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Ausgabe:

1988

Spalte:

468-470

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Midali, Mario

Titel/Untertitel:

Teologia pastorale o pratica 1988

Rezensent:

Biewald, Roland

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 6

468

jedem Takt die Melodie mithören (S. 90). - Ein „künstlerisches
Element", ein „innovatorisches Element" soll damit in die Ethik eingeführt
werden (S. 92). Der Vorrang kommt hier dem Wahrnehmen
zu, vor dem bloßen reparierenden Machen. Beabsichtigt sind eine
Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven und ein dialogisches
Verfahren, das Konsens herstellt (vgl. auch S. 187ff. „Die gemeinschaftliche
Entscheidungsfindung"). Aber methodisch bleibt die
Formel „komponierende Ethik" undeutlich. Die Schritte einer „komponierenden
Ethik", die S. 93f aufgeführt werden, wirken in Auswahl
und Reihenfolge zufällig und willkürlich: Verstehens-, Prinzipien-,
Verantwortungs-, Verfahrens- und Entscheidungs-, Umsetzungsethik.
Auch die Beispiele (S. 94ff Rüstung; S. 105 ff Werbung, Vermögensbildung
für Arbeiter) machen methodisch nichts klarer, weil der
Stellenwert empirischer Analyse und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse
für die ethische Wertung unklar bleibt. Klar ist nur, daß
hier über ein pragmatisches Denken hinaus die Einbildungskraft der
Phantasie, das utopische Denken in die Neukonzeption der Soziallehre
eingebracht werden sollen.

Abschnitt „4. Politik aus dem Glauben" (S. 130-193) will die theologische
Grundlegung der Neukonzeption bieten. Hier finden sich
viele Überschneidungen und Wiederholungen zum vorhergehenden
und zum folgenden Abschnitt (vgl. z. B. S. 179ff „Komponierende
Ethik"). Für die Kontrastgesellschaft dient die Bergpredigt Jesu als
Einweisung in die Nachfolge, welche „mystisch und politisch zugleich
" ist (S. 130). An einem im Anschluß an R. Schwager skizzierten
„Drama des Lebens Jesu" (S. 136 ff) wird der Weg und die Botschaft
Jesu als Kontrast zur „bürgerlichen Religion" beschrieben. Das
„Heilsdrama Jesu Christi" wird sodann in seiner Bedeutung „für das
gesellschaftspolitische Handeln des Christen" (S. 150ff) mit Hilfe der
Methode der Analogie, der Entsprechung angewandt. Jesu Nachfolge
„komponiert" - so die These - in Kontrasten. Die Konkretion anhand
des Themas „Bergpredigt und Politik" (S. 169ff) ist kurz, blaß, und
vor allem ohne ein eigentliches Eingehen auf den Text der Bergpredigt
(Seligpreisungen, Antithesen, Vaterunser!). Eindeutig ist nur das
Bemühen um eine exegetische Legitimation der christlichen Kontrastgesellschaft
. Betont wird dabei die Einheit von Spiritualität und
Ethik, von „Sein" und „Sollen" (S. 192f).

Abschnitt „5. Erkenntnisgrundlagen der christlichen Soziallehre"
(S. 194-227) greift die offene Frage der Urteilsbildung nochmals auf.
Es geht um die Zuordnung von Glaube und allgemeinmenschlicher
Vernunft- und Erfahrungseinsicht. Die Zuordnung wird im Schema
von „Gnade" und „Natur" beschrieben (S. 201 ff). Gemäß der Absicht
einer „komponierenden Ethik" geht es um eine Synthese von Glaube
und Vernunft, Glaube und Politik, vor allem in der Praxis. „Christlicher
Glaube setzt die politische Vernunft als solche frei" (S. 200);
beide bleiben in der Korrektur ferner aufeinander verwiesen, damit
„die ideologische Vereinnahmung des Glaubens" (S. 21 Off) vermieden
werden kann.'Offen bleibt freilich auch hier das „Wie", die
Methode der Vermittlung von Glaube und Vernunft. Unter der Überschrift
„Jesus Christus als Norm christlichen Handelns" (S. 212 ff)
werden zwar vier Kriterien aufgeführt (1. Gewaltfreiheit, 2. Innere
Überwindung des Freund-Feind-Schemas, 3. Freie Öffentlichkeit,

4. Option für die Armen); aber es wird nicht diskutiert, ob dies
allgemeine ethische oder unterscheidend christliche Kriterien sind.
(Andeutend wird S. 221 das Stichwort „anonyme Christen" erwähnt.)

Im Schlußteil („Verbindliches Sprechen im Namen der Kirche"

5. 222ff) trennen sich dann in der Bewertung lehramtlicher Kompetenz
der Ansatz evangelischer und katholischer Soziallehre. Vom
„Dienst am Gewissen des anderen" (S. 223) könnte evangelische
Ethik schwerlich sprechen, sondern nur vom „Dienst am anderen".
Die protestantische Respektierung der persönlichen Gewissensentscheidung
wird die ekklesiozentrische, gemeinschaftsorientierte katholische
Argumentation irritieren müssen. Evangelische Ethik ist
darum notwendig von vornherein viel pluralistischer, kontextueller
und für die geschichtliche Vielfalt offener angelegt als die katholische
Soziallehre.

Bücheies Entwurf einer verändernden Ethik ist interessant und
anregend. Er läßt auch bemerkenswerte Einblicke in die derzeitige
Diskussionslage katholischer Soziallehre zu. Begrifflich ist manches
schwebend und unpräzis („komponierende" Ethik). Aus der Sicht der
reformatorischen Ethik fällt weiterhin auf die nur beiläufige Beachtung
des Bösen und der Sünde, damit verbunden das Fehlen einer
antithetischen Spannung zwischen Gesetz und Evangelium, an deren
Stelle ein eher harmonisches Zuordnungsverhältnis von Natur und
Gnade, Vernunft und Glaube tritt. Die Eigenart gesellschaftlicher
Institutionen - wie sie traditionellerweise das Naturrecht reflektiert -
und damit die Weltlichkeit, die Säkularität der Institutionen und des
Lebens in Institutionen werden nicht thematisiert. Bücheies Neukonzeption
ist somit zwar ein wichtiges Korrektiv der ansonsten vertretenen
katholischen Soziallehre, aber sachlich keine - vielleicht:
noch keine-Alternative.

Bonn Martin Honecker

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Praktische Theologie: Allgemeines

Midali, Mario: Teologia pastorale o practica. Cammino storico di una
riflessione fondante e scientifica. Roma: LAS 1985. 382 S.
gr. 8" = Studi di Teologia Pastorale, 11; Biblioteca di Scienze Religiöse
, 69. L. 25000.

Der Autor, Ordinarius für Pastoraltheologie an der Universita
Pontificia Salesiana in Rom, legt mit seinem Werk kein neues Handbuch
der Pastoraltheologie (PTh) bzw. Praktischen Theologie (P~0
vor. Es ist eine Geschichte dieser Disziplin, aber auch mehr als das.
Der Leser soll in die Geschichte des praktisch-theologischen Nachdenkens
eingeführt werden und am Ringen um wissenschaftliche Fundierung
des pastoralen Handelns der Kirche teilnehmen. Doch die
wissenschaftlichen Darlegungen sind nicht Selbstzweck, sondern
zielen darauf ab, heutige Ansätze und Positionen des pastoralen
Handelns zu klären und zu fundieren. Dem Vf. gelingt es, das Interesse