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Ausgabe:

1988

Spalte:

602-604

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Thesaurus Lutheri 1988

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung I 13. Jahrgang 1988 Nr. 8

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ment, mais plcinemcnt»). Nicht Kampfe gegen Superstition und den
die Quellen verlassenden Papismus sind bei Calvin im Mittelpunkt,
sondern das ganze Ja-Sagen zu den allein geltenden Autoritäten: Soli
deo gloria (15), Sola Scriptura (17) und Sola fide (18). Für die volle
ökumenische und die persönliche Annahme der Leitbegriffe Calvins
tritt Dumas ein. G. Widmer plädiert für eine Theologie der Reformation
, die nicht im 16. Jh. stehenbleibt, sondern gegenwärtig-praktisch
ist: Die Praxis der Theologie ist eine gefährliche Disziplin in einer Gesellschaft
, die zerrissen ist durch Widersprüche und Antagonismen.
Eine ihrem Ursprung treu bleibende, d.h. gekreuzigte und kreuzigende
Theologie bringt die Gesellschaft in Bewegung. Sic ist inner-
kirchlich und außerkirchlich kritisch und wehrt jeder Art von Tota-
litarismus (48). P. Gisel setzt in seinem Beitrag über die Herausforderungen
und die Zukunft der reformierten systematischen Theologie
Ansätze zur Bewegung im Verständnis des Menschen fort und tritt für
eine Ökonomie des Glaubens und des Geistes ein (56). A. Gounelle
geht auf die großen Prinzipien in der Aktualität reformierter Theolo-
g'e ein und stellt im Sinne der reformierten Väter die Gottheit Gottes
und das Vor-Gott-Sein des Menschen als zu den Hauptprinzipien der
Theologie gehörig heraus. Dieses alles erfährt der Mensch durch Gott
selbst, der in der Bibel zu ihm spricht (76).

Zu den Besonderheiten reformierter Bibelauslegung referierten
A. de Pury, der ganz allgemein nach dem Vorhandensein von Spezifitäten
reformierter Exegese fragt, F. Bovon und P. Keymond, die das
Hören des Gotteswortes mit dem ständigen Direktstudium der Heiligen
Schrift verbinden, und zwar aufgezeigt am Textstück Mt
'6,17-19, und der Prager Professor L. Broz, der über die Bibelbc-
wegung in den tschechischen Ländern für die Jahre 1930-1940 handelt
.

Zum 3. Themenkomplex einer Aktualisierung reformierter Praxis
und Ethik waren 6 Vorträge vorgesehen. E. Fuchs gehl davon aus, daß
es in unserer säkularisierten Gesellschaft eine Ethik gibt. Er legt dar,
daß dafür ein hilfreicher reformiert-theologischer Beitrag da ist (12 I).
Nicht minder sucht M. Faessler nach dem Fundament der Ethik und
zitiert dazu Calvin, daß es nicht um eine Sprachlehre oder das (isolierte
) Evangelium, sondern um Lebensichre ginge (129). Der nächst-
äbgedruckte Vortrag stammt von H. Motlu und tritt im Rahmen einer
Behandlung des inneren Zeugnisses des Heiligen Geistes nach Calvin
*ur den interkonfessionellen Dialog ein, auch mit der orthodoxen
Theologie des Orients (163). Dekan J.-M. Chappuis spannt den
geistesgeschichtlichen Bogen von Calvin bis Bonhoeffer und kommt
wie seine Vorredner zu dem Schluß, daß der Calvinismus eine Praxis
ujr unsere Zeit sein kann (179). Der Zürcher praktische Theologe

Leuenberger stellt seine eigene Disziplin als nicht disziplinierte vor
Und setzt dazu interessanterweise schon bei Schlcicrmachcr ein. Er
führt Schleicrmacher weiter in seiner Grundkonzeption, daß nicht
niJr die praktische Theologie, sondern die Theologie als ganze eine
-scientia practica" (190) zu sein habe. Die Frage nach der Relevanz
der Disziplinen setzt B. Reymond fort, wenn er die Versuchung näher
beschreibt, die in einer Umwandlung der Genfer Theologischen
Fakultät in ein Zentrum für Religionspsychologie bestand (191).

In einem weiteren Themencnsemble erscheinen nun 2 Beiträge zur
Historiografie. R. Kingdan aus Wisconsin/USA untersucht zur Genier
Stadt Verfassung Calvins Beitrag, den er als tiefgreifende Revolution
'209) bezeichnet. L. Vischer reflektiert über Reflexionen heute, den
Glauben zu bekennen, und stellt dazu im Horizont der ökumenischen
Bewegung einige interessante Texte vor.

