracht und sie enljungfert'. hat er erklärt. L. ist erschienen und .Seine Sklavin
kenne ich nicht, ich habe sie nicht entjungfert', hat er erklärt. Seine (des K.)
Zeugen sind aufgetreten und haben es [sc. die Klage des K.] bewiesen. Die Ratsversammlung
von Nippur ist erschienen und .Weil er die Sklavin ohne (Kenntnis
/ Einverständnis ihres) Eigentümers entjungfert hat' - so erklärten sie - muß
L. '/j Mine Silber dem K.. ihrem Eigentümer, darwägen.' Die Ratsversamm-
!ung hat dieses Urteils gefällt."

Wie erkennbar, berührt der sumerische Text nur Einzelaspckte des
in Dtn 22,13-21 vorgeführten Falles. Eine unmittelbare mesopotami-
sche Parallele existiert dazu nicht, so daß von der „Einzigartigkeit"
dieses alttestamcntlichen Gesetzes gesprochen werden kann; doch
vereinigt es in sich eine Reihe mit dem zweistromländischen Recht
vergleichbarer und mit ihm verwandter Elemente, die die besondere
Ausformung des alttestamcntlichen Gesetzes und seiner Voraussetzungen
erklären.

Damit kommt C. Locher recht eigentlich erst zum Hauptteil seines
Werkes, in dem er. wie er sagt, Dtn 22,13-21 „drei Reihen" keilschriftlicher
Rechtsurkunden gegenüberstellt, anders gesagt, drei herausragende
Einzelclemcnte des alttestamcntlichen Textes dadurch erhellt
, daß er dazu passende oder zumindest verwandte Parallelen aus
dem Keilschriftrecht beibringt und durch sie den Verständnishorizont
der alttestamcntlichen Formulierungen erweitert. Damit sind die
Kap. 11I-V des Werkes ausgefüllt; sie befassen sich mit der ..gewohnheitsrechtlichen
Forderung nach Unberührlheit der Braut bei der
Eheschließung" (Kap. III), der Frage, ob hinter Dtn 22,13-21 die Abwehr
eines „Versuchs einseitiger Ehescheidung" vermutet werden
darf (Kap. IV) und schließlich, ob nach der Norm von Dtn 19.16-21
°ei falscher Anschuldigung wegen Ehebruchs nicht das Talionsprin-
ZIP in Kraft treten müßte, in diesem Fall die Todesstrafe (Kap. V).

Ohne die materialreiche Darstellung hier auch nur ansatzweise
referieren zu können, sei wenigstens auf einige herausragende Punkte
und Erwägungen hingewiesen. Für den Alttcstamcntlcr ebenso wie für
den Akkadisten sind die Ausführungen zum Begriff .junge Frau",
..Jungfrau", hebr. h*tülä, akk. batultu von Interesse (S. 121-192). Sie
enthalten u. a. eine ausführliche Auseinandersetzung mit Benno
Landesbergers Hypothese, daß hatulut nicht auf „Unberührtheit",
sondern auf eine Altersstufe (etwa "teenager") ziele. Der Vf. rechnet
ebenso für hatullu wie für b'H'tla mit einer Entwicklung, die von der
allgemeinen Bedeutung „junge Frau" zu der Spezialbedeutung „Jungfrau
" führen konnte. Über den Nachweis tatsächlich festgestellter
Jungfräulichkeit tb'tülim) im Interesse der Rechtssicherheit sind die
Ausführungen S. 192 beachtenswert (in „verschiedenen Kulturen belegter
Hochzeitsbrauch"; Vorweisen eines Tuches mit Dcflorations-
blut nach Vollzug der Ehe).

Ein besonderes Probiemfcld bildet die Frage, die Tür Dtn 22,13-21
von einer gewissen Bedeutung ist, ob durch das Gesetz der Versuch
einseitiger Ehescheidung von sciten des Mannes abgewehrt werden
soll. Locher rechnet allenfalls mit einem literarischen Vorstadi-um des
Jetzigen Textes, in dem das eine Rolle gespielt haben könnte. Drei alt-
babylonische Texte, die zum Vergleich herangezogen werden (darunter
Codex Hammurapi §§ 142/43). erweisen sich als nur entfernte
Parallelen zum alttestamcntlichen Text. Die Schwierigkeit ergibt sich
dadurch, daß im mesopotamischen Eherecht die Terminologie der
Scheid ung einer perfekten Ehe auch für die Auflösung einer "inchoate
marriage" verwendet wurde (S. 312). Letztere bezeichnet den (kurzen)
Zeitraum, der zwischen der öffentlich zugesagten, durch Zahlung
des Braulpreises begründeten Ehe und der tatsächlich zwischen den
Partnern vollzogenen Eheschließung liegt (vgl. S. 212.246). ein
Stadium, das aus Dtn 22.13 ff nicht herausgelesen werden kann und
auch sonst im Alten Testament nicht nachweisbar ist. Wohl aber
scheinen die vergleichbaren altbabylonischen Texte die Verweigerung
eincr "inchoativ" geschlossenen Ehe zu belegen (R. Westbrook). Hier
zeigt sich beispielhaft, daß das mesopotamische Recht in Einzelfällen
differenzierter als das israelitische ist und dem Rechtsvergleich somit
notwendig Grenzen gesetzt sind.

