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Ausgabe:

1988

Spalte:

589-591

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Early Judaism and its modern interpreters 1988

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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589

Theologische Literaturzeitung I 13. Jahrgang 1988 Nr. 8

590

Judalca

Kraft, Robert, A., and George W. I:. Nickelsburg [Ed.]: EarlyJudaism
and its modern Interpreters. Philadelphia, PA: Fortress Press:
Atlanta, GAy Scholars Press 1986. XVIII, 494 S. m. 2 Taf. u. 2 Ktn
gr. 8" = SBL. The Bibleand Its Modern Interpreters, 2.

Aus Anlaß der C'cntcnarfeier hat die nordamerikanischc bibel-
wissenschaftliche Gesellschaft (SBL) ihre Mitglieder und die Öffentlichkeit
mit einer Gabe besonderer Art überrascht. In einer Trilogie
The Bible and its Modern Interpreters wird der gegenwärtige Stand
der Erforschung sowohl des Allen („Hebrew Bible") wie des Neuen
Testaments und als Mittelstück die des Frühjudentums vorgestellt.
Solche Dreiteilung, in der das Judentum als eigenständiger Bereich
erscheint, ist ein Signal. Es kenn/cichnet den Aufstieg eines Forschungszweiges
, der in den USA noch mehr als in Europa zu beobachten
ist und sich in Textausgaben. Reihen und Einzeldarstellungen
manifestiert. Äußere Ursache dieser Entwicklung dürfte die in der
Nachkriegszeit erfolgte Gründung zahlreicher Departments of Reli-
g'ous Studies an staatlichen und privaten Universitäten sein, für deren
Arbeit die Grenzen des (christlichen bzw. jüdischen) Kanons keine
Rolle spielen, als geheimer Motor ist jedoch das verstärkte Interesse
an jüdischer Geschichte und Religion seit dem Holocaust anzusehen.
Unabhängig davon hat die christliche Geringschätzung der Judaica
und die spezifisch protestantische Herabstufung der sog. Apokryphen
'hr Ende gefunden. Dies erklärt zwei wichtige Entscheidungen der
Hgg.: unter weitgehendem Verzicht auf das erste halbe Jahrhundert in
der Darstellung mit 1945 zu beginnen und den Kreis der Mitarbeiter
unabhängig von der Denomination aus der Reihe protestantischer,
römisch-katholischer und jüdischer Forscher zu wählen.

In 17, jeweils von einem oder zwei Autoren verantworteten Beiträgen
werden die historischen Grundlagen (1-4), die neuen archäologischen
Entdeckungen (5-8) und die Literatur (9-17) behandelt.
Obwohl sie z. T. schon früher abgeschlossen worden sind, ist jedem
v°n ihnen eine internationale Bibliographie beigegeben, die bis 1984
lortgelührt wurde. Die methodische Grundhaltung - im weitesten
Sinn historisch-kritisch - ist allen Mitarbeitern (-innen) gemeinsam,
nur der Kundige vermag die konfessionelle Zuordnung zu erkennen
.

Early Judaism (diese unserem Frühjudentum entsprechende Benennung
hat im angelsächsischen Raum andere Benennungen abgelöst
) umläßt die Epoche jüdischer Geschichte von Alexander d. Gr.
(330 v. Chr.) bis Hadrian (135 n. Chr.). Der den historischen Grundlagen
gewidmete Teil geht nicht chronologisch vor, sondern greift vier
Aspekte heraus, die den gegenwärtigen E'orschungsstand charakteri-
Sleren. Die politisch-soziale Situation der Juden in der griech.-röm.
Antike, dargestellt von S. J. D. Cohen (33-56), erscheint als Teil der
Sozialgcschichtc. die, geleitet von den klassischen Studien, zu erarbei-
ter> ist. Der Blick auf die Vielfalt des nachbiblischcn Judentums
'57-80), das sich uns als eine in verschiedene ..häretische" Richtungen
aufgefächerte Größe darbietet, ist nach G. G. Porton an die Stelle
der monolithischen, durch den Rabbinismus bestimmten Sicht getreten
. Zwei Grenzbereiche haben verstärktes Interesse auf sich gezogen:
d'e von J. D. Purvis behandelte Frage Samaritaner-und Juden (81 -98)
Und der von J. G. Gagcr präsentierte antike Antisemitismus (99-1 16).
dessen Nachgcschichte in Gestalt des christlichen Antijudaismus ein
aktuelles Problem bezeichnet.

