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Ausgabe:

1988

Spalte:

491

Autor/Hrsg.:

Kandler, Karl-Hermann

Titel/Untertitel:

- 508 Realpräsenz und Sündenvergebung 1988

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491

Theologische Literaturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 7

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1 Vgl. E. Lohse.a. a. 0.(Anm. 7). I09f.
G. Friedrich, a. a. O. (Anm. 22), 31.

44 Das in der Parallelüberlieferung zu Mk 9.31 - Mk 8.31 - verwendete dei
aber zeigt an: Dieser Ausdruck entstammt der apokalyptischen Literatur (vgl.
Dan 2.28 LXX). So hat die frühe Christenheit, um die Schriftgema'ßheit des Leidens
und Sterbens Jesu nachzuweisen, auch an dieser Stelle auf die Literatur des
Frühjudentums zurückgegriffen.

45 Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen Jesus -
Paulus-Johannes. Göttingen 1969: NTD F.rgänzungsreihe 3, 105.
4,1 Im Blick auf letzteres gilt zudem das in Anm. 13 Bemerkte.
47 Vgl.J. Roloff.a.a.O.(Anm. 27).47f.

4* Man unterziehe daraufhin nur einmal das Evangelische Kirchengesangbuch
(z. B. 7.2f; 62.2; 239,4f; 242.3) einer kritischen Überprüfung. Entsprechendes
gilt von der Gebets- sowie der Prediglliteratur.

Realprasenz und Sündenvergebung

Schwerpunkte lutherischer Abendmahlslehre1
Von Karl-Hermann Kandier, Freiberg

L

Die lutherische Abendmahlslehre steht in keinem hohen Kurs, ja
überhaupt wird die Betonung der Lehre vom Abendmahl immer wieder
kritisiert. Demgegenüber steht ein Aktionismus. Es wird empfunden
, daß Theologen sich bloß streiten und das Trennende betonen,
statt die Gemeinsamkeiten zu sehen und zu leben. Die Kirchen, vor
allem aber die Christen in den Kirchen sehnen sich nach gelebter Gemeinschaft
des Glaubens, nach voller Gemeinschaft im Gottesdienst,
zu der als Höhepunkt das gemeinsam geleierte, gemeinsam empfangene
Abendmahl gehört. Erkennen die Kirchen gegenseitig weithin
die Taufe an und damit sich gegenseitig als Christen, so ist schwer einzusehen
, warum Christen nicht gemeinsam das Abendmahl empfangen
können. Längst hat es ja gemeinsame Abendmahlsfeiern gegeben,
ohne die jeweiligen Kirchenleitungen zu fragen. Bischöfe der
römisch-katholischen und der evangelisch-lutherischen Kirche hatten
schon vor über einem Jahrzehnt gegenseitig cucharistischc Gastbereitschaft
angezeigt." Die Seelsorge an Ehepartnern, die in einer Mischehe
leben, erfordert geradezu das gemeinsam empfangene Abendmahl der
Ehepartner. Die Studentengemeinden sind, wie auch in anderen Fragen
, ziemlich bedenkenlos gewesen, gemeinsam Abendmahl zu feiern.
Ist dieses Drängen nicht positiv zu werten? Korrespondiert dem nicht
auch, daß weithin heute das Abendmahl wesentlich häufiger als noch
vor wenigen Jahrzehnten gefeiert wird? Ist aber, so wird man fragen
müssen, immer klar, warum es gefeiert wird, wer der Herr des Abendmahls
, des Herrenmahls, ist? Wird das Abendmahl nicht so sehr als
Gemeinschuftsmahl empfunden, daß es kaum noch von den altkirchlichen
Agapen zu unterscheiden ist, vor allem, wenn nicht mehr deutlich
ist, daß es hier nicht nur um Gemeinschaft untereinander, sondern
vor allem um Gemeinschaft des Herrn mit uns geht, die wir unter
Brot und Wein Seinen Leib und Sein Blut empfangen? Ist das Abendmahl
Sakrament-oder nicht bloß Happening?

