Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1988

Spalte:

629-631

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Flatten, Heinrich

Titel/Untertitel:

Gesammelte Schriften zum kanonischen Eherecht 1988

Rezensent:

Stein, Albert

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

629

Theologische Litcraturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 8

630

dauernden Wandel, immer neue Orientierung und ständigen Über- Ihren Presseberichten den Eindruck erwecken könnten, als ob der

gang bedeutet." (255) Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe ins Wanken geraten sei

Aber wenn man von solcher Erfahrungsweisheit nicht poetisch, (S. 379ff). Gegenüber evangelischer Kritik wird daran festgehalten,
sondern mit Hilfe der theologischen Tradition sprechen will, dann be- die Praxis der Nichtigerklärung von Ehen durch die kirchlichen Gedarf
es auch christologischer und anthropologischer Klarheit, gedank- richte bedeute keineswegs eine verkappte Ehescheidung (S. 382ff),
lichcr Stringcnz und einer für den Leser nachvollziehbaren, am Credo Das ist für die juristisch-logische Betrachtung sicherlich „etwas völlig
orientierten theologischen Argumentation. Sic fehlen dem Buch auf anderes" (S. 385). Jedoch führt die Veröffentlichung des Ökume-
weiten Strecken. nischen Arbeitskreises ..Lehrverurteilungen - kirchentrennend?",

Eremiten mögen originelle, leidgeprüfte und manchmal schwer ver- Bd. [. Hg. K. Lehmann und W. Pannenberg (Freiburg u. Göttingen

Handliche reife Christen sein und haben ein Recht, originell, erfah- 1986, S. I 51 ff) sicherlich eher weiter, wenn sie zwischen der evange-

rungsbezogen und schwer verständlich zu sprechen. Menschen mit lischen Anerkennung von Ehescheidungen und der römiseh-katho-

Whem ähnlichen Werdegang, in diesem Falle vielleicht besonders lischen Ermöglichung von Ehetrennungen in den Grenzfällen der Un-

amerikanischc Christen, werden sie dennoch verstehen. Freilich zumutbarkeit weiteren Zusammenlebens der Eheleute jedenfalls

kommt bei solchen Menschen zur Intensität ihrer Erfahrung oft eine keinen unversöhnlichen Gegensatz der Positionen mehr erblickt und

längere Zeit der Abklärung hinzu, ehe sie mit ihrer Botschaft an die die Fortgeltung der beiderseitigen Verwerfungen in ihrer kirchen-

Oflcntliehkeit gehen. Für das, was Maggie Ross - übrigens unter trennenden Wirkung bezweifelt (S. I54f).

einem Pseudonym - uns zu sagen hätte, ist diese Phase der Abklärung Evangelisches Eheverständnis denkt von dem ordnenden Willen
wohl noch nicht hinreichend durchgestanden. Sonst wäre das Buch des bundcsschlicßenden Gottes und von der Hoffnung auf die Aufkurzer
, präziserund verständlicher ausgefallen. richtung seines Reiches her (Dietrich Ritsehl, EKL' !. 980) und ver-

..,„,, ,, .... . ... .„ steht daher Ehescheidung als ein schuldhaftes Versagen beider Part-

M;irburg(L;ihn) Katrin Wienold / Dietrich Stollberg _

ner, das allerdings die Möglichkeit des Neubeginns durch Schuldbekenntnis
und Vergebung in sich trägt (Hans-Joachim Thilo. EKL' [,
984f). Demgegenüber macht Flatten eindeutig klar, daß es der katho-

Kirchenrecht lischen Kirche im Eheprozeß eben nicht um das Scheitern und die

Scheidung einer Ehe gehen kann, sondern nur um das Scheitern eines

Ii,,,, ■ .... . . ... .. Eheschließungsaktes und den daraus folgenden Sachverhalten einer

■ 'atten. Heinrich: (■esammelte Schritten zum kanonischen Kherceht.

Hg. von H. Müller. Paderborn-München-Wien-Zürich: Sehö- ""gültigen Eheschließung (S. 383): m einem solchen Falle entsteht

ningh 1987 VIII 553 S ITaf.gr 8' Lw. DM 84,-. dann durch einen kirchlichen Trauungsakl zwar möglicherweise der

Schein, als ob hier eine gültige Ehe geschlossen worden wäre: die

Der Vf., geboren 1907 und verstorben am 10. Juni 1987. durfte die kirchliche Nullitätscrklärung ist aber ein die Wahrheit der von

von seinem Schüler und Lehrstuhlnachfolger herausgegebene Samm- Anfang an nicht vorhandenen Ehe feststellender Akt. während die

lung von 26 kirchenrechtlichen Abhandlungen aus 35 Jahren, kurz Ehescheidung umgekehrt eine gültig zustande gekommene Ehe vor-

vor seinem Tode noch als Festgabe zum 80. Geburtstag entgegen- aussetzt und diese rechtsgcstaltend auflöst (S. 384).

