Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1988

Spalte:

521-523

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Jesus, der Messias Israels 1988

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

521

Theologische Literaturzeitung I 13. Jahrgang 1988 Nr. 7

522

Romreise (27.1-28.16) gilt hinsichtlich der Rciscslationcn (einschließlich des
Malta-Aufenthaltes) als zuverlässig; die Schiffahrts- und Schiffhruchschilde-
rungen hält Vf. allerdings lür ..eine Lesefrucht, die Lukas. . . um die Gestalt des
Paulus bereichert hat" (269).

Angesichts der Unsicherheit der angewandten Kriterien sind die
Urteile Lüdemanns und vor allem seine Verdikte über abweichende
Meinungen in der neueren Forschung recht apodiktisch. In vielen
I allen wären von denselben Kriterien aus bei unterschiedlicher Gewichtung
ein/einer Faktoren auch ganz andere Urteile denkbar. Eine
gew isse Einseitigkeit liegt auch in der Eingrenzung der Fragestellung
aul die Ermittlung geschichtlicher Tatsachen, denn diese lassen sich
sowohl auf der Primärebenc der lukanischen Erzählung als auch auf
der Sekundärebene der vorlukanischen Tradition von theologischem
Denken und Verstehen schwerlich ganz ablösen. Bedauerlich finde
'ch ferner die relative Zurückhaltung des Vf. gegenüber formge-
schichtlichen Fragestellungen, denn dadurch verzichtet er auf Informationen
, die das TrJUitionsmatcrial der Apg zur Sozialgeschichte
des Urchristentums zu geben vermöchte. Doch diese kritischen
Bemerkungen stellen die Notwendigkeit und Bedeutung dieses Buches
keinesfalls in Frage. Es ist eine Fundgrube von klugen Beobachtungen,
die die weitere Apg-Forschung zweifellos befruchten werden. Vor
Wiera aber liefert es den Nachweis dafür, daß sich auch bei Anlegung
strenger kritischer Maßstäbe die Apg als Quelle von ganz erheblichem
Geschichtswert bewährt. Diese Ergebnisse von Lüdemann könnten
gewissermaßen als den in dieser Hinsicht in der heutigen Forschung
möglichen Minimalkonsens markieren - und dessen Inhalte sind, alles
"i allein, erstaunlich reichhaltig.

Erlangen Jürgen Roloff

Beta, Otto: Jesus. Der Messias Israels. Aufsätze zur biblischen
Theologie. Tübingen: Mohr 1987. IX. 482 S. gr. 8" = WUNT42.
Lw. DM 178.-.

Otto Betz gehört zu jenen Gelehrten, die sich von Anfang an der
Beachtung auch überdicCirenzcn seiner schwäbischen Heimat hinaus
erfreuen konnten. 1957 lernte man ihn in der DDR mit einer seiner
ersten Veröffentlichungen überhaupt in einem Beitrag der Tübinger
Arbeitsgemeinschaft zur Festgabe Für E. Fascher kennen: Der Tempel
der Goldenen Kuh (in: Gott und die Götter, 56-67). Einige Jahre
später war er unter den Mitarbeitern der Festschrift für 11. Bardtke. wo
e>' unter dem Titel Zungcnredcn und süßer Wein mit Hilfe der
Mumranischen Schriftauslegung von Jes 28 die urchristliche Glosso-
lalie als eschatologische Prophctie verstehen lehrte (in: Bibel und
Quniran. Leipzig 1966. 20-36). Inzwischen hatte er mit seiner Dissertation
über Offenbarung und Schriftforschung in der Qumransekte
<vgl. ThLZ 88, 1963, 353-355) und seiner in den Niederlanden publizierten
Habilitationsschrift über den Parakletcn (AGSU 2, 1963)
seinen Ruf als ingeniöser Kenner und Interpret der Schriften vom
Toten Meer und des frühjüdischen Hintergrunds des NT begründet
und war am Theologien! Scminary in Chicago tätig geworden (1962).
Die Rezeption des AT im Frühjudentum - in den Schriften von Quniran
wie in den rabbinischen Quellen - und das darin begründete Verständnis
vom Lehren und Wirken Jesu von Nazareth ist die Haupt-
l'rtie seiner Lebensarbeit geblieben. Er hat sie. längst wieder in
Tübingen wirkend, an der Seite von O. Michel und M. Hcngcl zur
Entfaltung gebracht. Welche Dimensionen das Werk des inzwischen
Siebzigjährigen gewonnen hat. wird erst jetzt ganz deutlich. Es ist in
detailtreuer und unspektakulärer Kleinarbeit gewachsen und fand die
angenicssene Form in der subtilen Einzelstudic. von denen der vorliegende
Band 22 Stücke aus drei Jahrzehnten bietet.

Die hier versammelten Aufsätze sind nach den thematischen
Gebieten Judentum (3-74). Jesus (77-254), Synoptiker (257-384)
und Johannes (387-438) geordnet, wobei freilich der gegenständliche
Hezug des ersten Bereichs (Qumran. Josephus. Rabbinat) in den folgenden
auf vielfache Weise präsent ist. Es ist jedoch nicht ohne Reiz,
die aufgenommenen Beiträge der Chronologie ihrer Publikationszeit

nach zu lesen und damit der wissenschaftlichen Biographic des Vf. zu
folgen.

