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Ausgabe:

1988

Spalte:

605-607

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Jacobi, Friedrich Heinrich

Titel/Untertitel:

Briefwechsel 1782 - 1784 1988

Rezensent:

Sommer, Wolfgang

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605

Theologische Literaturzeitung 1 1 3. Jahrgang 1988 Nr. 8

606

Kirchengeschichte: Neuzeit

Jacobi, Friedrich Heinrich: Briefwechsel 1782-1784. Nr. 751 bis
1107. Hg. von P. Bachmaier, M. Brüggen. H.Gockel, R. Lauth,
P.-P. Schneider. Stuttgart: frommann-holzboog 1987. 444 S. m. 4
Taf. z. T. färb. gr. 8' = Friedrich-Heinrich Jacobi Briefwechsel,
Reihe I, Bd. 3. geb. DM 290.-.

Als der erste Teil einer geplanten Jacobi-Gesamtausgabe wird gegenwärtig
bei der Jacobi-Forschungsstellc an der Universität Bamberg
der umfangreiche Briefwechsel Friedrich Heinrich Jacobis
(•743-1819) historisch-kritisch ediert. Die Gesamtausgabe der Briefe
von und an Jacobi ist auf 15 Textbände und 8 Kommentarbände projektiert
. Das breit angelegte, aufwendige Unternehmen rechtfertigt
sich durch die große Bedeutung, die dieser weitgespannten Korrespondenz
Jacobis für die Philosophie- und Literaturgeschichte. Reli-
gions-, Geistes- und Theologiegeschichte in der zweiten Hälfte des 18.
und im beginnenden 19. Jh. zukommt. Denn die Briefe von und an
Jacobi dokumentieren nicht nur die Zeitgenossenschaft Jacobis mit
den anderen bedeutenden Gestalten dieser geistig reich bewegten
Epoche, sondern in ihnen schließen sich die geistigen Strömungen der
Zeit wie selten sonst in einem persönlichen Profil zusammen. Die
Philosophisch-literarischen Diskussionen des späten 18. Jh. werden
m den Briefen Jacobis angestoßen und fortgeführt in Zustimmung wie
Kritik: es sei nur an den von ihm ausgelösten Spinozastreit erinnert
und dessen Bedeutung für die deutsche Klassik und die idealistische
Religionsphilosophie, an seine Kritik der Kantischen Philosophie, an
seine Nihilismusthcse, die Kontroverse um die Offcnbarungsreligion
oder den Atheismusstreit.

Die Bedeutung Jacobis Tür die Entwicklung der deutschen Literatur
w'e der klassischen deutschen Philosophie wurde im 19. und zu Anfang
des 20. Jh. unterschätzt. In den letzten Jahrzehnten haben.sich jedoch
Literaturwissenschaft und Philosophie verstärkt mit Jacobi beschäftigt
, und auch die Theologie hat nicht wenig Anlaß (z. B.
Sehleiermachcrforschung!), dieses entstehende Briefcorpus im
Rahmen der literaturwissenschaftlich-philosophiegeschichtlichcn
Jacobi-Rcnaissance dankbar zu begrüßen.

Eine umfassende Einschätzung der Bedeutung Jacobis war bislang
n|cht möglich, da die Hälfte aller Briefe, die bisweilen philosophische
und literarische Werke sind, und die Tagebücher noch nicht veröffentlicht
wurden. Hier will die neue Edition Abhilfe schaffen, indem
s,e alle Briefe von und an Jacobi, die erhalten sind, historisch-kritisch
wiedergibt und den Inhalt der zu erschließenden Briefe rekonstruiert
.

Da in der ThLZ die beiden vorangegangenen Bände der Jacobi-
Briefedition noch nicht besprochen sind, gebe ich einen kurzen Überblick
über die schon veröffentlichte Jacobi-Korrespondenz.

