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Ausgabe:

1988

Spalte:

635-636

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Neue Baeume pflanzen 1988

Rezensent:

Bassarak, Gerhard

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Seite 1

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635

Theologische Literaturzeitung I 13. .lahrgang 1988 Nr. 8

636

müssen im Blick auf die m. E. problematische Identifizierung von
Heils- und Weltgeschichte oder die für evangelisches Verständnis zu
starke Betonung der Kirche als Subjekt der Befreiung und Aufhebung
der Sünde. Auch der benutzte hermeneutische Schlüssel - das biblische
Zeugnis erhellt die Wirklichkeit, nachdem dieses Zeugnis zuvor
von dieser Wirklichkeit erhellt worden ist - wirft Fragen auf im Blick
auf das Verständnis der Autorität der Schrift. Dies mindert aber nicht
den tiefen Eindruck, den die Beiträge Sobrinos vermitteln, in denen
sich existentielle Betroffenheit, überragende intellektuelle Kompetenz
, klassische römisch-katholische Denkstrukturen und eine hohe
Pastorale Sensibilität miteinander verbinden.

Genf Günther Oaßmann

Heidingsfeld, Uwe-Peter, u. Andrzej Wöjtowicz [Hg.]: Neue Bäume
pflanzen. Versöhnungsbemühungen zwischen dem Polnischen
Ökumenischen Rat und der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Mit einem Geleitwort von H. Hild u. J. Narzyhski. Frankfurt/M.:
Evang. Verlagswerk 1984. 219 S. 8". Kart. DM 24,-.

Drei Anlässe macht das Geleitwort für die Herausgabe der
Broschüre namhaft: 40 Jahre Ende des durch den deutschen Angriff
auf den polnischen Staat ausgelösten Krieges, 20. Jahrestag der Denkschrift
„Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen
Volkes zu seinen östlichen Nachbarn" und 10 Jahre Deutsch-
Polnischer (kirchlicher) Kontaktausschuß im Jahre 1985. Neunzehn
Beiträge (1 1 von 11 Beiträgern aus der BRD, 8 von 6 Beiträgern aus
der VRP). dazu eine Sammlung von Dokumenten, eine Bibliographie
und eine Kurzvorstellung der Autoren sind der Inhalt. Die Beiträge
sind auf fünf Themenkreise aufgeteilt: „Die Entwicklung der deutschpolnischen
Kirchenbeziehungen seit 1945" (1), „Ethische Fragen der
Polenhilfe" (2), „Kirchengeschichtliche Aspekte des deutschpolnischen
Verhältnisses" (3), „Begegnung mit Polen" (4) und
„Ökumene in Polen" (5). A. Wöjtowicz schreibt im Kreis 1: „Die
Kirchen haben es gewagt" und 5: „Der Polnische Ökumenische Rat"
und „,1m Geist der Versöhnung und des Dialogs' - Die Rolle der Kirchen
im Polen der 80er Jahre"; die weiteren Autoren und Themen zu
1 sind: Hanfried Krüger „Aus den Anlangen deutsch-polnischer
Kirchenbeziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg - Ein schwieriger
Beginn", Günter Bernd „Die Scham, die nimmt uns keiner ab".
Klaus Würme 11 „Für eine bessere Zukunft", Heinz-Georg Binder
„Die Versöhnungsbemühungen der Evangelischen Kirche in
Deutschland", Helmut Hild „Zehn Jahre Kontaktausschuß", Witold
Benedyktowicz „Neue Apfelbäume pflanzen" (davon abgeleitet,
der Titel der Broschüre!) und Janusz Narzynski „Praktizierte
Bruderschaft". Der 2. Kreis hat nur zwei Beiträge: Theodor Sc hober
„Geben verwandelt - die Polenhilfe und die Ethik des Gebens" und
Zdzislaw Tranda „Die Ethik des Nehmens". Auch 3 und
4 weisen je zwei Beiträge aus. allerdings fehlen hier - bei 4 von der
Sache her gegeben - polnische Autoren. 3: Paul W rzecion ko „Die
Verantwortung des Historikers. Ein Rechenschaftsbericht der
Deutsch-Polnischen Kirchengeschichtskommission" und Bernd
K rebs „Die evangelischen Kirchen in Polen 1918 bis 1945. Gemeinsamkeiten
- Belastendes - Streitpunkte. Eine Anfrage an die Kirchengeschichtsschreibung
in der Bundesrepublik Deutschland und der
Volksrepublik Polen", 4: Hans von Keler „Versöhnung erweist sich
in der Weisheit" und Heinrich Reiss „Polen 1984 - Eindrücke". In 5
schreiben Bischof Jerem iasz „Die Polnische Autokephale Orthodoxe
Kirche und die Ökumenische Bewegung", Jan Niemezyk
„Theologische Ausbildung in ökumenischer Gemeinschaft" und
Uwe-Peter Hcidingsfeld „Der Polnische Ökumenische Rat -
aktuelle Anmerkungen" neben den beiden bereits genannten Beiträgen
von Wöjtowicz.

