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Ausgabe:

1988

Spalte:

535-537

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Kemper, Hans-Georg

Titel/Untertitel:

Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im Säkularisierungsprozess 1988

Rezensent:

Petzoldt, Martin

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Theologische LiteraturzeiUmg 113. Jahrgang 1988 Nr. 7

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Steins Untersuchungen der romanischen Wandmalereien in der Klosterkirche
Prüfening (Regensburg). Es handelt sich um ein im Jahre
1 109 durch Otto von Bamberg gegründetes Benediktinerkloster Hirsauer
Observanz, dessen Kirche vollständig mit Wandmalereien in
heute unterschiedlichem Erhaltungszustand ausgestattet war. Im
ersten Kapitel wird das geschichtliche Umfeld des Prüfeninger Klosters
erläutert, d. h. die politischen und kirchenpolitischen Hintergründe
von Klosterbau und Klosterleben. Diese Zusammenhänge
sind für die Einordnung und Beurteilung der ma. Malereien hilfreich,
weil ganz schnell deutlich wird, daß weder die Konventsbildung, noch
die Architektur noch die Ausstattungen isolierte Einzelphänomene
sein können. Eines hängt am anderen. Nach einer sorgfältigen Beschreibung
der Kirche einschließlich des technischen Befundes und
späterer Veränderungen kommt die Autorin zu ihren diffizilen Untersuchungen
der Bilder im Presbyterium, den Nebenchören und der
Vierung. Nicht ohne Grund schickt sie dem Ganzen noch einige Bemerkungen
voran, die auf eine Besonderheit der ma. Hermeneutik
wieder aufmerksam machen, den vierfachen Schriftsinn (wörtlich,
allegorisch, moralisch, anagogisch). In dieser Weise gingen die ma.
Schriftsteller mit den Bibeltexten um und ebenso entwickelten sich
von daher die Bildprogramme in den Kirchen. Für Prüfening kann so
die Autorin herausarbeiten, daß es sich um ein ekklesiologisehes Bekenntnis
handelt, welches sich in einer bestimmten Abfolge von
Christus-, Marien- und Heiligenbildern darstellt. Dieser ekklesio-
logisehe Bezug hat seine besondere Relevanz in der Epoche nach dem
Investiturstreit und der Regierung Kaiser Heinrichs V.. der auch mit
Otto von Bamberg in der unteren Zone der Presbyteriumswände
erscheint. Das Hirsauer Reformprogramm, das den Prüfeninger Konvent
trotz verschiedener Konflikte (bis zur Ermordung des ersten
Abtes Erminold) prägte, hat sich mit den Malereien eindrucksvoll
artikuliert. Die Bildsprache selbst hat dabei ihre Anregungen von zwei
ma. Schriftstellern empfangen, die vielleicht in der Kirchengeschichtsschreibung
eine größere Rolle spielen sollten als bisher,
Rupert von Deutz und Honorius Auguslodunensis.

Zwei kleine Anfragen mögen noch an diese vorzügliche Monographie
gerichtet sein: 1) Bei den Allerheiligendarstellungen (S. 73)
wird auf byzantinische Vorbilder verwiesen. Hier hätte man sich noch
einige Ausführungen gewünscht darüber, was die byzantinischen Vorbilder
hier bedeuten und vielleicht auch, wodurch sie vermittelt wurden
. 2) Die ungewöhnliche Darstellung von Maria Verkündigung am
südwestl. Vierungspfeiler (S. 113) erscheint nicht ganz, überzeugend
geklärt. M. E. ist es keine Verkündigung, sondern noch einmal eine
thronende Maria als Verkörperung der ekklcsia. Aber bei dem jetzigen
Zustand der Malerei bleibt sicher noch manches hypothetisch.

itcrlin Gerlinde Strohmaier-Wiederanders

Kemper. Hans-Georg: Gottebenbildlichkeit und Naturnachahmung im
Säkularisierungsprozeß. Problemgeschichtliche Studien zur deutschen
Lyrik in Barock und Aufklärung. Bd. 1: VIII, 391 S. Bd. II:
Kommentar. VI, 532 S. Tübingen: Niemeyer 1981. 8' = Studien zur
deutschen Literatur, 64/65. Kart. DM 196,-.

Die Anzeige dieser Arbeit hat unverantwortlich lange auf sich warten
lassen, was der Rez. zu entschuldigen bittet. Da aber Arbeiten auf
diesem Gebiet noch nicht gerade häufig sind, dürfte die Anzeige auch
jetzt noch auf Interesse rechnen. Dabei muß aber gleich anfangs betont
werden, daß innerhalb eines theologischen Rezensionsorgans
nicht die poetologischen und literaturwissenschaftlichen Ergebnisse
zu würdigen sind (deren Erarbeitung der Scopus dieser Studien ist,
1,24), sondern vorrangig die begleitenden theologischen, sosehr natürlich
bewußt ist, daß beides sich nicht einfach voneinander trennen
läßt. Die Arbeit ist hauptsächlich eine Tübinger Habilitationsschrift,
die 1976/77 dem Fachbereich Neuphilologie vorgelegen hat. Für den
Druck ist das Gryphius-Kapitel im Teil III hinzugekommen, was aus
einem später gehaltenen Vortrag hervorging.