Daß zwischen Geschichte und Literatur der Archäologie ein eige-
ner Hauptteil reserviert ist. ergibt sich aus der unser Geschichtsbild
***Ändernden Rolle der großen Entdeckungen seit dem 2. Weltkrieg.
a°er auch aus dem Gewicht, das dieser Zweig der Forschung in der
angelsächsischcn Welt hat. Hierin unterscheidet sich der vorliegende
Band von dem sonst vergleichbaren Gemeinschaftswerk deutsch-
sPrachiger Forscher: Literatur und Religion des Frühjudentums, hg.
Von J. Maier und J. Schreiner. Würzburg 1973. vgl. Rez. ThLZ 102,
256-259. Den breitesten Raum nimmt natürlich die zu einem

eigenen Bereich angewachsene Qumranforsehung (119-156) ein,
deren archäologische, editorische und interpretatorische Bemühungen
J. Murphy-O'Connor sejide referiert, wobei er freilich auch für
seine umstrittene These vom babylonischen Ursprung der Qumran-
leute eintritt. Erfreulich ist. daß die weiteren Entdeckungen aus dem
Umkreis der judäischen Wüste durch S. P. Brock (157-173) und die
archäologischen Arbeiten im übrigen Palästina (bes. Obergaliläa)
durch E. M. Meyers und A. T. Kraabel (175-210) in sachkundiger,
auf unmittelbare Mitwirkung zurückgreifender Darstellung gewürdigt
werden. Das knappe Kapitel über jüdische Numismatik von Yaakov
Meshorer (21 1-220) wird der Vielzahl der auf diesem Gebiet wenig
Informierten willkommen sein.

Das wohl wichtigste Merkmal der aktuellen Frühjudentumsforschung
ist die Überwindung der Dichotomie zwischen hellenistischem
und palästinensischem Judentum, wie sie unabhängig voneinander
in der deutschsprachigen und nordamerikanischen Forschungvollzogen
wurde. Die Schlüsselstellung der griechischen Bibel
steht uns deutlicher als früher vor Augen. Ihre Erforschung wird etwas
knapp und mehr am Editorischen als am Inhaltlichen ausgerichtet
von E. Tov nachgezeichnet (223-237). Sachgerecht schließen sich die
Adaptionen und Fortschreibungen biblischer Inhalte im palästinensischen
Judentum an, von denen D. J. Harrington die qumranischen
Texte vorstellt (239-258). Daß die Aufgabenteilung auch zu unerwünschten
Überschneidungen führen kann, zeigen die beiden
folgenden Teile über die Testamente von A. B. Kolenkow und
.1. J. Collins (259-285) und die erzählende Literatur von R. Doran
(287-310). Hier begegnet das TestAbr in beiden Kapiteln (277f bzw.
288-290). Man wird auch fragen dürfen, ob es wohlgetan war.
Test XII zunächst als Exempel der Gattung abzuhandeln (259-261)
und später noch einmal von anderer Hand die Forschungsgcschichte
darstellen zu lassen (268-276). Daß nicht nur die sprachlichen,
sondern auch die Kanongrenzen überschritten werden, wird gerade
hier deutlich, wo (Dcutero-)Kanonisches (Tob, Jud, Stücke zu Dan)
und Pscudepigraphisches (JosAs, MartJes. ParalipJcr) im gleichen
Abschnitt erscheinen.

Einen besonderen Teil bildet die jüdische Historiographie von
H. W. Attridge (31 1-343), bei der die Einbettung in die literarisch-
kulturelle Welt des Hellenismus besonders heraustritt, die Linie von
den Fragmenten über die Makk (IMakk ursprünglich hebr.: 2Makk
griech., aber „pietistisch") zu Joscphus als eigener Strang deutlich
wird. Das Kapitel über die apokalyptische Literatur von J. J. Collins
(345-370) berücksichtigt sowohl die motivgeschichtliche wie die
traditionsgcschichtlich orientierte Forschung und sieht den Sitz im
Leben nicht in klar umgrenzbaren Gruppen, sondern in einer Bewegung
, die jüdische Geschichte von den Chassidim bis zum Jüdischen
Krieg begleitet. Auch die von B. L. Mack und R. E. Murphy präsentierte
Wcisheitsliteratur (371-410) umfaßt sehr Verschiedenartiges:
von SapSal und Sir über Philo bis 4Makk werden Werke vorgeführt,
die als Zeugen jüdischer Teilhabe an der hellenistischen Ökumene der
frühen römischen Periode gelten.

Die Erforschung jüdischer Hymnen, Oden und Gebete behandelt
J. H. Charlcsworth (41 1-436), wobei er nach frühjüdischen Hymnen,
nonrabbinischen und postrabbinischen Gebeten sowie judenchristlichem
liturgischen Gut (einschließlich OdSal!) gruppiert. In allen
diesen Abschnitten ergaben sich Berührungen mit dem Neuen Testament
, dem ein eigener Berichtsband vorbehalten ist. A. J. Saldarini.
Vf. des letzten, der Rekonstruktion des rabbinischen Judentums geltenden
Komplexes (437-477). weist ausdrücklich daraufhin (437). Er
hat ein Gebiet zu schildern, dessen Erforschung mehr noch als die
anderen im Fluß befindlich erscheint. So ist das. was er über die
Analyse der Ouellcn (Mischna, Midrasch. Talmud) und die großen
Themen (Biographien, Geschichte, Gedankenwelt) ausführt, als Beitrag
zur aktuellen, vor allem durch J. Neusncr bestimmten Diskussion
zu werten. Daß sich dabei eine Ablösung von Kategorien vollzieht, die
aus anderen Bereichen übernommen wurden (europäische Philosophie
, christliche Theologie), gilt nicht nur für den Rabbinismus.