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Ausgabe:

1988

Spalte:

607-608

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lüdemann, Gerd

Titel/Untertitel:

Die religionsgeschichtliche Schule in Göttingen 1988

Rezensent:

Mildenberger, Friedrich

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Seite 1

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607

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 8

608

wurde Spinozismus genannt. Lessing nimmt gegenüber dem erstaunten
Jacobi an dem Gedicht kein Ärgernis: „Das Gedicht hab' ich nie
gelesen, aber ich find es gut." Jacobi: „In seiner Art, ich auch, sonst
hätte ich es Ihnen nicht gezeigt." Lessing: „Ich meyn' es anders ...
Der Gesichtspunkt aus welchem das Gedicht genommen ist, das ist
mein eigener Gesichtspunkt. . . Die orthodoxen Begriffe von der
Gottheit sind nicht mehr für mich . .. Ich weiß nichts anders."

(S. 229) Das lange Gespräch kreist vor allem um die Frage nach einer
f

„verständigen persönlichen Ursache der Welt" (S. 231).

Von besonderem Interesse dürfte auch die in diesem Band erstmals
veröffentlichte Korrespondenz Jacobis mit dem jungen Theologen
Thomas Wizenmann (1759-1787) sein. Jacobi hatte ihn im April
1783 kennengelernt, als er auf dem Weg nach Barmen, wo er eine
Stelle als Erzieher antreten sollte, durch Düsseldorf gekommen war.
Aus der Bekanntschaft wurde bald eine intensive Freundschaft. Wie
vertrauensvoll das Verhältnis zueinander war, wird auch daran deutlich
, daß Jacobi zwei Tage nach dem Brief an Mendelssohn über das
Spinoza-Gespräch mit Lessing, eine Abschrift an Wizenmann schickt.
Er solle niemanden von diesem Brief und seinem Inhalt etwas sagen
oder schreiben. Im Mittelpunkt ihrer Gespräche und Briefe steht die
Frage des Verhältnisses von Determination und Freiheit. Wizenmann
läßt Jacobi an seinen theologisch-philosophischen Gedanken bei der
Bibellektüre teilhaben, und Jacobi äußert seine Zweifel, aber auch
seine Hoffnungen und nimmt kritisch-fördernden Anteil an den Aufsätzen
des Theologen.

Zwei Ereignisse machen die Ganzheit des Lebens besonders deutlich
: Kurz hintereinander sterben der zehnjährige Sohn Jacobis und
seine Frau Helene Elisabeth (8. 1. und 9.2. 1784). Diese beiden
schweren Verluste bestimmen die familiäre, bewegende Korrespondenz
, aber auch die Briefe mit Claudius, Herder, Goethe, der Fürstin
Gallitzin und mit Wizenmann. Neben Wizenmann ist es besonders
die Fürstin Gallitzin, zu der Jacobi nun in einem besonders freundschaftlichen
Verhältnis steht. In diesem umfangreichen Briefwechse,
wird auch etwas sichtbar von den politischen Gedanken Jacobis, dessen
Philosophie sich so intensiv mit der Freiheitsthematik befaßt:
„Ich halte den Despotismus für das größte von allen Übeln u mag ihm
keine Brücke laßen, wenn auch darüber manches Gute zurück bleiben
sollte." (Nr. 795, S. 470- Der Staat soll ein Zusammenleben der Menschen
in Freiheit und gegenseitiger Anerkennung ermöglichen. Religion
und Tugend kann er nicht gesetzlich fordern.

Der Band ist neben einer Einleitung mit einem Personenverzeichnis
und einem Briefregister ausgestattet. Leider ist von den Kommentarbänden
bisher noch kein Band erschienen, so daß man die chronologisch
angeordneten Von- und An-Briefe (man hätte sie in verschiedenen
Schriftgraden drucken können) noch nicht voll ausschöpfen kann.
Bis Ende 1988 soll der erste Kommentarband vorliegen. Der vorzüglichen
Ausstattung der Jacobi-Briefbände sollten die Bände der entsprechenden
Kommentarreihe nicht allzu spät folgen.

Celle Wolfgang Sommer

Lädemann, Gerd, u. Martin Schröder: Die Religionsgeschichtliche
Schule in Göttingen. Eine Dokumentation. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1987. 148 S. m. 80 Abb. gr. 8°. Kart. DM
19,80.

Die vorgelegte Dokumentation war Begleitheft zu einer anläßlich
der Tagung der Studiorum Novi Testamenti Societas in Göttingen erarbeiteten
Ausstellung über die Religionsgeschichtliche Schule in
Göttingen, ist aber auch weiterhin von Interesse. Sie dient zugleich
der Vorstellung eines Archivs zur Religionsgeschichtlichen Schule
(Projekt „Religionsgeschichtliche Schule", Institut für Spezialfor-
schungen des Fachbereichs Theologie, Nikolausberger Weg 5b, D -
3400 Göttingen). Die vorgelegten Beiträge stammen, soweit nicht
anders vermerkt, von M. Schröder. Es handelt sich um knappe, durch
den Abdruck von Dokumenten und Bildern erweiterte Darbietung
von Fakten.

