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Ausgabe:

1988

Spalte:

628-629

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Ross, Maggie

Titel/Untertitel:

The fountain & the furnace 1988

Rezensent:

Stollberg, Dietrich

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627

Theologische Literaturzeitung I 13. Jahrgang 1988 Nr. 8

628

Blick haben oder auf die Gefahr ihres Versagens und ihrer „Entfremdung
" aufmerksam machen.

Der Teil B mit seinen „Theologischen Überlegungen" ist am umfangreichsten
ausgefallen und in überraschend verschobener Zeitfolge
angeordnet: Pointiert setzt er mit K. Barths christologischer und sote-
riologischer „Entmythologisierung" der Familie ein (bes. nach
KD III, 4). ,,Die Familie ist der kirchlichen Verkündigung als zutiefst
menschliche, jeder Vergottung enthobene, in der Freiheit des Imperfekten
lebende Gemeinschaft von Sündern aufgegeben." (97) „Damit
verbietet sich von selbst jede Hoffnung auf eine durch heile Familien
heile und stabile Kirche." (98) Die von Barth kritisierte Position
Schleiermachers wird indessen vom Autor eingehend gewürdigt (B
§ 2), weil sie den Zusammenhang zwischen Heilsgeschichte und
Familienereignissen beleuchtet, was besonders in den häuslichen
Festen zum Ausdruck kommt, und weil „familiale Strukturen einen
hermeneutischen Beitrag zur Übersetzung und zum Verständnis der
christlichen Botschaft leisten". (286) Ähnlich wie bei Schleiermacher
sieht der Vf. (in B § 3) bei Wichern in dem Modell der Rettungshausfamilie
eine Möglichkeit, „die Konvergenz von Heilsgeschehen und
Lebensgeschichte erfahrbar werden zu lassen". (287)

Der ausführliche § 4 greift dann auf Luther zurück, der die Familie
als Keimzelle der Gemeinde und als Ort der Verkündigung wiederentdeckt
habe. Schließlich stößt die Untersuchung in § 5 bis zu den Ursprüngen
der alttestamentlichen Großfamilie vor, die neben dem offiziellen
Kultus einen eigenen Religionstypus und speziellen Bereich
der Gottesoffenbarung dargestellt habe. Im Gegensatz dazu stellt die
Botschaft des Neuen Testaments die natürliche Familie nachdrücklich
in Frage und spricht ihr die heilsgeschichtliche Qualität ab
(s. B § 6). Dennoch habe „die Urchristenheit in Strukturierung und
Organisation ihrer Hausgemeinden erhebliche Anleihen beim
jüdischen Vaterhaus gemacht". (289) Durch die Spiritualisierung des
Familien- und des Hausbegriffs in der neuen, christlichen Lebensgemeinschaft
öffneten sich ungeahnte Zukunftsperspektiven und
Wirkungsmöglichkeiten für die Kirche und ihre Verkündigung. Diese
Erhebung und Auswertung des biblischen Befundes, zu der auch ein
Exkurs über die oikos:Formel gehört, macht einen Schwerpunkt der
vorliegenden Arbeit aus.

Im Teil C „Praktisch-theologische Folgerungen" (219-283) geht es
dem Autor natürlich nicht um die Übernahme biblischer Modelle
oder um die Restitution einstiger familialer Strukturen, sondern um
eine neue Inanspruchnahme der Familie als Gemeinde und der Gemeinde
als Familie. An heutigen Überlegungen und Maßnahmen zum
Hauskatechumenat, zum konfirmierenden Handeln der Gemeinde,
zur Konfirmandenelternarbeit usw. wird gezeigt, wie einerseits die
Familie Aufgaben an die Gemeinde übertragen hat und wie die Gemeinde
familiale Strukturen übernehmen muß, wie aber andrerseits
die Familie in Verwirklichung des biblisch-reformatorischen allgemeinen
Priestertums der Gläubigen selber zum Subjekt der Verkündigung
und zum Ort gelebter christlicher Existenz werden kann. Noch
stärker akzentuiert der Autor sein Anliegen im Blick auf die gottesdienstliche
Praxis, hier an R. Bohrens Kasualpraxis von 1960 anknüpfend
. „Familiengottesdienst" will Harms nicht als ein „Zweites
Programm" neben anderen oder bloß als einen Erwachsenengottesdienst
mit Kindern, sondern „als Fest verstehen, Gott als Gastgeber
und Hausvater voraussetzen und die Eingeladenen als eingeladene
Familie begreifen". (253) Gottesdienst soll „wieder zum Familienereignis
werden". (292) „Dabei wird neben der Wortverkündigung vor
allem das Sakrament in seiner gemeinschaftsstiftenden und identitätsbildenden
Bedeutung wichtig." (ebd.) Besondere Ausprägung findet
dieser „Festgottesdienst", in dem die Familienereignisse von der
Heilsgeschichte her gedeutet werden, in den Kasualhandlungcn bei
Geburt, Trauung und Tod (S. 263 bis 283 sind die Kasualgottes-
dienste einzeln erörtert).

