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Ausgabe:

1988

Spalte:

43-47

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Federlin, Wilhelm-Ludwig

Titel/Untertitel:

Vom Nutzen des geistlichen Amtes 1988

Rezensent:

Pältz, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. I

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Studien ausdrücklich vor die Seele stellt. Die Problematik der Metaphysik
gegenüber biblischem Denken wird nicht übersehen, als
„Spannung" allenfalls etwas beschwichtigend dargestellt. Daß eine
„theo-logische Christologie" zu „leisten" vermag, was die „onto-
theologische Verfassung der Metaphysik" und die „theoonto-logische
Verfassung der Theologie" nicht zustandebrachte, wird uns der kundige
Vf. nach ausgiebiger Diskussion seiner Studie zeigen. Er hat ja
nicht umsonst mit dem Motto seines Vorworts Dringliches „für den
Lebensvollzug von Kirche (Pastoral) und Christsein" (257) beschworen
.

Rostock Peter Heidrich

Federlin, Wilhelm-Ludwig: Vom Nutzen des Geistlichen Amtes. Ein
Beitrag zur Interpretation und Rezeption Johann Gottfried Herders
. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1982. 281 S. gr. 8" =
Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 33. Kart.
DM 56-.

Der Vf. hat eine gründliche, für die Herder(H.(-Forschung förderliche
Untersuchung vorgelegt. Die von der Textinterpretation ausgehende
und die H.-Lektüre stimulierende Arbeit, die 1980 vom
Fachbereich Religionswissenschaft der J.-W.-Goethe-Universität
Frankfurt (Main) als Diss. angenommen wurde, stellt für künftige
H.-Studien eine Herausforderung dar: Wer an Federlins Ergebnissen
vorbeiginge, begäbe sich des Anspruchs, dem gegenwärtigen Stand der
H.-Forschung Rechnung zu tragen.

Der nach dem Urteil Jean-Pauls „von den entgegengesetzten Zeiten
und Parteien" schon zu Lebzeiten „verkannte" H. wird von dem geistlichen
Amt als der Mitte seines Denkens und Wirkens her zu verstehen
gesucht. Man folgt dem Vf., der sich um eine intensive Interpretation
der Texte, um umfangreiche Recherchen und eine detaillierte
Erhebung des Forschungsstandes bemüht und ein weites Spektrum
bes. sozial- und bildungsgeschichtlicher Publikationen berücksichtigt
hat, mit Interesse, das höchstens dann nachläßt, wenn die Abgrenzung
gegenüber anderen Positionen überpointiert geführt wird.

Nur einige Ergebnisse der in Aufriß und Strukturierung umfassend
angelegten und durch aufschlußreiche Exkurse erweiterten und vertieften
Untersuchung, die auch für die Erforschung der Sozial- und
Bildungsgeschichte und der Wandlungen im Amtsverständnis und
„Berufsbild" des Pfarrers förderlich sein dürfte, können hier skizziert
werden. Der Hauptteil „H. und das Geistliche Amt" bezieht in einer
dem Denker H. angemessenen Weise Philosophie, Literatur und
Geschichte in die Interpretation ein. H.s Frage nach dem Nutzen
der Philosophie wird daher ebenso detailliert behandelt wie seine Auffassung
vom Nutzen des Geistlichen Amtes, unter Bezug auf die Krise
des Geistlichen Amtes und die gesellschaftliche Funktion und den
pädagogischen Charakter der Aufgabe des Predigerstandes. Einen
Schwerpunkt stellen die Ausführungen über „Das öffentliche Predigtamt
als Ausbildung der Menschlichkeit des Menschen" dar.
(S. 198-251)

1. Mit Nachdruck betont der Vf., auch in Auseinandersetzung mit
der H.-Forschung, daß „der Horizont von H.s Wirken, das Geistliche
Amt, angesichts der Tatsache, daß dieses Amt ein von H. selbst nie
aufgegebenes Kontinuum in seinem Leben ist, für das Verständnis H.s
weit unterschätzt und vernachlässigt" worden ist. „Das Geistliche
Amt.. .gehört notwendig zu seiner Existenz." (S. 18) Die vorliegende
Untersuchung bestätigt, daß sich ein neuer Zugang zum Gesamter-
ständnis H.s erschließt, wenn man - mit den vom Vf. begründeten
Konsequenzen für die H.-Interpretation - H.s praktische Tätigkeit im
Geistlichen Amt „deutlicher als bisher als ein(en) Wesensbestandteil
seines Werkes" betrachtet. (S. 35) H. begreift das Geistliche Amt als
ein notwendiges Mittel seines auf das Menschliche bezogenen Denkens
. (S. 36)

2. Die Untersuchung geht (a) von der stilistischen Einheit von H.s
Werk und (b) der teleologischen Einheit von H.s Wirken aus. (a)

Erwiesenermaßen hat auch H.s wissenschaftliche Prosa „Gesprächscharakter
" (T. Silman, zit. S. 37), gleicht seine Leseranrede „der des
Predigers an seine Gemeinde" (A. Langen, zit. S. 37; s. auch den
Exkurs S. 87: Zur pädagogischen Struktur von H.s kritischem Stil), (b)
Da die „politisch-menschliche Praxis des Geistlichen Amtes der kontinuierliche
und einheitliche Sitz im Leben von H.s Werk" ist (S. 39),
kann der Vf. „die Praxis des Geistlichen Amtes als hermeneutischen
Schlüssel zu H.s Werk betrachten" (S. 41).

