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Ausgabe:

1988

Spalte:

616

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Congar, Yves

Titel/Untertitel:

Im Geist und im Feuer 1988

Rezensent:

M., R.

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 8

616

die Wende zur Periode des endgültigen Heils einsetzt, so daß alles
darauf ankommt, wie Israel als die für den Geschichtsprozeß verantwortliche
Erwählungsgemeinschaft sich verhält. Wer in einer solchen
Situation das deuteronomistisch-eschatologische Geschichtsbild teilt,
sieht sich damit vor die Entscheidung gestellt, den behaupteten
Anbruch des Kairos für wahr anzusehen und daher alles auf diese eine
Karte zu setzen, um die eschatologische (endgültig letzte) Chance
nicht zu versäumen oder das Ziel der Geschichte und die Erfüllung des
Erwählungsauftrages zu verfehlen. Apokalyptik in diesem Sinn war
durch die ganze Geschichte des Judentums hindurch, soweit es die
Basis der deuteronomistisch-eschatologischen Geschichtsauffassung
teilte, ein Krisensymptom und jedesmal Anlaß zu einer Scheidung
der Geister und zu heftigen Konfrontationen." (460 Mit ausgewählten
historischen Beispielen vom Frühjudentum über das talmudisch-
rabbinische, mittelalterliche und neuzeitliche Judentum bis hin zum
gegenwärtigen Jahrhundert versucht Maier diese These zu belegen.

3. Unter dem Titel Vollendung der Welt oder Weltgericht (73-104)
vergleicht der Bochumer Professor für Systematische Theologie
R. Schaeffler zwei Vorstellungen vom Ziel der Geschichte in Religion
und Philosophie. Er orientiert sich dabei insbesondere an zwei
Fragen, nämlich (erstens) inwiefern sich das Zutrauen jüdisch-christlicher
Apokalyptik in eine durch göttliche Heilsratschlüsse begründete
Theologie des Weltlaufs mit dem Gedanken menschlicher
Freiheit und Weltverantwortung vereinen lasse und (zweitens) ob die
eschatologische Neuschöpfung von Menschheit und Welt in einem
kontinuierlichen Zusammenhang mit dem gegebenen Dasein stehe.
Ziel der Argumentation in der Beantwortung dieser Fragen ist es,
sowohl die Vorstellung einer Weltvollendung ohne Weltgericht, der-
zufolge die Vollendung der Welt durch eine ihr inhärente Eigendynamik
gesichert ist, als auch die Vorstellung eines Weltgerichts
ohne Weltvollendung zu vermeiden, dergemäß das eschatologische
Handeln Gottes als die schlechthinnige Negation alles Bestehenden zu
gelten hätte.

4. Dem Reich-Gottes-Begriff als zusammenfassendem Ausdruck
von Sinn und Ziel der Geschichte ist der Beitrag des Tübinger Systematikers
P. Hünermann gewidmet (105-142). Vorbereitet durch die
alttestamentliche Vorstellung vom Königtum Jahwes, welche seit
Deuterojesaja eschatologischen Charakter annimmt und später pe-
riodisierend ausgestaltef wurde, bildet die Botschaft von der kommenden
Gottesherrschaft den Grundbestand der Verkündigung Jesu. Das
Reich Gottes wird dabei nicht als politisch-nationale, sondern als
menschheitsgeschichtlich-universale Größe verstanden, wobei herkömmliche
endzeitliche Vorstellungsgehalte zwar beibehalten, auf
jede Detailbeschreibung hingegen verzichtet wird. Charakteristisch ist
im übrigen der differenzierte Zusammenhang futurischer und präsentischer
Aussagen. Indem Jesu Sein und Wirken ganz von der Zukunft
des Reiches Gottes bestimmt ist, ist dieses bereits antizipativ gegenwärtig
in ihm. Dieser, in der Auferstehung des Gekreuzigten manifeste
eschatologische Sinn der Sendung Jesu wird von den ntl. Zeugen
christologisch entfaltet, wobei es im einzelnen durchaus zu unterschiedlichen
Akzentsetzungen auch in Hinblick auf den Reich-
Gottes-Gedanken kam. Nachdem Hünermann die neutestament-
lichen Aussagen über das Reich Gottes einer eingehenden begrifflichen
Reflexion unterzogen hat, gibt er eine knappe Skizze der Ausprägung
des Reich-Gottes-Gedankens in den drei Epochen der
Kirchengeschichte (Patristik, Mittelalter und Neuzeit), um mit einer
Analyse einschlägiger Aussagen des 0. Vatikanischen Konzils zu
schließen, in denen das Reich Gottes als „Reich eschatologischer,
freier, die ganze Kreativität des Menschen einfordernder Kommunikation
verkündet" (139) und somit der biblisch belegten Tatsache
Rechnung getragen werde, wonach das Reich Gottes „als göttlichmenschliches
Freiheitsgeschehen wahrhaft angebrochen und wirklich
geschichtlich gegeben (ist) in geschichtlichen Selbst- und Freiheitsvollzügen
" (120).