Man kann dem Vf. bescheinigen, daß seine Gedanken, die sich auf
die theologiegeschichtlichen Impulse von Barth, Schlcicrmacher,
Wichern und Luther berufen, den heute vielbeachteten Kasualien vertiefte
Grundlagen zu geben vermögen - unabhängig von der Frage, ob
damit schon eine wesentliche Veränderung der gemeindlichen und
der familiären Praxis eingeleitet werden kann. Jeder, der die Entwicklung
der kirchlichen Familienarbeit und der entsprechenden gottesdienstlichen
Bemühungen aufmerksam verfolgt oder an ihr mitwirken
will, wird diese gründliche, interessante und engagierte Untersuchung
mit Gewinn lesen. Leider gibt sich der kenntnisreiche Autor persönlich
wenig zu erkennen. Nur aus Zitaten von Gutachten der Professoren
H. Aschermann und C. Mölleraufder Rückseite des Einbandcs ist
zu entnehmen, daß es sich um eine publizierte Dissertation handelt.
Vorwort und Vita des Vf. fehlen. Sein Anliegen verdiente es, daß er
mit ihm künftig noch weiter hervortritt.

Rostock Ernst-Rüdiger Kiesow

Ross, Maggie: The Fountain and the Furnacc. The Way of Tears and
Fire. New York-Mahwah: Paulist Press 1987. VIII, 341 S. gr. 8'.
Kart. $ 12.95.

Es geht um die Wichtigkeit des Weinens. Ja, Tränen können „der
Schlüssel für ein Verständnis der gegenseitigen Kenosisder Beziehung
zwischen Gott und seiner Schöpfung" sein (3). Es geht um die
mystische „Reise hinein in Gott" (ebd.). Tränen und Kenosis sind die
zentralen Kategorien dieses Buches, das eine amerikanisch-anglikanische
Eremitin geschrieben hat, welcher der Klappentext bescheinigt
, sie verstehe die Weisheit christlicher Mystiker mit dem Sinn für
das Leben in unserer Zeit zu verbinden. Die Vfn. entdeckte in Phasen
eigener Verzweiflung die heilende Kraft der Tränen. Weinendes Zulassen
eigener Erniedrigung und Gottes kenotisches Herabkommen
zum gedemütigten Menschen entsprechen einander, Wandlung im
Zeichen des Geheimnisses der Liebe Gottes wird möglich (6). „Gott
tauft uns mit Tränen." (21) Gott weint Liebestränen über seine
Schöpfung. Er weint sie als Mensch und in Menschen. Das Buch
möchte die Notwendigkeit aufzeigen, die Gabe der Tränen wieder anzunehmen
als eine Quelle von Leben und Liebe - eine heiße Quelle,
die aus der Tiefe kommt, wo auch das göttliche Feuer lodert. Die Erniedrigung
der Leidenden und Weinenden ist zugleich ihre Macht,
und in ihrer Schwäche partizipieren sie an Gottes gleichzeitiger Macht
und Ohnmacht, an seinem Feuer und seinen Tränen.

Um solche Erfahrungen zu machen, begibt sich die suchende
Christin auf einen spirituellen Weg, der durch verschiedene Phasen
führt und bei der „Nichtcrfahrung der Nichterlährung" (28011"), einer
„Sehnsucht, die keine Erfüllung mehr sucht" (286 u. ö.). ankommt:
Jetzt kennen diejenigen, die den Weg der Tränen gegangen sind. Gott,
der ihre Niedrigkeit und ihre Macht teilt. Nicht mehr Paul Tillichs
„Mut zum Sein", heroische Leistung des Ich, sondern das Zulassen
von Nichtmehrsein bedeuteGlaubensfortschritt(76f)-

Daß die Vfn. Tillich vermutlich mißverstanden hat, scheint ebenso
deutlich wie eine gewisse Berechtigung ihres aus der Erfahrung geborenen
Glaubens-Verständnisses, das ganz entscheidend vom Loslassen
bestimmt ist. Freilich, persönliche Erfahrungen lassen sich
nicht so leicht generalisieren, schon gar nicht, wenn sie einerseits
durch eine Menge überlieferter Symbole und Zeugnisse aus den verschiedensten
Erlebnisbercichen und kirchcngeschichtlichen Zusammenhängen
ausgedrückt, andererseits mystisch verklärt werden. Tiefsinn
, Erfahrung und Weisheit der „Nichterlährung". wo östliches und
westliches Wahrnehmen zusammenkommen, lassen sich nur schwer
vermitteln. Sic bedürfen einer einfachen und klaren Sprache, die des
wissenschaftlichen Apparates und der Fülle der Materialien entbehren
kann, um verstanden zu werden. Die Vfn. mag schon recht haben:
„Am Ende finden wir, daß sogar der Weg von Tränen und Feuer kein
Weg ist - außer darin, daß er alle Wege hinter sich zu lassen versucht.
Und doch ist er ein Weg der Tränen, weil er den Willen zur Machtlosigkeit
impliziert und zum fortgesetzten Loslassen der eigenen Lieblingsbilder
und Sicherungssysteme, weil er Engagement Für fort-