3. Die emanzipatorische Funktion des H.schen philosophischen
Volksbildungsprogramms wird deutlich herausgearbeitet: Das Volk
soll zu seiner Ehre kommen. In der Konzentration auf dieses Vorhaben
erfüllt die Philosophie ihre Bestimmung: „Soll die Philosophie
den Menschen nützlich werden, so mache sie den Menschen zu ihrem
Mittelpunkt.. ," (zit. S. 47, S. 59). Entgegen dem Kalküldenken, das
H. in der Wolffschen Philosophie zu erkennen meint, und entgegen
einer (der Baumgarten-Meierschen Philosophie unterstellten) vereinseitigten
„Empfindsamkeit" ist das Ziel der H.schen tätigen Philosophie
, Handlung zu ermöglichen. (Exkurse: zu H.s Wissenschaftsbegriff
, S. 59f, vgl. S. 212ft~; zum Unterschied zwischen den Bildungsprogrammen
H.s und Humboldts, S. 750

4. Durch Gottesdienst und Predigt ebenso wie durch seine mühevolle
Arbeit an der Verbesserung der Schulorganisation hat H. die
praktische Umsetzung seines Bildungsprogramms zu verwirklichen
gesucht. (Zum Zusammenhang mit den gleichzeitigen geschichts-
philosophischen Schriften vgl. S.140)

5. Die eingehende Interpretation von H.s „Provinzialblättern" im
literarischen Zusammenhang von H.s Werk (s. dazu S. 139f; zur Auslegungsgeschichte
s. den Exkurs S. 85) stellt in vorzüglicher Weise die
Intention, den geschichtlichen (Bezug auf J. J. Spalding) und sozialen
Kontext dieser Schrift H.s dar. Die in Hinsicht auf Person und Ausbildung
des Amtsträgers und das Verhältnis von Amt und Obrigkeit
diagnostizierte Krise des Geistlichen Amtes kann nicht durch Behandlung
der Einzelsymptome behoben werden (S. 91 ff; s. auch die
Exkurse: zur Berufskrise der Intelligenzschicht im 18. Jh.; zur wirtschaftlichen
Situation der Staatsbeamten im Hzgt. Sachsen-Weimar,
S. 103fT, S. 107ff). Die von H. als notwendig anerkannte Ganzheitstherapie
umfaßt den Gesamtbereich, vor allem auch das politischgesellschaftliche
Leben (s. das H.s Geschichtsphilosophie auslotende
Kap.: „Geschichtsphilosophie als Therapie des Geistlichen Amtes,"
S. 117(1).

Die für H.s Erneuerungskonzeption fundamentale Bestimmung des
spezifischen Auftrags („Hauptgeschäft") des Geistlichen als „Prediger
göttlichen Worts, Erhalter des Glaubens, der Offenbahrung" (SW
VII.249), nämlich die „Erklärung der Bibel" (SW VII,246 Anm. I,
zit. S. 125), wird vom Vf. herausgearbeitet und detailliert belegt. (Für
die Gejawifintcrpretation hätte dies wohl noch stärker zum Tragen
kommen müssen.) Die Analysen bestätigen, daß die theologiegeschichtliche
Position H.s jenseits von Orthodoxie und Neologie anzusetzen
ist. Weder dogmatistisch noch moralisierend, sondern geschichtlich
ist der Ansatz H.s, der - wiederum entgegen dem Trend
seiner Zeit - die Symbolischen Bücher nicht nur „kasual", sondern
auch als Insignien und Paniere, d. h. als verbindliche Rechtsurkunden
wertet (S. 132 ff) und das Geistliche Amt vom öffentlichen Auftrag zur
Wortverkündigung her als öffentlich-rechtliche Institution erweist.

Die gesellschaftsorientierte, sozialkritischc und insofern politische
Aufgabe des Geistlichen Amtes im Sinne H.s stellt der Vf. nachdrücklich
heraus: Aufgabe des Predigerstandes ist nicht Stabilisierung des
Status quo einer ständisch orientierten Gesellschaft. „Die große Leistung
seiner funktionalen Theorie des Geistlichen Amtes liegt. . .
darin, daß H. damit einer - mit ihren kirchlichen Institutionen - an
den Rand des Menschlichen abgerutschten ständischen Gesellschaft
das Geistliche Amt als kritisches Instrument der Wahrung und Bildung
der Rechte des Menschen und damit ihres eigenen gesellschaftlichen
Lebensnerves zurück gegeben hat." (S. 174) Darauf bezogen ist
auch H.s Auseinandersetzung mit Humes Kritik des Predigerstandes.
(S. 17411") - Bildungsziel ist, „weder Bürger, noch Unterthanen, son-