■m I. Band, der 1981 herauskam und die Briefe von 1762-1775
(Nr. 1-380) enthält, werden mehr die literarischen als philosophischen
Tendenzen und Beziehungen Jacobis dokumentiert. Zunächst
steht die französische Geistcskultur in Genf im Vordergrund mit den
^riefen Georges-Louis Le Sages und vor allem denjenigen an den
Amsterdamer Buchhändler Marc Michel Rey, einem Landsmann und
Vertrauten J. J. Rousseaus. Dieser bisher nur schwer zugängliche
Brietwechsel zeigt u. a. auch, wie systematisch Jacobi von Anfang an
den Aufbau seiner Bibliothek betreibt. (Der Katalog der Bibliothek
Jacobis. der einzigen titelmäßig geschlossen erhaltenen umfänglichen
Philosophenbibliothek aus der Zeit des Deutschen Idcalis-
mus, erscheint im gleichen Verlag im Herbst 1988). Vermittelt zugehst
durch den Bruder Johann Georg Jacobi.dann durch Gleim und
d'e 1770/71 einsetzende Korrespondenz mit Wieland, tritt Jacobi
lrnmer stärker in die literarische Szene Deutschlands ein. 1774 besinnt
die intensive Beziehung zu Goethe. Die sich seit den 1770er Jahren
verstärkenden wirtschaftspolitischen Interessen Jacobis lassen
die Briefe des 1. Bandes nur gelegentlich erkennen, sie werden deutscher
im 2. Band, der die Briefe von 1775-1781 (Nr. 381-750) enthält
und 1983 herauskam. Die Briefe dieses Bandes zeigen Jacobi auf
dem Höhepunkt seiner beruflich-politischen Wirksamkeit wie auch
der literarischen Produktion; Der homo oeconomicus und der homme
de lettres gehören bei Jacobi durchaus zusammen, ganz ähnlich wie
bei seinem Freund J.G.Hamann. Als Ministerialreferent für das
plälzbayerische Zoll- und Handclswesen erreicht er. daß Leibeigenschaft
und Frondienste abgeschafft werden. Aber bereits nach kurzer
Zeit trat Jacobi in Unfrieden von seinem Amt zurück, weil er sich mit
seinen liberalen, von Adam Smith angeregten wirtschaftspolitischen
Vorstellungen bei der kurfürstlichen Regierung in München nicht
durchsetzen konnte. Seitdem lebt er als Privatgelehrter von seinem
und dem Vermögen seiner Frau Betty, geb. Clcrmont. Sein Landsitz
Pempelfort bei Düsseldorf wurde in den letzten Jahrzehnten des
18. Jh. zum Treffpunkt der geistigen Elite nicht nur des deutschsprachigen
Raumes. In dieser Zeit entstehen die beiden philosophischen
Romane ..Eduard Allwills Papiere" (1775) und „Woldemar"
(1777). An der ausbleibenden literarischen Anerkennung dieser
Werke, die an Goethes „Werther" gemessen werden, zerbricht der
Freundschaftsbund mit Wieland und ab 1779 auch die Beziehung zu
Goethe. Wichtige Korrespondenzpartner des 2. Bandes sind u. a.
Lavater, Heinse (mit anschaulichen Schilderungen einer Schweiz-
und Italicnreise) und J. G. Forster. Die bisher unzugängliche, ausgiebige
Korrespondenz mit Amalia Fürstin von Gallitzin und dem
Kreis von Münster sowie die folgenreiche Freundschaft mit Lessing
bilden weitere Schwerpunkte des 2. Bandes, die im 3. Band fortwirken
.

Die Briefe des 3. Bandes, die den verhältnismäßig kleinen Zeitraum
von drei Jahren umfassen, setzen die Linien der beiden vorangegangenen
Jahrzehnte fort. Der Philosoph Jacobi tritt ins Zentrum. Zwei
neue, bedeutende Briefpartner kommen hinzu: Hamann und Herder.
Vermittelt durch Matthias Claudius, treten Hamann und Herder mit
Jacobi in Beziehung, Hamann im August 1782 mit einer eigenwilligen
Charakterisierung des Woldemar. Zunächst etwas schleppend beginnt
nun der Briefwechsel mit J. G. Hamann, der über die Philosophie des
Woldemar hinaus sich zum.philosophisch-literarischen Diskurs entwickelt
. Als Jacobi Abschriften von Briefen, die Lehre Spinozas betreffend
, beilegt, zeigt sich Hamann sehr interessiert, da er sich an
seine eigene Auseinandersetzung mit Moses Mendelssohn erinnert.
Auch der mit Herder ab Mai 1783 geführte Briefwechsel gerät bald in
die Debatte über Spinozas Lehre. Jacobi glaubte in Herder einen Verbündeten
gegen den allseits virulenten Spinozismus zu finden. Aber
Herders Antwortbrief vom 6. 2. 1784 ist überschrieben mit der Formel
Plotins: liv xai nav. Diese Formel, die in der zweiten Hälfte des
18. Jh. bald als Schlagwort für Spinozas Philosophie geläufig wurde,
soll Herders Stellung im Spinoza-Streit deutlich machen: ,,Siebenmal
würde ich sonst mein ev xai nav herunter geschrieben haben, nachdem
ich so unerwartet an Leßing einen Glaubensgcnoßen meines philosophischen
Credo gefunden." (Nr. 992, S. 279) Herder widerspricht vor
allem der These Jacobis, der Spinozismus sei als Atheismus zu verstehen
. (Vgl. die Herder-Briefe an Jacobi auch in der wichtigen Gesamtausgabe
der Briefe Herders, hg. vom Goethe- und Schiller-Archiv
in Weimar, Bde. 4 und 5, Weimar 1979).

Die Spinoza-Debatte durchzieht als roter Faden den 3. Band der
Jacobi-Bricfe. Im Zentrum des Bandes steht der berühmte Brief Jacobis
an Moses Mendelssohn vom 4.11.1783 (Nr. 964, S. 227-246).
Mit ihm und seiner Veröffentlichung 1785 durch Jacobi wird die
Spinoza-Debatte auf ihren Höhepunkt geführt. Veranlaßt wurde
Jacobis Brief durch Mendelssohns Absicht, dem verstorbenen Freund
Lessing ein „Ehrengedächtnis" zu schreiben. Jacobi erinnert sich
eines denkwürdigen Gesprächs, das er am 6. und 7. Juli I 780 mit Lessing
in Wolfenbüttel geführt hatte. Jacobi gibt Lessing die Prometheus
-Ode Goethes mit der Bemerkung: „Sie haben so manches
Aergerniß gegeben, so mögen Sie auch wohl einmahl eins nehmen."
(S. 229). Im 18. Jh. galt der Prometheus-Mythos als Beispiel der Auflehnung
gegen die orthodoxen Begriffe von'Gottheit, gegen den persönlichen
Gott. Das philosophische System solcher Auflehnung