Der nächste Fragenkreis wird eingeleitet durch H. Babel, der über
den Protestantismus zwischen Rom und den Sekten nachdenkt. Hier
S|nd nur Thesen abgedruckt, die den Weg der Genfer Kirche zwischen
r°mischem Fundamentalismus und konsequentem «multitudinisme»
rellektiercn wollen (239). (Der Rez. wagt die Vermutung, daß die hier
'""geteilten 1 I Sätze in ihrer viel voraussetzenden Verdichtung nur
Wenigen lokalhistorisch Eingeweihten nützlich sein werden.) In die
definitorisch schwer greifbare Weite der „reformierten Welt" in bezug
au' den Reformierten Weltbund führt A. Comhu. Der Vf. untersucht

die Rolle des Reformierten Weltbundes in der so verschiedensprachigen
Weltchristenhcit. Daß ausgerechnet das reformierte Ethos sich
kontinuierlich in 5 Formulierungen ausdrückt, die man immerhin
auch auf das Luthertum beziehen könnte, setzt vielleicht manchen
reformationsgeschichtlich interessierten Theologen in Erstaunen:
„sola gratia, sola fide, sola scriptura, ecclesia reformata Semper refor-
manda" (247). H. Blocher untersucht, inwiefern sich evangelical-
cvangelistischc Theologie von Calvin herleitet. Er entdeckt bei Calvin
und den verschiedenen Entwürfen von Theologie in der Theologiegeschichte
Züge von Kontinuität und Diskontinuität. Er weist in einer
kurzen Bilanz (264) darauf hin, daß Calvin zwar den strikten Monotheismus
durchhält, aber unter Einrcchnung der Fülle der biblischen
Botschaft. Die Entwicklungen «sur le plan subjectif» des Werkes der
Gnade mit ihren ekklesiologischen Konsequenzen rufen auch einen
Fortschritt hervor, «un enrichissement», in Entsprechung zur Heiligen
Schrift.

Ein letzter Themenbereich verbindet reformierte Theologie und
ökumenische Bewegung. A. Geense untersucht in Auslegung von Mt
10,10 den reformierten Beitrag zur ökumenischen Bewegung und
schließt dazu mit dem Gedanken, daß die ökumenische Bewegung
deutlich erkennt und anerkennt, daß die Reformation einst in Genf
begonnen hat (283). Der griechisch-orthodoxe ökumenische Gast
N. A. Nissions aus Athen behandelt seinerseits den Beitrag der reformierten
Kirche zur ökumenischen Bewegung und sieht ihn u. a. in der
Proklamation des Ruhmes Gottes in der Welt (304). Der Vertreter des
Vatikanischen Einheitssekretariats. P. Duprey, wendet sich von seinem
Blickwinkel „katholischer Perspektiven" (305) den Erwartungen
zu, die die ökumenische Bewegung an die reformierten Kirchen
künftig hat. Die gemeinsamen Anstrengungen in Richtung auf die
Einheit in einer «confession unanimc» hängen zusammen mit dem
den Heiligen geschenkten Glauben, mit dem aufmerksamen Hören
durch eine unablässige Meditation des Wortes Gottes (313).

Der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, E. Castro
, äußert sich in einem letzten Beitrag dieses Buches über die Rolle
der calvinistischcn Reformation im heutigen ökumenischen Konzert.
Er zitiert dazu eine ganze Reihe klassischer Inhalte der Theologie des
Reformators und wünscht sich in diesem Rahmen für die Ökumene
die Realisierung eines der Hauptgedanken Calvins: Die Reformation
hat mit Kraft bestätigt und bestätigt bis auf den heutigen Tag die Souveränität
Gottes über die ganze Schöpfung und besonders über seine
Kirche. Es ist die Gnade, und die Gnade allein, die uns rettet und in
die Kirche inkorporiert, in den Leib Christi (324).

Auf die soeben gezeigte und viele andere Weise macht der Sammelband
deutlich, daß die Theologie Calvins und des Calvinismus weitere
Ansätze möglich macht zu einer hilfreichen Aktualisierung der alten
Botschaft, die letzteigentlich die biblische ist, im 20. Jh.

Die hier zusammengestellte Vorlesungsreihe wird ihre Bedeutung
weit über den alten Vortragssaal Calvins in Genf hinaus erhalten.

Görlitz Joachim Rogge

Mannermaa, Tuomo, Ghisclli, Anja, u. Simo Peura [Hg.]: Thesaurus
Lutheri. Auf der Suche nach neuen Paradigmen der Luther-Forschung
. Referate des Luther-Symposiums in Finnland
I 1.-12. November 1986. Helsinki: Finnische Theologische Literaturgesellschaft
Luther-Agricola-Gesellschaft 1987. 327 S. 8' = Veröffentlichungen
der Finnischen Theologischen Literaturgesellschaft
153 Jahrbuch 1987 in Zusammenarb. mit der Luther-
Agricola-Gesellschaft, Schrift A 24.

Im (iclcitwort erhofft die Vorsitzende der Finnischen Theologischen
Literaturgcscllschaft Ecva Martikainen den „Anbruch einer
neuen Renaissance der finnischen Lutherforschung" (9). Anstöße
von der Ökumene und der Philosophie sollen aufgenommen werden.
Ein ökumenischer Impuls waren Gespräche zwischen finnischen Lutheranern
und russischen Orthodoxen, bei denen sich Luthers Theologie
als „außerordentlich fruchtbar" erwies (9). Über diese Gesprä-