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Ausgabe:

1988

Spalte:

40-41

Kategorie:

Kirchengeschichte: Territorialkirchengeschichte

Autor/Hrsg.:

Brandt, Hans-Jürgen

Titel/Untertitel:

Die Weihbischöfe in Paderborn 1988

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 1

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Der als Professor für Neueste Geschichte an der Freien Universität
Amsterdam wirkende Autor, bekannt u. a. durch Arbeiten zur Widerstandsforschung
(Neuordnung im Widerstand. Der Kreisauer Kreis
innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, München 1967) legt
die erstmals 1968 erschienene, jetzt in der vierten Auflage aus dem
Niederländischen übertragene Neufassung seines Buches über den
deutschen Widerstand gegen Hitler vor (Titel der holländischen Originalausgabe
: Het Duitse verzet tegen Hitler). Die im Text vollständig
überarbeitete, auch im Anmerkungs- und Literaturteil auf den
neuesten Stand gebrachte Überblicksstudie über das weitgefächerte
Feld des Widerstands gegen das NS-Regime in Deutschland verweist
im Vorwort auf die Forschungsentwicklung, die zeige, „daß der
Widerstand in seinem vollen Umfang vom nonkonformistischen Protest
bis zum aktiven Widerstand doch in breitere Schichten reicht, als
bisher angenommen wurde" (9). Hier spiegeln sich Tendenzen der
resistenzgeschichtlichen Verhaltensforschung wider, die gleichwohl
nach „scharfen Kriterien zu analysieren" seien, „damit Unzufriedenheit
an sich nicht schon identifiziert wird mit Widerstand" (9).

Die „Stufen und Formen des Widerstands" (Kap. 1) verweisen auf
eine reiche Palette von Aktivitäten des „passiven Widerstands" (wie
beantragte Entlassung, Emigration, öffentlicher und offizieller Protest
, Hilfe für Verfolgte usw.) und werden phasenspezifisch-exemplarisch
aufgewiesen. Unterschieden davon wird der „aktive Widerstand
", der alternativ auf Systemumsturz zielt.

In 12 Kapiteln wird das Thema ausgeführt. Informative Darlegung
finden der Widerstand der KPD, der SPD, der kirchliche und der bürgerliche
Widerstand, militärischer Widerstand wie Attentatsversuche,
Exil und Ausland. Bei der Behandlung des Kreisauer Kreises wird auf
neue historiographische Akzentuierungen hingewiesen, die seinen
Charakter nicht auf bloße theoretische Reflexion beschränken, sondern
ihn stärker widerstandsaktivistisch apostrophieren.

Bei der Behandlung der Kirchen (Kap. 6: Bekennende Kirche;
Kap. 7: Der katholische Widerstand) fallen gewisse Ambivalenzen
auf, die dem Hinweis auf ein resistenzeffektiveres Bild vom Widerstand
nicht ganz entsprechen: mangelnde, nur seltene kirchliche
Proteste, ganz unterschiedliches Reagieren bei Euthanasie-Aktion
und Judenverfolgung. Der „Kirche als Institution" wird Versagen
attestiert (33), der mutige Protest einzelner hervorgehoben. Die noch
immer vertretene Meinung, die „Kirche als solche" habe Widerstand
geleistet, entspreche nicht den Tatsachen (79). Ergebnisse der Resistenzforschung
sind offensichtlich trotz Bemühens um extensivere
Würdigung des Widerstandsverhaltens und Betonung der Risikofaktoren
- verstärkt vor allem im Kriege - nicht durchweg konzeptionell
rezipiert (vgl. dazu Vorwort, 9).

Die auch gegen die Bekennende Kirche kritische Grundkonzeption,
die durchaus realistisch differenziert, zeigt sich etwa beim Jugendwiderstand
in der evangelischen Kirche: „Nur bei einer kleinen Minderheit
reifte aber aus dem Einsatz für die Bekennende Kirche eine
Distanz zum Dritten Reich" (450- Unberücksichtigt bleibt die Tatsache
eines objektiven Störpotentials, das Weltanschauungsopposition
und kirchenpolitischer Teilwiderstand der Kirchen darstellten.
Die partielle Destabilisierungsfunktion wie auch die Widerstandsrelevanz
der Konfliktkonstellationen des Kirchenkampfes im Dritten
Reich werden nicht weiter reflektiert. Kirchentum als ideologisch
bedeutsames Konkurrenzphänomen zur NS-Indoktrination vor allem
während der Kriegsjahre bleibt außerhalb des Gesichtskreises.

Die über Widerstandsformen und -gruppierungen gebotene wissenschaftliche
Information, die das vorliegende Buch in der Neubearbeitung
für breitere Kreise deutscher Leser bietet, wird ihm weite
Verbreitung sichern.