Ob mit solchen Hinweisen dem gegenwärtigen Bewußtsein in seiner
angeblichen apokalyptischen Drangsal geholfen ist, vermag ich nicht

zu entscheiden. Festzustellen ist, daß die Beiträge in historischer und
geistesgeschichtlicher Hinsicht interessante und lehrreiche Details
enthalten. Vergleichsweise generell und unspezifisch sind demgegenüber
- abgesehen vielleicht von Maiers Kommentar zur politischreligiösen
Lage im gegenwärtigen Staate Israel (vgl. 61 ff) - in der Regel
die aktuellen Bezüge. Aber möglicherweise ist gerade dies ein authentischer
Ausdruck wenn auch nicht der allgemeinen, so doch der
Bewußtseinslage gegenwärtiger Theologie, die, wenn sie nicht überhaupt
im Historischen verweilt, nur allzugerne mehr oder minder
abgehobenen Globalperspektiven zuneigt, während sie die konkrete
Zeitanalyse bereitwillig den Spezialisten der jeweiligen Fachwissenschaft
überläßt.

Augsburg Gunther Wenz

Congar, Yves: Im Geist und, im Feuer. Glaubensperspektiven. Übers,
von W.Müller. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1987. 159 S. 8".
Kart. DM 19,80.

In dieser Auswahl bereits veröffentlichter Aufsätze legt der bekannte
katholische Ökumeniker Yves Congar einen repräsentativen
Querschnitt vor, der die Spannbreite seines Arbeitens ahnen läßt. C.
bemüht sich auch hier grundsätzlich um die Vermittlung von geleb-
tem Glauben und theologischen Einsichten. Damit gelingt ihm ein
lohnendes und leicht zu lesendes Buch, das aber dennoch keine leichte
Kost ist, da es vom tiefen Ernst des Glaubens genauso geprägt ist wie
von der Freiheit der Kinder Gottes, gleich welches Thema er wählt:
Schrift und Tradition, Kirche, Sakramente oder Heiliger Geist (vgl-
dazu sein großes Werk: Der Heilige Geist, Freiburg i. Br. 1982, rez.
ThLZ 108,1983,624ff).

Die Aufsätze im einzelnen: Laßt Gott Gott sein oder Yves Congar und das
Gebet 7-21, Die Psalmen in meinem Leben 22-34, Gottes Wort in Vergangenheit
und Gegenwart 35-50, Begegnung als Geheimnis 51-62, Aktualität der
Pneumatologie 63-83, Theologie des Heiligen Geistes und charismatische
Erneuerungsbewegung 84-101, Über die liturgische Versammlung 102-130,
Liturgische Feier und Zeugnis 131-143, Der Himmel - brennender Dornbusch
der Welt 144-156.

R.M-

Systematische Theologie: Dogmatik

Weimer, Ludwig: Die Lust an Gott und seiner Sache oder Lassen sich
Gnade und Freiheit, Glaube und Vernunft, Erlösung und Befreiung
vereinbaren? Freiburg-Basel-Wicn: Herder 1981. 560 S. gr. 8'.
Lw. DM 68,-.

„Es wäre vermessen, den Reichtum der Gedanken, Anspielungen
und Überlieferungen, aus denen der Verfasser schöpft, zusammenfassen
' zu wollen", schreibt Karl Lehmann, heute Bischof von Mainz,
in einer Besprechung dieses Buches (zitiert als „Klappentext"). Das ist
richtig in bezug auf die Fülle des Inhaltes. Aber man kann die These
des Buches zusammenfassen. Sie lautet: 1. Allein der Gedanke eines
Je-ganz, unvermischt und ungetrennt, erfaßt sachgemäß den Zusammenklang
von Gottes Handeln durch seine Gnade und menschlichem
Handeln in Freiheit. 2. Das Je-ganz von Gnade und menschlicher
Freiheitstat verwirklicht und begreift sich allein in der Kirche und
durch die Kirche als „Lust an Gott und seiner Sache" in gegenseitigem
befreienden Gehaltensein.

Daraufhin kann man negativ urteilen: Das Buch ist, was das „Je"
ganz" angeht, nur die Aufbereitung einer alten Wahrheit der katholisch
-scholastischen Tradition der Gnadenlehre, und zwar einschließ"
lieh der Kategorie der „Lust an Gott und seiner Sache". Die letztere is'
die eigentliche Pointe der vielfach mißverstandenen (und allerdings
auch vielfach mißbrauchten) Lehre von der Gnade als „einer Art
qualitas" und/oder „habitus" in der Seele des Menschen - inzwischen