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Ausgabe:

1988

Spalte:

523-525

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mußner, Franz

Titel/Untertitel:

Die Kraft der Wurzel 1988

Rezensent:

Pokorný, Petr

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 7

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Als gegen Ende der siebziger Jahre das Interesse dir die Fragen des
Judentums und der Verwurzelung der christlichen Botschaft in ihrem
jüdischen Mutterboden steil anstieg, konnte sich jene Richtung neu-
testamentlicher Arbeit bestätigt sehen, für die Jesus immer der
Messias Israels war. Die nun zu l äge tretende Arbeitsgemeinschaft
mit gleichgerichteten jüdischen und christliehen Forschern wird in
einer Reihe zu dieser Zeit entstandenen Festschriftbeiträgen deutlich:
in der von Joscphus und Qumran ausgehenden Studie über die zelotische
Theologie Stadt und Gegenstadt (25-38 = Festschr. f. L Rapp.
1978. 96-109); in den Mk 6.1-6 geltenden Bemerkungen Jesu in
Nazareth (301-317 = Israel hat dennoch Gott zum Trost. Festschr. f.
Schalom ben Chorin, 1978. 44-60); in der auf die in/wischen erschienenen
Tempelrolle eingehenden und sie mit JosAnt 14.231' und
Taan 3.8 zusammenfugenden Untersuchung über den "Tod des Choni-
Onias, der zugleich ein Beitrag zu Prozeß und Kreuzigung Jesu im
Licht von Dt 21.22 ist (59-74 = Festschr. f. A. Schalit, 1981. 61-84);
schließlich in dem J. M. Oesterreicher zugeeigneten, die lokal-
geschichtliche samaritanische Komponente betonenden Reflexionen
überJoh 4.20-26: To Worship (iod in Spirit and m Truth (420-438 =
Standing betöre Cod. 1981. 53-71).

Die in den letzten Jahren entstandenen oder erstmals veröffentlichten
Stücke rechtfertigen vollends den dem Hand beigegebenen Untertitel
..Aufsätze zur biblischen Theologie", wenn man darunter den
Zusammenhang beider Testamente versteht. Gemäß der seit der
Antrittsvorlesung durchgehaltenen Linie wird im Beitrag zum Tübinger
Lvangelienkolloquium Jesu Evangelium vom Gottesreich
(232-254 = WUNT 28. 1983. 55-77) nach einer Musterung der
synoptischen Evangelien, die nicht nur Vielfalt, sondern auch Kontinuität
kenntlich macht, gesagt: ..Das spezifisch C hristliche beginnt . . .
nicht erst an Ostern oder mit der Theologie des Paulus, sondern schon
mit dem irdischen Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens
an ein Evangelium, das ihn selbst zum Thema hat und wegen . . .
Jes53 zur Erzählung ausgestaltet weiden konnte." (253) Auf einen
übersehenen Bezug der Jesusverkündigung zum AT weist der Ps 103
geltende Aufsatz über Jesu Lieblingspsalm hin (185-201 = Theo!
Beitr 14, 1984, 253-269). Tür Ps 104 wird Ähnliches versucht unter
dem Titel Jesu Tischsegen (202-231). Der Hinweis, daß die Funde
von Qumran den Bann der Skepsis gegenüber der historischen Verläßlichkeit
der Evangelien und ihres Christuszeugnisses gebrochen
haben, markiert den Standort des Berichts über die Bedeutung der
Qumranschriften für die Evangelien (318-332 = BiKi 40, 1985,
54-64). Als abrundendes, die Intention des Vf. noch einmal klar zur
Cieltung bringendes Schlußstück kann man den anderweitig noch
unveröffentlichten Durchgang durch Mt 5-7 lesen: Bergpredigt und
Sinaitradition (333-384). Stärker als die jüngst erschienenen anderen
Auslegungen dieses Komplexes lehrt er das ..den Vertretern des neuen
Israels" zugesprochene Gesetz des Neuen Bundes vom AT, speziell
von Ex 19-34 her zu verstehen.

Der vorliegende Band enthält nur einen Teil der opera minora von
O. Betz (die eingangs genannten Aufsätze sind nicht aufgenommen).
Sie sind Bausteine zu einem Lebenswerk, das sich dem methodischen
Experimentieren versagte, dafür aber unsere Kenntnis der Welt des
Neuen Testaments bereichert und dem Verstehen der Chrislusbot-
sehaft neue Möglichkeiten erschlossen hat.

Leipzig/ Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Mussner, Franz: Die Kraft der Wurzel. Judentum - Jesus - Kirche.
Freiburg-Basel-Wien: Herder 1987. 192 S.gr. 8".geb. DM 44.-.

Das Stichwort „Wurzel" drückt trefflich den gemeinsamen Nenner
des vorliegenden Sammelbandes aus, der dem Verhältnis zwischen
Kirche und Judentum und besonders dem Gespräch über die Rolle
und Bedeutung ihrer gemeinsamen Wurzel im Alten Testament und
in Israel gewidmet ist. Es handelt sich um ein Thema, das Mussner
schon seit Jahren verfolgt. Im Anhang ist ein Verzeichnis seiner

Arbeiten zum Thema Kirche und Judentum hinzugefügt, das 39 Titel
enthält, von denen der ..Traktat über die Juden" (1979) der bekannteste
ist.