Die falsche Anschuldigung vor Gericht, die Dtn 22,13 ff eine Rolle
spielt, ist ein Topos mesopotamischer Gesetzgebung; das Vergehen
wird in der Regel nach dcm'Grundsatz der Talion geahndet. Eine Ausnahme
bildet jedoch die falsche Anschuldigung wegen Ehebruchs;
dementsprechend verfährt auch Dtn 22,18.19 und verfügt Maßnahmen
außerhalb des Talionsrahmens.

Die Eigenart Israels sieht C. Locher konzentriert in den beiden
„Motivsätzen" Dtn 22,19 aiy. 21a/fy „denn er hat eine israelitische
h'liiki in Verruf gebracht" und „sie hat eine Schandtat in Israel begangen
", wodurch in beiden Fällen zugleich „die Ehre einer Frau in
Israel" (Buchtitel!) hervorgehoben und definiert ist; als israelitisches
Eigengut ist auch die häufiger verwendete abschließende sog. ..hi'arta-
Formcl" anzusehen: „du sollst das Böse/ den Bösen aus deiner Mitte
wegschaffen". Das altorientalischc Privileg des Königs, über das
Recht zu wachen, ist im alttestamcntlichen Text gleichsam „demokratisiert
" und zu einer Sache des ganzen Israel gemacht.

Wenn der Vf. gegen Ende seiner Untersuchung sagt (S. 386), „Dtn
22,13-21 steht demnach der gemeinsamen altoricntalischen Rechtskultur
sowohl positiv-rezeptiv wie kritisch-modifizicrend gegenüber",
so spricht er damit eine allgemeine und in dieser Form längst bekannte
Erkenntnis aus. Sollte er sie als Resume seines Werkes ansehen
, wäre das ein Understatement. Denn er hat, wenn auch an
einem Sonderfall alttestamcntlicher Gesetzgebung, in höchst akribi-
scher Weise Trennendes und Verbindendes zwischen dem israelitischen
Recht und dem seiner Nachbarn aufgewiesen, das den Exegeten
israelitischer Rechtstexte warnen muß, seine Erwägungen für richtig
zu halten, bevor er den Rechtshistoriker gehört und das kulturelle
Umfeld aufscine Vergleichsmöglichkeiten abgetastet hal.

Bochum Siegfried Herrmann

Stipp, Hermann-Joseph: Elischa - Propheten - Gottesmänner. Die

Kompositionsgeschichte des Elischazyklus und verwandte Texte,
rekonstruiert auf der Basis von Text- und Literaturkritik zu I Kön
20,22 und 2 Kön 2-7. St. Ottilien: EOS Verlag 1987. XI, 535 S. 8' =
Münchener Universitätsschriften. Arbeiten zu Text und Sprache
im Alten Testament, 24. Kart. DM 48,-.

Diese Dissertation, die im Wintersemester 1984/85 der Katholisch-
Theologischen Fakultät in Tübingen vorgelegt und für den Druck
leicht verändert worden ist, „setzt sich zum Ziel, das kompositioneile
Wachstum des Elischazyklus zu rekonstruieren" (1). Der Vf. stützt
sich dabei auf eine solide Textkritik, der er grundsätzlich einen
höheren Stellenwert zuerkennt, „als dies im deutschen Sprachraum
bislang üblich ist" (2). Das demonstriert er bereits im ersten Abschnitt
, in dem er die unterschiedliche Verteilung des Eigennamens
Elischa und des Titels „Gottesmann" im masoretischen Text und in
den antiken Übersetzungen verfolgt. Das Ergebnis dieses „Lehrstücks
" heutiger Textkritik ist bescheiden, aber gut begründet: Der
Titel „Gottesmann" ist in 2Kön 4,16.25.27; 5,8.14f.20; 6,9f.l5;
7,2.18fund 8,2 sekundär eingedrungen.

Der Schwerpunkt der Arbeit ruht zweifellos auf der Literarkritik.
Dabei stellt der Leser ein wenig verwundert fest, daß der Vf. zu recht
unterschiedlichen Resultaten kommt. Während die Erzählungen in
1 Kön 20; 22 und 2Kön 3 mehrere literarische Stadien erkennen lassen
, plädiert der Vf. bei anderen Texten (2Kön 2,1-15.19-24 und
5,l-27)entschieden für die literarische Einheitlichkeit.

Nach der literarkritischen Analyse wendet sich der Vf. der Kompositionskritik
zu. Dabei sieht er sich genötigt, auch Erzählungen und
Berichte in I Kön 13 und 2Kön 17,24-33 (34a) sowie in 23,9.14-20
in die Untersuchung einzubeziehen. Im Ergebnis „ist der Kristallisationspunkt
des Elischazyklus des dtrG* mit dem Gerippe der deutero-
nomitisehen Königsrahmen und . .. den Erzählungen von prophetischen
Angriffen gegen Nordreichkönige" (463). Das bedeutet, daß
die Elijaerzählungen in 1 Kön 21 und 2Kön 1,2-8.17a schon im
deutcronomistischen Werk enthalten waren, als die Elischaerzählun-