Kleinere Korrigenda: Barmer Synode Ende Mai 1934 (87); verschiedene
Termine des Niemöllerprozesses (95); die „Junge Kirche" ist kein „Jugendorgan
" der BK (45).

Leipzig Kurt Meier

Territorialkirchengeschichte

Barton, Peter F.: Die Geschichte der Evangelischen in Österreich und
Südostmitteleuropa. 1: Im Schatten der Bauernkriege. Die Frühzeit
der Reformation. Wien: Evang. Presseverband in Österreich 1985.
320 S. m. 2 Abb., I Faltkte gr. 8' = Jahrbuch für die Geschichte des
Protestantismus in Österreich, Jg. 101/1985.

Der Vf. strebt eine umfassende Darstellung der Geschichte der
Evangelischen an - zu denen er vor allem die vom Luthertum, dem
Reformiertentum und der Unitas fratrum geprägten Christen zählt -,
soweit sie sich im 16. Jh. in Mittel- und Osteuropa unter der Herrschaft
der Habsburger befanden. Daher behandelt er den Beginn der
Reformation in Breslau ebenso wie in Ungarn und Württemberg, über
das Habsburg bis 1534 herrschte. Das Erzstift Salzburg wird ebenfalls
einbezogen, obgleich es erst 1816 an Österreich fiel. Es wird auch
derer gedacht, die aus dem österreichischen Gebiet stammten und
evangelisch wurden, wie Bartholomäus Bernhardi, der als Propst von
Kemberg in Sachsen für die Reformation wirkte. Eine weit ausholende
Skizze der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen
und auch kirchlichen Verhältnisse zeichnet den Rahmen, innerhalb
dessen sich die reformatorische Bewegung vollzog. Daß die Bauernerhebung
ihren Anfang in Vorderösterreich nahm, nutzt der Vf., um
aus österreichischer Sicht darüber zu berichten und die negative
Wirkung auf die Ausbreitung der Reformation unter der habsbur-
gischen Herrschaft herauszustellen. Der apologetische und manchmal
polemische Ton verrät, welchen Interpretationen ihrer Geschichte
sich Evangelische auch heute noch in Österreich teilweise erwehren
müssen. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555, der vielen
Kirchenhistorikern als nützlicher Kompromiß erscheint, weil er die
Gefahr eines Religionskrieges bannte, wird wegen seines Prinzips, den
Landesherren die Entscheidung über die Konfessionszugehörigkeit
zuzugestehen, und dessen gegen reformatorischer Anwendung in
Österreich „zu den größten Schandtaten der C hristenheit" gezählt.
Die ausführliche Darstellung der Martyrien Evangelischer - die der
Täufer werden nur erwähnt - verdeutlicht, welche Bedeutung diese
für das Selbstverständnis der Evangelischen in Österreich hatten und
noch haben. So liegt eine materialreiche, lebendig geschriebene Darstellung
bis 1530 vor, die darauf verzichtet, einzelne Personen,
geschichtliche und soziale Kräfte sowie Ereignisse einer strengen
Konzeption zu unterwerfen und ihnen nur entsprechend ihrer historischen
Bedeutung für die Evangelischen Platz einzuräumen.

Leipzig Hclmar Junghans

Brandt, Hans Jürgen, u. Karl Hengst: Die Weihbischöfe in Paderborn
. Paderborn: Bonifatius-Verlag 1986. XXIV, 243 S. m.
142 Abb. 4*. Lw.DM 48,-.

Über einen prächtig ausgestatteten Band „Die Bischöfe und Erz-
bischöfe von Paderborn" (1984) war in ThLZ 110, 1985, 535f
berichtet worden. Auch der jetzt vorgelegte Band ist gedacht als „Teilarbeit
für die geplante umfassende Bistumsgeschichte von den
Anfangen bis zur Gegenwart" (Vorwort). Eine Landkarte zeigt die
Titularbistümer der Weihbischöfe, die vor allem im Süden und Osten
des Mittelmeerraumes liegen. Aus der Reihe der Abbildungen sei verwiesen
auf einen Stich von 1679, der den Dom und die Severikirche in
Erfurt zeigt (Abb. 35, S. 61). Die Einleitung erklärt die Einrichtung
der Weihbischöfe, der früheren Hilfsbischöfe. Es geht um die Auflistung
von Fürstbischöfen und Weihbischöfen, ihre ständische
Herkunft, Lebensverhältnisse und akademische Bildung (XV-XXII).
Die Rechtsstellung der Weihbischöfe wurde aufgewertet durch das
2. Vatikanische Konzil „allein schon dadurch, daß sie von Johannes
XXIII. als Konzilsväter eingeladen wurden, und zwar mit Sitz und
Stimme" (XXII). Seitdem werden die Weihbischöfe „auch zu den Sitzungen
der Deutschen Bischofskonferenz eingeladen" (XXIII). Eine