Der unmittelbare Anlaß zur Abfassung mehrerer hier abgedruckter
Beiträge war Mussners Arbeit an den Kommentaren zum Jakobus-
und besonders zum (ialaterbrief. Bei seinem Interesse an der jüdischen
Wurzel des Christentums ist sich M. der spezifischen Züge von
Jesus und Paulus bewußt. Er nimmt das ..christologische Selbstbewußtsein
" Jesu ernst und, z. B. im Unterschied zu E. P. Sanders, dem
Vf. von "Paul and Palestinian Judaism", rechnet er damit, daß die
Rechtfertigungslehre kein bloßer Nebenkrater paulinischer T heologie
ist. wie es Albert Schweitzer behauptet hat. Er baut jedoch systematisch
die Vorurteile über die ..gesetzliche Werkgerechtigkeit" des
Judentums ab, und in mehreren Aufsätzen demonstriert er, wie sowohl
die synoptische als auch die paulinische Kritik der jüdischen Frömmigkeit
alttestamcntlichc theologische Motive aufnimmt.

Die Beiträge sind in drei Gruppen gegliedert, von denen die erste
dem Judentum gewidmet ist. Uber die einzelnen Aufsätze kann ich
nur vereinfacht und stichwortartig berichten: ..Das Toralchen im
jüdischen Verständnis" (Uber die Bundesfrömmigkeit als Hintergrund
der Toraauslegung in verschiedenen Etappen der jüdischen
I heologie), „Gesetz, Abraham. Israel nach dem Galater- und Römerbrief
' ((ialaterbrief reagiere auf die Thesen der judenchristlichen
Gegner, Römerbrief löse das Problem der christlichen „doppelten"
Eschatologie - der Ankunft des Messias vor Beginn des messianischen
Reichs). ..Israels .Verstockung' und Rettung nach Rom 9-1 I" (Über
den alttestamentlichen Hintergrund des Motivs der ..Verstockung"
Israels und über Israels künftige Rettung aus dem Uberschuß der
Gnade Gottes), „Theologische .Wiedergutmachung' am Beispiel der
Auslegung des (ialaterbriefes" (Paulus setze sieh im Cial nicht mit den
Juden, sondern mit den Judenchristen auseinander; Cial 3.10 beziehe
sich auf alle, nicht nur auf die Juden). „Beten. Sprechen und Denken
in .jüdischen Kategorien'" (Jüdisches Denken als Hintergrund neu-
testamentlieber Theologie).

Der zweite T eil trägt die Überschrift „Jesus" und umläßt folgende
Ulfsätze: „Der Messias Jesus" und „Warum mußte der Messias Jesus
ein Jude sein?" (Die urchristliche Auffassung des Messias knüpfe an
die alttestamentlichen und jüdischen Vorstellungen direkter an. als
man annimmt; der ..Verheißungsüberschuß" der „doppelten
Eschatologie", die wir schon erwähnt haben, sei der bisher gültige Zug
der alttestamentlichen Eschatologie). ...Rein' und .unrein', jüdisch
und jesuanisch-urkirehlich" (Die jüdische Reinheitsidee war kein
Ausdruck der Werkfrömmigkeit, aber die Aulhebung des Unterschiedes
zwischen .rein' und .unrein' war ein Novum. das die spätere
Heidenmission und die Trennung vom Judentum vorbereitet hat).
„Der Anspruch Jesu" und „Das .Unjudcntum' in Jesus und die Entstehung
der Christologie" (Mit dem Anspruch auf die göttliche Vollmacht
zur Sündenvergebung fiel Jesus aus dem Rahmen des Judentums
). „Glaubensüberzeugung gegen Glaubensüberzeugung. Bemerkungen
zum Prozeß Jesu" (Im Unterschied zu J. ßlinzlcr meint M..
daß das Synedrium und der Hohepriester toratreu gehandelt haben).
„Was ist durch Jesus von Nazareth Neues in die Welt gekommen?"
(Antwort: der Heilige Cieist, das Evangelium, das Neue Testament
und die Kirche, die in der Jüngergemeinde präformiert wurde; die
Vollendung der Verheißungen steht jedoch noch aus).

Der letzte Teil, der unter dem Stichwort „Kirche" steht, ist der
kürzeste. Seine zentrale These ist in dem Aufsatz „Das Neue Testament
als Dokument für den Ablösungsprozeß der Kirche von Israel"
zu finden. M. zeigt, wie das Problem der Beziehung zu Israel in den
späteren Schriften des Neuen Testaments in den Hintergrund tritt und
die Trennung als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Die Kirche
und Israel sind unterschiedliche Wege gegangen, was zu einer folgenschweren
„Israelvergessenheit" führte (S. 170). Die übrigen Aufsätze
sind: „Mitteilhaberin an der Wurzel" (Zur Lkklesiologie von Rom
11,11-24), „Wer ist .der ganze Samen' in Rom 4,16?" (= Juden.
Judenchristen und Heidenchristen) und „Freiheit nach Hegel. Marx