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Ausgabe:

1988

Spalte:

512-513

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Brownlee, William Hugh

Titel/Untertitel:

Ezekiel 1-19 1988

Rezensent:

Seidel, Hans

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Seite 1, Seite 2

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511

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 7

512

Kap. 4 (S. 90-109) vergleicht die Beauftragungsberichte J's und Ez's
mit ähnlichen Einheiten des ATs. Die Beauftragungsberichte von
Mose, Gideon und Saul sowie Micha b. Jimla und Jesaja enthalten
eine konkrete Aufgabenstellung mit zeitlicher Begrenzung; ihre Zielstellung
ermöglicht einen erfüllbaren Abschluß. Im Gegensatz dazu
sind die Beauftragungen J's (1,5.70 und Ez's (2,3-5) umfassend und
von kaum zu überbietender Allgemeinheit, zeitlich unbegrenzt sowie
- anders als Jes 6; 1 Kön 22,19-22 - deutlich als £>.vibeauftragungen
erkennbar. Die Einheit dieser drei Spezifica bildet „das typische
Merkmal ihrer literarischen Fixierung". Ihre Hauptintention ist „die
Legitimation eines gesandten Boten", die lebenslang gilt. Im Unterschied
zu Mose, Gideon und Saul, wo ein Zeichen ( wt) jeweils den
Inhalt ihrer Sendung bestätigt, steht bei J und Ez nicht die jeweilige
Botschaft, sondern der Bote im Mittelpunkt: Er selbst ist das Zeichen,
er selbst gerät im Unterschied zu jenen, die in Führungspositionen
rücken, in Widerspruch zu den Zeitgenossen.

Die genannten Spezifica erklärt Vf. im 5. Kap. (S. 110-128) in ihrer
Entstehung formal und sachlich aus den zeitgeschichtlichen Umständen
. Sie dienen erstens der „Bewältigung der geschichtlichen Situation
des babylonischen Exils" durch die Betonung der „über Israel hinausreichenden
Kraft und Geschichtsmächtigkeit" Jahwes, die souverän
, bedingungslos und lebenslang seine Boten im eroberten Land wie
in Babylonien beruft. Die Anknüpfung an ältere Berufungserzählungen
trösten und mahnen. Veränderungen bei Erzählelementen und im
Schema tragen den veränderten Umständen Rechnung. Die Spezifica
unterstreichen zweitens die „Neuakzentuierung der Frage nach der
Beziehung zwischen Gott und Mensch" im Sinne eines stärker individuell
bezogenen Gottesverhältnisses und - speziell bei Ez - „die
Notwendigkeit einer eigenen Entscheidung".

Das letzte Kap. (S. 129-136) stellt nochmals theologische und zeitgeschichtliche
Aspekte der Beauftragungen J's und Ez's heraus.
Formale wie inhaltliche Kontinuitäten bzw. Diskontinuitäten zu den
älteren konkreten Auftragserteilungen an Rettergestalten finden Erklärungen
, die Notwendigkeit der Abgrenzung der konkreten Beauftragungen
in himmlischer Thronszene (Jesaja; Micha b. Jimla) wird
unterstrichen. Vf. warnt mit Recht davor, die Beauftragungsberichte
J's und Ez's, theologische Zeitzeugnisse legitimierenden Charakters,
als dokumentarische Widerspiegelungen der tatsächlichen Berufungs-
Ereignisse mißzuverstehen.

Mit einem überraschenden, ein wenig Wirrnis stiftenden Schlußakkord
verabschiedet Vf. den Leser auf den letzten anderthalb Textseiten. Unter Bezug
auf vorhergegangene knappe Erörterungen zum Terminus „Berufung" in der
atl. Forschung schlägt er vor, Jer l,2a/ft>.4-10 und Ez 1,3a; 2,3-3,3 als „Beru-
/uflgiberichte (zu einer umfassenden, lebenslangen Indienstnahme durch
Jahwe)" neben die „ßeauftragungsberkhle (zur konkreten Auftragserteilung an
Rettergestalten)" (Mose, Gideon, Saul) zu stellen, beides „Untergattungen" der
„Obergattung" „ausgeführter Bericht über göttliche Sendungen, die auf den
Widerstand der Beauftragten stoßen". Sachlich kann Rez. dem zustimmen, nur
verwundert die Kundgabe dieser definitorischen Spezifikation am Schluß der
Arbeit, nachdem Vf. durch die gesamte Arbeit, dezidiert in allen Überschriften,
massiert im Inhaltsverzeichnis sichtbar, seine scheinbare Vorliebe für den
Terminus „Beauftragung" auch bei J und Ez dem Leser geradezu eingehämmert
hat1. Ob dem Vf. die durchgängig deutlich bevorzugte „Beauftragung" als
arbeitshypothetische Verfremdung der üblichen „Berufung" während der Ausarbeitung
gedient hat? Falls der Werdegang so richtig rekonstruiert ist, muß
„Berufungsbericht" im Buchtitel nicht als ein „Abholen" des Lesers bei der
traditionellen Bezeichnung, sondern als reflektierter, neu gefaßter Begriff
erkannt werden. Ob es aber eine glückliche Entscheidung war, diesen eventuellen
terminologischen Entwicklungsweg bei der endgültigen Niederschrift zu
reproduzieren?