Wichtige Exponenten des Säkularisierungsprozesses werden in
Gryphius und Brockes gesehen, sosehr Wellen zwischen beiden zu liegen
scheinen. Auf beide treffe zu: „Beide erscheinen sowohl aus
geistes- bzw. traditionsgeschichtlicher als auch funklionsanalylischcr
Sicht als getreue Anhänger der lutherischen Orthodoxie. Dies paßt ins
Bild von dem epocheübergreifenden konservativen Grundzug der
.vorgoethese-hen' Lyrik" (I. 5). Diese Formulierung des Vf. legt bereits
nahe, daß er seine Untersuchung zur Infragestellung eines solchen Urteils
einsetzt. So will er ..einen Beitrag leisten zur Genese und zum
Wandel der Religionsauffassungen in der beginnenden Neuzeit, und
/war aus einer Perspektive, die sich um l InVoreingenommenheit hinsichtlich
eines konfessionellen oder weltanschaulich-ideologischen
,Vor-LJrtei 1s' bemüht, und . . . speziell zur Differenzierung dessen beitragen
, was bislang nicht nur von theologischer Seite pauschal ZUI
Vorgeschichte und Geschichte der Physikotheologie gerechnet
wurde". (I, 24) Der Vf. muß in einer so bestimmten Arbeit in iellälti-
ger Weise mit theologischem Material arbeiten, was ihm auch Urteile
abverlangt. Diese finden sich auch reichlich. So sei eine von theologischer
Seite oft behauptete und von literaturwissenschaftlicher Seite
übernommene Einheitlichkeit der Physikotheologie zu bestreiten.
Dieser entspräche zunächst einmal die unkritische und eher Stabilisierende
Tendenz der Physikotheologie hinsichtlich der Theologie.
Zweifellos richtig daran ist die Konsequenz für die deutsche Aufklärung
, die sich ..weithin nicht gegen Theologie und Kirche, sondern
mit ihr und durch sie vollzogen" habe (Scholder). Problematisch
bleibt dabei aber weiterhin das Verhältnis der Physikotheologie zur
Theologie, näherhin zur späten altprotestantischen Orthodoxie. VI.
argumentiert hier folgendermaßen: ..dem .theistischen' Gott haben
sowohl Physikotheologie wie Orthodoxie den christlich-lrinitarischcn
Ciott bereits geopfert" (I. I8f). Hier scheint mir in dem gesamten Ansatz
von Kemper ein Problem zu liegen.

Was bieten die Studien? Band I enthält den Textteil ohne Anmerkungen
, Band II. als ..Kommentar" ausgewiesen, bringt im Anmerkungsverhältnis
dem Textteil zugeordnet ..weitere wichtige Positionen
. Problemkonstellationen oder Entwicklungen - auch in anderen
Wissenschaftsbereichen und Epochen -, ferner Textbelege. Auseinandersetzungen
mit der Forschung oder auch bibliogralische Hinweise
in Gestalt von Anmerkungen, Ergänzungen und Exkursen jeweils
parallel zum Textband" (I, 7). Es folgen das Verzeichnis der zitierten
Literatur (Quellen. Quellensammlungen. Forschungsliteratur, II,
438-500), Personenregister (zusammengestellt von M. König. II,
501-516). und Sachregister (zusammengestellt von H. Jeanblanc. II.
517-532).

Nach einer Einleitung ..Naturnachahmung im Zeichen der Religionsstreitigkeiten
- das Beispiel Brockes" (1,9-25) bietet Vf. i"
einem Teil I ...Der älteste Gottesdienst'. Zur Tradition nicht-christlicher
Religiosität" (I, 26-143) Studien zu Maimonides, A. von Nettesheim
. Paracelsus. J. G. Wächter. Tindal. Kant. Herder. Schleiermacher
und Novalis an. Diese sehr verschiedenen Positionen erscheinen
dem Vf. vergleichbar in dem Faktum der ..Distanz oder Opposition
gegenüber dem Christentum", das faßbar werde in ihren Versuchen
, ,,die Funktion des christlichen Mittlers und Erlösers zu ersetzen
" (1,26).

Demgegenüber liegt das Schwergewicht der Analysen des Teiles H
„Der .weltliche Gottesdienst', Christliche Theologie und Frömmigkeit
auf dem Weg zur Natur" (I, 144-264) „auf dem Nachweis eines
funktionalen Ersatzes des Zentrums christlicher Gnadenvermittlung,
des Erlösers und Mittlers Jesus Christus, durch diese beiden Aspekte
der äußeren und inneren Natur im Bereich der ,natura'" (1440- Studien
zu Anselm v. Canterbury, Thomas v. Aquin, Bonaventura, Bellarmin
, Fenelon, Pico della Mirandola, Luther, Erasmus. Zwingli.
Forer, Johann Müller u. a.. Johann Gerhard. .1. K. Dippel. Comenius.
Thomasius. Christian Wölfl' wollen die genannte These in verschiedener
Richtung unterfüttern.

Teil III schließlich „Der natürliche Gottesdienst, Poesie als Inzita-
ment und Organ einer natürlichen Religion" (1,265-391) ist vor-