O. Betz begann als Qumranforscher (Promotion bei dem Alttesta-
mentler K. Eiliger!); mit der Interpretation L|umranischcr Texte setzt
die Reihe ein: Die Geburt der Gemeinde durch den Lehrer (3-15 =
NTS 3. 1957. 3 14-326) ist Exegese von IQ H 2.21-3.18 und zugleich
ein Beitrag zum Problem des Verhältnisses von Individuum und
Kollektivum. Diese Linie setzt sich fort in: Das Volk seiner Kraft
(16-24 = NTS 4. 1958. 67-75) mit dem Verweis auf die (Um)Deutung
von Jes 9.5. Etwa gleichzeitig sind Aufsätze entstanden, in denen der
sich profilierende Neutestamentier Stücke der Jesustradition von
Qumran her beleuchtet: Felsenmann und Felsengemeindc (99-126 =
ZNW48. 1957. 49-74). eine Für die palästinensische Herkunft und
die Möglichkeit der Echtheit von Mt 16.17-19 plädierende Studie,
die ausgehend von qumranischen Texten den Zusammenhang von
Lehren und Bauen verdeutlicht und Jesu Heiliger Krieg (77-98 =
NT 2. 1957, 116-137) mit der eindrucksvollen Deutung des Stürmerspruchs
Mt 11.12 und anderer Kampfworte Jesu. Von jener Stelle her
ist es nicht weit zu Albert Schweitzers eschatologischem Jesusverständnis
(127-139. in: A. S.. Tübingen 1962. 159-1 72). das durch die
Charakterisierung von Qumran als eschatologische Heilsgemeinde
nachträglich einen neuen Aspekt gewinnt. Mit der Antrittsvorlesung:
Die Frage nach dem messianischen Bewußtsein Jesu (140-168 =
NT 6, 1963. 20-48) ist eine klare Positionsbestimmung gegeben. Sic
gewinnt - entgegen dem damaligen Trend der westdeutschen neu-
testamentlichen Forschung - aus den synoptischen Texten das Bild
eines messianischen Selbstbewußtseins Jesu, das die Züge einer aus
der Interpretation des AT gewonnenen „inoffiziellen Messianologie"
trägt und sich in Bußverkündigung, (exorzistischem) Wirken und
Passion ausdrückt.

Der zeitweilige Übergang in den ganz anders geprägten nordameri-
kanischen Raum spiegelt sich in den Beiträgen in englischer Sprache:
The Dichotomized Servant and the End of Judas Iscariot (169-184 =
RdQ 5. 1964. 43-58), eine materialgesättigte Studie zur "instinetion
by God" und den zwei theologischen Schlüsselfragen der Synoptikertheologie
geltenden Aufsätzen The Kcrygma of Luke (257-272 =
Interp. 22. 1968. 131-146) und The Concept of the So-Called
"Divine Man" in Mark's Christology (273-284 = Festschr. f. Wik-
gren. Suppl. NT 33, 229-240) mit ihrer nüchternen, der damals
aktuellen Schultradition entgegengesetzten Orientierung: Christolo-
gie statt Anthropologie, AT statt Gnosis.

Mit der endgültigen Rückkehr nach Tübingen nimmt die Zahl der
Beiträge in Festschriften zu, die auf ihre Weise die Verbundenheit mit
bedeutenden Kollegen bekunden. Dem katholischen Fachgenossen
K. H. Schelkle widmet er Bemerkungen zu Mt 13.511". die zugleich
das matlhäische Verständnis der Heilsgeschichtc interpretieren. Das
Neue (die Gottesherrschaft) ist geschehen, damit das Alte (Prophetenwort
) erfüllt werde: Neues und Altes in Gottes Geschichtshandeln
(285-300 = Gottes Wort in der Zeit, 1973. 69-84). Dem Lehrer
K. Elliger ist die Studie „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes
kommen?" (387-397 = Wort und Geschichte, 1973.9-16) zugedacht,
die das in Joh I entfaltete Messiasbild aus der Perspektive einer durch
die Rezeption v on Jes I I. I IT bestimmten jüdischen Messiastradition
sieht. Unzeitgemäßes zu diesem Bereich neutestamentlicher Arbeit
findet sich auch in dem Beitrag über das Problem des Wunders bei
Flavius Josephus im Vergleich zum Wunderproblcm bei den Rabbi-
nen und im Johannesevangelium (398-419 = Josephus-Studien f.
O. Michel, 1974, 23-44). Hier sieht er den Einfluß der Elia-Elisa-
Tradition. betont die Zusammengehörigkeit von ego-cimi-Worten
und Zeichen und wendet sieh gegen die unter dem Vorzeichen der
Semeiaquclle vollzogene Distanzierung zwischen den Wundern und
dem Rest des Evangeliums. Für die Ehrung E. Käsemanns greift er auf
das für dessen eigene Fragestellung nach dem Charakter der
dikaiosync und ihrem Verhältnis zur Erwählung wichtige Thema
Rechtfertigung in Qumran zurück (39-58 = Rechtfertigung. 1976,
17-36).