"ehmen. Das Buch zieht in imponierender Weise die Bilanz eines Dieser Ansatz, wird konsequent dahin weitergeführt, daß es für die

Wisscnschaftlerlcbens, das sich zugleich 41 Jahre lang in wichtigen Sakramentsnatur der Ehe auf deren Abschluß allein und für diesen

kirchlichen Ämtern auch der praktischen Bewährung der in rechts- Abschluß wiederum auf allein den inneren Konsens der Partner im

theoretischen Erwägungen gewonnenen Einsichten verpflichtet Eheschließungswillen ankommt. (S. 27, 81 ff, 203ff) Dabei kommt es

Wußte. Als Forscher wie als kirchlicher Richter hat Flatten immer auf die innere Konsensleistung an. die bei Fehlen durch einen äußeren

w'eder die ethischen wie rechtlichen Fragen der Ehe in ihrer katho- Konsensakt nicht etwa ersetzt wird (S. 84ff; so auch für das neue

lisch-kirchenrechtlichen Sicht in den Blick genommen. Während der Recht des Codex Iuris Canonici, 1983, Bruno Primetshofer in: Joseph

'angen Zeit seines Wirkens hat sich seine Kirche in mehreren Schüben Listl u.a.. Handbuch des kath. Kirchenrechts. Regensburg 1983.

v°n der Kirche der Pius-Päpste zur Kirche des Zweiten Vatikanum S. 772ff, wonach die äußere Erklärung lediglich eine widerlegliche

Und weiter in ihre gegenwärtige, dem außenstehenden Beobachter Rechlsvermutung für den inneren Konsenswillcn ergibt),

ambivalent erscheinende Lage verändert. Schon deshalb sind die. Das steht in klarem Gegensatz zu den Grundsätzen des „welt-

durch den anzuzeigenden Sammelband zu gewinnenden Durchblicke liehen" Ehcrechts, das bei Willensmängeln der Eheschließenden die

konfessions- und kirchcnrcchtsgeschichtlich interessant. Daß wir es Ehe als zunächst einmal gültig ansieht und lediglich eine ex nunc wir-

hier mit einem seiner Kirche treu verbundenen und aufs beste infor- kende Eheaufhebung (Bundesrepublik Deutschland) oder Ehcschei-

tfierten Gelehrten zu tun haben, ergibt sich schon daraus, daß er 1962 dung (Deutsche Demokratische Republik) zuläßt (Günther Beitzke.

d'e hohe Würde eines Konsultors der römischen Kommission zur Re- Familienrecht, München 1976, 32 0- Das von Flatten subtil entfaltete

form des katholischen kirchlichen Gesetzbuches, des Codex Iuris katholische Ehcrecht dagegen kennt zwar die nachträgliche Scheidung

Canonici.erhielt. einer gültigen Ehe nicht, sieht jedoch eine äußerlich erklärte Ehe-

Abcr auch über den engeren Raum der Fachgelchrsamkeit hinaus Schließung in erheblichem Umfang als nichtig an, wenn sich für rück-

verdient dieses, in seiner Anlage und Ausgestaltung allerdings auf die blickend kritische Betrachtung ein den vollen katholischen Ehcbcgriff

Fachgenossen ausgerichtete Werk Beachtung. Eine Reihe der gesam- nicht abdeckender mangelhafter Konsens darlegen läßt. So sieht

"feiten Abhandlungen nämlich machen auch für den evangelischen Flatten etwa die Unauflöslichkeit der Ehe ausgeschlossen und damit

Leser die Besonderheiten, die nach evangelischem Verständnis ge- den ehelichen Konsens verfehlt, wenn die katholische Braut auf die

^ebenen Schwächen und die für das evangelische Verständnis beden- Frage ihrer besorgten Mutter erklärt: ..Wenn ich das Gefühl hätte, daß

kenswerten Anfragen des römisch-katholischen Eherechts und Ehe- meine Ehe nicht mehr eine harmonische Ehe darstellte, würde ich

Verständnisses recht deutlich. mich auch trotz meiner katholischen Trauung von meinem Manne

Das zeigt sich am eindrucksvollsten in der Bonner Antrittsvorle- trennen": die irrige Vorstellung jedoch, daß die katholische Kirche
Süng von 1964 über ..das Ärgernis der kirchlichen Eheprozesse" nur bei völliger gegenseitiger Entfremdung eine Trennung zulasse.
'S. 379-402). Dieses Ärgernis wird im Blick auf Öie katholischen hätte nicht genügt (S. 58f). Ähnlich unterscheidet er bei dem. gleich-
laubigen allerdings nicht darin erblickt, daß die katholische Kirche falls zu dem vollen Ehekonsens erforderlichen Zustimmen zur An-
auch in zerrütteten Ehen keine Scheidung anerkennt; Anstoß soll für nähme des Kindersegens; die innerliche NichtÜbernahme der Pflicht
diese vielmehr dadurch entstehen, daß in Einzelfällen katholische zur Leistung der ehelichen Pflicht gefährdet den Konsens, der Wille
^hegerichtc manchmal Entscheidungen fällen, welche in spektaku- zur Nichterfüllung der übernommenen Pflicht genügt nicht (S. I ff.