Vorgelegt werden nach einer Einleitung, die Grundsätze der religionsgeschichtlichen
Schule nennt, Informationen zu folgenden Themen
: I. Von der „kleinen Göttinger Fakultät" zur Religionsgeschicht-
lichen Schule. II. Die geistigen Väter an der Universität Göttingen
(A. Ritsehl, B. Duhm, P. de Lagarde, H. Schultz, H. Reuter, J. Wellhausen
, U. v. Wilamowitz- Moellendorf H. Lotze). III. Die studentischen
Verbindungen in Göttingen 1880-1914 (von H.-J. Dahms). IV.
Das Göttinger Theologische Stift 1878-1900. V. Lebensläufe (tabellarisch
) von Wilhelm Bornemann, Wilhelm Bousset, Albert Eichhorn,
Hermann Gunkel, Heinrich Hackmann, Wilhelm Hcitmüller, Rudolf
Otto, Alfred Rahlfs, Ernst Troeltsch, Johannes Weiß, William Wrcde.
Dazu als Ergänzung VIII. Stationen der Theologenkarricre von
H.-J. Dahms mit Informationen über Promotion, Habilitation und
die weiteren Möglichkeiten einer akademischen Karriere. Die Abschnitte
VI. das Predigerseminar in Loccum unter Gerhard Uhlhorn
und der Loccumer Lebenslauf von William Wrede sowie VII. Popularisierung
der theologischen Forschung. Breitenwirkung durch Vorträge
und „gemeinverständliche" Veröffentlichungen hat Nittert
Janssen beigesteuert. Er nennt im letzteren Beitrag die Religionsgeschichtlichen
Volksbücher, Lebensfragen, das Göttinger Bibelwcrk
und die Religion in Geschichte und Gegenwart.

Insgesamt handelt es sich um einen Band, der erste Informationen
gibt, auch zum Blättern lockt. Insbesondere die Porträts sind dabei
von Interesse. Mehr als eine allererste Information über die theologiegeschichtlich
wichtige „Religionsgeschichtliche Schule" kann und
will die Veröffentlichung nicht geben. Hoffen wir, daß sie zur weiteren
Beschäftigung mit der Arbeit dieser Theologen führt.

Erlangen Friedrich Mildenberger

Dogmen- und Theologiegeschichte

Graf, Friedrich Wilhelm: Theonomie. Fallstudien zum Integrationsanspruch
neuzeitlicher Theologie. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn 1987. 246 S. 8°.

Die vorliegende Münchner Habilitationsschrift (bei T. Rend-
torff) wirft die Frage auf, inwiefern der Theonomiebegriff „das Problem
der Vermittelbarkeit der Lex Dei der Tradition mit der modernen
Auslegung ethischer Verbindlichkeit als vernünftiger Autonomie
" (II) zu signalisieren und ggf. zu lösen vermag. Dabei ist Grafs-'
Interesse gleichermaßen ein systematisches wie historisches. Entgegen
der verbreiteten Meinung, daß der Theonomiebegriff erst in den
20er Jahren von P. Tillich in die Theologie eingebracht wurde, weist
er zunächst für das 19. Jh. dessen weite Verbreitung nach und entdeckt
den (bislang) frühesten Beleg in J. H. Campes „Wörterbuch zur
Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen
fremden Ausdrücke" von 1813 (vgl. 47). Der fraglos in Auseinandersetzung
mit Kants Autonomielehre entstandene Neologismus wird
seither sowohl im Gegensatz zur Autonomie als auch vermittlungstheologisch
gebraucht. Bei letzterer Verwendung stehen sich grundsätzlich
ein „formaler, an offener Vermittlung orientierter" und ein
„materialer, einer Integration auf exklusiv religiös-christlicher Wertbasis
dienender" (36) Theonomiebegriff gegenüber.

Als Beispiel für eine strikt formale Vermittlung stellt Graf den liberalen
, spätrationalistischen Theologen und Philosophen Wilhelm
Traugott Krug( 770-1842) vor, dessen Auslegung des Theonomie-
begriffs „auf die Freisetzung und Stärkung kulturpraktischer Autonomie
(zielt)" (55). Im Gefolge Kants plädiert er für einen Zusammenhang
von Gottesbegriff und Sittengesetz - wenn auch nur funktional-
In seiner „Fundamentalphilosophie" (1803/1819) trägt der Theonomiebegriff
diese Korrelation in dreifacher Weise: Erstens als „inoral-
theologische Garantieinstanz" (57) der autonomen praktischen Vernunft
, welche als „Ab- und Ausdruck der Gesetzgebung der göttlichen
Urvernunft" (59) betrachtet werden muß, ohne sie matcrialiter zu he-