Die Diskussion mit dem Vf. wird m. E. kaum bei den formgeschichtlichen
Ergebnissen und den erarbeiteten Spezifica der Berufungserzählungen
J's und Ez's, eher schon bei traditionsgeschichtlichen
Entscheidungen, am ehesten aber bei literarkritischcn Thesen
des Vf. einsetzen. Eine nützliche tabellarische Übersicht formaler
Beziehungen zwischen den Berufungsberichten J's und Ez's und den
(hier plötzlich wieder „Sendungserzählungen" genannten) vorprophetischen
Beauftragungsberichten, ein Literaturverzeichnis und ein

Bibelstellenregister beschließen das überschaubar angelegte, diskussionsfreudig
geschriebene und diskutable Buch.

Rostock Hermann Michael Niemann

' Daß er S. 9, Anm. 1 eine eventuell sich ergebende Spezifizierung des traditionellen
Begriffs „Berufung(sbericht)" in Aussicht stellt, bildet kein Gegengewicht
. Die ansonsten durchaus klare Formulierung der Arbeit fordert es auch
nicht, daß Vf., versteckt in Anm. I vermerkt, durchgängig „Beauftragung(sbe-
richt)", „Sendung(sbericht)" und „Bcrufung(sbericht)" - anscheinend lediglich
aus Stilgründen - promiscue verwendet.

Brownlee, William FL: Ezekiel 1-19. Waco, TX: Word Books 1986.
XLII,321 S.gr. S^WordBiblicalCommentary^S.

Der Tod nahm bei Kap. 19 W. Brownlee die Arbeit aus der Hand.
Die Herausgeber entschlossen sich dennoch, das unvollständige Werk
in die Kommentarreihe aufzunehmen. Fürdie Einleitung konnte man
auf den Artikel "Ezekiel" in ISBE II, 1982, 250-263 zurückgreifen,
um die Bibliographie sowie die Anmerkungen kümmerten sich L. Allen
und G. Keown. L. Allen hat auch die Weiterarbeit an diesem
Kommentar übernommen. Obwohl Einleitung und Kommentar vom
selben Autor stammen und daher von den gleichen Voraussetzungen
und Erkenntnissen ausgehen, merkt man, daß beide Teile ursprünglich
nicht zusammengehörten, und man ist gespannt, wie die geplante
Kommentierung L. Allens sich mit den eigenwilligen Thesen Brown-
lees vertragen wird.

Die Gliederung des Kommentars entspricht weitgehend dem Aufbau
des Neukirchner BK: Bibliographie, Übersetzung, Anmerkungen
zum hebräischen Text, Form und Ort (form/strueture/setting), Wort
und Ziel (comment, explanation). Weiter reicht die Ähnlichkeit
jedoch nicht. W. Brownlee geht bei der Darstellung der Wirksamkeit
Ezechiels seine eigenen Wege. Für ihn war der Prophet in Palästina -
nicht in Babylonien - tätig und hielt sich in Gilgal bei Jericho auf. Am
7. Januar 587 v. Chr. soll Ezechiel nach Ägypten gegangen sein, wie
29,1-16; 30,20-26; 32,1-16.17-32 und andere Texte zeigen.
Wegen des Todes seiner Frau sei er nach Jerusalem zurückgekehrt
und habe im gleichen Jahr die Zerstörung Jerusalems erlebt
(24,15-24.25-27). Nach dem Mord an Gedalja soll ihn sein Weg nach
Phönizien geführt haben (26-28), und am 15. 3. 586 v. Chr. oder am
3. 3. 585 v. Chr. sei er wieder nach Ägypten gezogen, wo er mit Jere-
miaund Baruch zusammengetroffen sei. "Thiswould helpexplain the
continuing correlations of language and thought between the oracles
of Ezekiel and Jeremiah." (XXIX) Zwei Jahre vor der letzten Ägyptenvision
29,17 empfing der Prophet die große Vision über den restaurierten
Kult 40-48, und man könne zusammenlassend sagen, daß er
zwischen 586 und 573 v. Chr. "his pastoral work among the Jewish
exiles in Egypt" betrieben habe. Wie Kap. 35 zeige, sei Ezechiel über
Edom nach Israel zurückgekehrt, gleichsam in der Rolle des Mose
(36.12), während 35,10-36,5 mehr an die Rolle Josuas erinnere.
Kap. 37 weise schließlich auf die Rückkehr nach Gilgal hin.

Die Person und die Botschaft des Propheten charakterisiert der Vf.
mit kurzen Erläuterungen zu den Stichworten: Visionary, member of
Elijah School, reformer, priest, Internationalist, herald of national
renewal, herald of individualism, poet and dramatist, prophet of the
word.

Für den Hauptteil der Texte nimmt der Vf. Ezechiel als Autor an.
35,1-36,15 stamme aus den Aufzeichnungen eines Schülers ("A
scribe recorded every speech of his master" XXXVI). Zusätze aus
dem 5.-4. Jh. v.Chr. seien nachweisbar(z. B. 23,36-49;26). Im4. Jh.
v. Chr. sei auch die "Major Revision" anzusetzen, die Ezechiel zu
einem Propheten des babylonischen Exils umgeformt habe und z. B-
in 3,11.15 und 11,24 statt Gilgal'Golah = Exil' lese.

Diese schwierigen biographischen, geographischen, exegetischen
usw. Konstruktionen müßten ihre Tragfähigkeit in der Auslegung der
Texte erweisen. Leider sind nur Kap. 1-19 kommentiert. Aber sie