Seit Jahrzehnten stehen die Theologen der verschiedenen Kirchen
untereinander in Lehrgesprächen. Seitdem 1927 die Ökumenische
Weltkonferenz für Faith and Order in Lausanne getagt hat, ist das Gespräch
um das gemeinsame Abendmahl nicht mehr verstummt. Daß
nach 55 Jahren 1982 die Lima-Erklärung vorgelegt wurde, ist Ergebnis
eines so langen Gesprächs! Darüber sind Generationen hinweggestorben
. 1973 war es zur Leuenberger Konkordie gekommen, einer
Übereinkunft zwischen den lutherischen, unierten und reformierten
Kirchen Europas, die zwar nicht zu einer einhelligen Annahme durch
die beteiligten Kirchen geführt hat, die aber doch das erklärte Ziel
einer Kirchen- und eben auch Abendmahlsgemeinschaft der bekenntnisbestimmten
reformatorischen Kirchen Europas bezweckte und
vor allem innerhalb der deutschen Kirchen zu kirchenpolitischen Folgen
zumindest führen sollte. 1978 ist das bilaterale Lehrgesprächs-
ergebnis römischer und lutherischer Theologen „Das Herrenmahl"
vorgelegt worden,4 1984 das Dialogergebnis zwischen Methodisten
und Lutheranern „Die Kirche: Gemeinschaft der Gnade". Weitere
Gespräche sind mit Anglikanern, Orthodoxen und Baptisten geführt
worden. Die Gemeinschaft der im Bund Evangelischer Kirchen in der
DDR zusammengefaßten bekenntnisbestimmten Kirchen wird, vor
allem jetzt auch nach Verabschiedung der „Gcmcinsamc(n) Erklärung
zu den theologischen Grundlagen der Kirche und ihrem Auftrag
in Zeugnis und Dienst",'' als Kirche im theologischen Sinn verstanden
. Für viele, auch Theologen, haben die Bekenntnisunterschiede
gerade auch hinsichtlich des Abendmahls keinen trennenden Charakter
mehr: Gemeinsame Abcndmahlsfeiern zwischen Lutheranern, Reformierten
und Unierten sind für die meisten überhaupt kein Problem
. So hatte man auch 1985 im Bund Evangelischer Kirchen in der
DDR zu den Lima-Erklärungen gemeinsam Stellung genommen. In
dieser Stellungnahme sieht man als das „Wesentliche am Herrenmahl
", daß Christus uns „in der Teilhabe am Mahl die Sündenvergebung
schenkt, die er für uns durch seinen Kreuzestod bewirkt hat".
Es zeigt sich aber auch, daß die gemeinsame Stellungnahme nicht alle
Wünsche und Forderungen der Gliedkirchen erfüllt hat. so daß es zu
Sondervoten gekommen ist. Die sächsische Landessynode hat darauf
bestanden, daß ebenso „die Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi
im Abendmahl betont wird".* Und die Thüringer Stellungnahme (mir
liegt nur deren Entwurf im Manuskript vor) fordert, daß „an die Stelle
mancher vordergründiger Harmonisierungsversuche . . . Darstellungen
der unterschiedlichen Standpunkte treten" sollten, „wobei zu fragen
bleibt, ob diese einer weitergehenden praktischen Gemeinschalt
im Wege stehen müssen".

Inzwischen ist auch endlich die römische Stellungnahme zu den
Lima-Erklärungen veröffentlicht worden.'' Im Unterschied zum
orthodoxen Nein fällt sie weithin positiv aus. Sie werden als „ein
erstrangiges Ergebnis des ökumenischen Prozesses" verstanden. Vor
allem wird in ihr ernst damit gemacht, daß sie ein Konvergenz- und
kein Konsens-Papier darstellt. Und als Ausdruck der Konvergenz
sind die positiven Aussagen zu werten, die zugleich bewußt machen,
daß wir von einem Konsens noch weit entfernt sind. Da „für Katholiken
die Einheit im Glaubensbekenntnis den Kern der kirchlichen Gemeinschaft
" ausmacht und „die eucharistische Feier ihrem Wesen
nach ein Bekenntnis des Glaubens der Kirche darstellt, ist es für die
katholische Kirche unmöglich, gegenwärtig für eine generelle eucharistische
Gemeinschaft einzutreten" (S. 36). Wer ein anderes Fazll
erwartet haben sollte, war kein Realist. Was positiv gesagt wird, is'
erstaunlich genug. „Katholiken können in der Stellungnahme zur
Eucharistie vieles erkennen, was dem Verständnis und der Praxis des
apostolischen Glaubens bzw.. nach der Formulierung des Dokuments
, dem Glauben der Kirche durch die Jahrhunderte entspricht-'
(S. 33)

Die kritischen Einwände beziehen sich auf das Sakramentsverständnis
(es fehle ein Sakramentsbegriff), auf die Beschreibung der
Realpräsenz (sie sei zweideutig: Hinsichtlich „der Wandlung, die sich
in der Eucharistie vollzieht", wären verschiedene Interpretationen
möglich) und auf das Opferverständnis (man werde „der Wirklichkeit
des Opfers nicht gerecht").

Es fällt auf, daß auch die römische Stellungnahme die Aussage über
das Abendmahl als Sündenvergebung hinterfragl. vor allem aber kritisiert
sie, daß die ekklesiologische Dimension des Abendmahls unklar
beschrieben werde: die Eucharistie könne nicht isoliert vom Verständnis
der Kirche gesehen werden. Sie fordert, die Transsubstan-
tiation (von Transftnalisation und Transfiguration ist nicht die Rede)