Es ist räumlich und auch sachlich unmöglich, alle Beiträge (die
durchaus von unterschiedlichem Gewicht und verschiedener Tönung
sind) in gleicher Weise zu würdigen. Deshalb seien einige Punkte hervorgehoben
, die für die genannten Beziehungen besonders bedeutungsvoll
zu sein scheinen. So stellt II. Krüger fest, der eigentliche Anfang
einer dauerhaften ökumenischen Zusammenarbeit auch auf offizieller
Ebene dürfte in dem Besuch von Kirchenpräsident Martin Niemöller
zusammen mit den Oberkirchenräten im Kirchlichen Außenamt
Johannes Bartelt und Hanfried Krüger sowie Pfarrer Herbert
Mochalski. dem Schriftleiter der Zeitschrift „Die Stimme der Gemeinde
", vom 15.-23. Februar 1957 zu sehen sein. „Wieder einmal
war - wie schon in zahlreichen anderen Fällen in der Nachkriegszeit -
Martin Niemöller dazu berufen, erste Brücken der Versöhnung zu
schlagen, auch wenn er sich dabei Mißverständnissen oder gar Mißdeutungen
aussetzte .. . Die polnischen Kirchen konnten ihrerseits
durch ihr Engagement im ÖRK und LWB, vor allem aber auch in der
Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und in der Prager Christlichen
Friedenskonferenz (CFK) ihre ökumenische Position erheblich
stärken." Wöjtowicz erläutert, daß die ersten bilateralen Treffen
zw ischen deutschen und polnischen Kirchenvertretern auf multilateralen
Ebenen stattfanden, wobei beim polnischen Partner „eine
gewisse Vorsicht, ja Unsicherheit" bestand, „wie solche Kontakte ZU
Hause politisch beurteilt würden. Außerdem (so schreibt er) sahen die
Protestanten in der Bundesrepublik ihre vordringlichste Aufgabe zunächst
in der Versöhnung mit ihren amerikanischen, englischen und
französischen Brüdern und Schwestern." W. hebt die Bedeutung Hans
Joachim Iwands und des Beienroder Konvents hervor. Zum ersten
offiziellen Kontakt kam es beim Besuch des Rates der EKD in Polen
im Herbst 1973. Wichtige Träger des Versöhnungsprozesses seien
einzelne Evangelische Akademien und die Aktion Sühnezeichen geworden
.

Eine in Polen nicht vorhersehbare Resonanz, fand dann die ..Ostdenkschrift
" der EKD. In der BRD stieß sie auf den Widerstand der
„Vertricbcnen"-Verbände. („Vertrieben" wurde zum umfassenden
Begriff für die vor dem Ansturm der Roten Armee Flüchtenden und
für die gemäß dem Abkommen von Jalta Ausgesiedelten. Der Begriff
findet sich auch im offiziellen Titel der Denkschrift.) Während das
„Tübinger Memorandum" von 1961 und ein Wort der rheinischen
Landessynode aus dem gleichen Jahr mit Recht den Verlust der deutschen
Ostgebiete als „Preis für den vom Deutschen Reich angezettelten
Zweiten Weltkrieg" (Binder) bezeichnen, spricht die „Ostdenkschrift
" vom Opfer. „Witold Benedyktowicz hat diesen Gedankengang
Kaisers kritisiert und gesagt, man könne weder die territorialen
Verluste noch das Problem der Umsiedlung .in die Kategorie des
Opfers einreihen', beide seien als Folge eines verlorenen, verbrecherischen
Krieges zu betrachten." Raiser hielt dagegen: „In der Bundesrepublik
hat mir dieser Vortrag (erg.: in Warschau) erneut heftige Angriffe
aus denjenigen Kreisen der Vertriebenen eingetragen, die den
Verlust noch nicht als notwendiges Opfer zu sehen bereit sind und
darum auf Rechtspositionen beharren." „Vielleicht" (so Binder -
damit allerdings mehr Zustimmung als Zweifel ausdrückend) „haben
die Pragmatiker recht. Vielleicht lassen sich politische Vorgänge nur
sehr schwer mit Begriffen wie Opfer und Versöhnung erfassen."

Dem „aus etwa 2-3 Mitgliedern beiderseits zusammengesetzten
Kontaktausschuß . . . (sind) irgendwelche Kompetenzen nie zugedacht
gewesen". (Krüger) Trotzdem sei sein „Wert gegenseitiger Information
und Interpretation politischer und kirchlicher Vorgänge
. . . nicht (zu) unterschätzen". Benedyktowicz gibt ihm sowie
dem Dialog der Christen aus Polen und der BRD gute Noten: „Der
Geist der Partnerschaft . . . wurde auch nie gestört durch eine vorhandene
Asymmetrie: Die Evangelisehe Kirche in Deutschland is'
eine wohlhabende, starke Institution mit fest eingewurzelter volkskirchlicher
Struktur. Die evangelischen Kirchen in Polen sind Minderheitskirchen
, die um ihre Identität und ihren Platz im Leben des
Volkes ringen müssen."

Neben vorwiegend klaren Tönen, die die Publikation beherrschen,
darf man einzelne fragwürdige Untertöne vernachlässigen.

Berlin Gerhard Bassarak