Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1988

Spalte:

465-468

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Büchele, Herwig

Titel/Untertitel:

Christlicher Glaube und politische Vernunft 1988

Rezensent:

Honecker, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

465

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 6

466

K. Leese, R. Hauser (röm.-kath.) und die Dissertationen von R. Gebhardt
und P. Knitter (S. 69fT). Die Hauptgliedcrungspunkte der Arbeit
benennen auch die Sachthemen:

1. „Auf dem Weg zur Theologie der Ordnungen (Akademische Abhandlungen
und zwei wichtigere Arbeiten der zwanziger Jahre)".

2. „Das Ordnungsproblem in der Zwischenkriegszeit. Teilnahme an
der ökumenischen Diskussion".

3. „Ordnungen und Naturrecht".

4. „Über die Ordnungen Volkstum, Staat und Kirche und über die
KriegsaufTassungbei Althaus".

5. „Rück-und Ausblick".

So werden Themen wie „UrofTcnbarung und Heilsoffenbarung",
„Schöpfung und Erlösung", „Vernunft und Erkennen", „Ordnung
und Naturrecht" und weiter „Volk und Volkstum", „Staat und
Kirche", „Zwei-Reiche-Lehre", „das Problem des Krieges" in P. Althaus
' Schriften analysiert und theologisch reflektiert, indem sie auf die
„Antinomie des Gottesbildes" von verborgenem und offenbarem
Gott, von Gottes Allmacht und Liebe zurückgeführt (S. 48, 50, 61, 65,
68, 87, 113, 125) und in die Lehre von den letzten Dingen eingebunden
werden (S. 21 ff, 32, 51 f, 138 u. a.). Die Bezüge zu K. Barth (S. 63), zu
Thomas von Aquin (S. 691) u. a. werden hier mit Recht einbezogen.

Gerade weil P. Althaus „die Nöte seiner Zeit fühlte und behandelte
" (S. 125), geht der Vf. auch auf die zeitgeschichtlichen Themen,
zu denen P. Althaus sich von seinem theologischen Verständnis geäußert
hat, ein: z.T. sehr kritisch, z.T. neue Gesichtspunkte
nennend, z. T. in historischer und skandinavischer Distanz differenzierend
: Althaus' ablehnende Stellung zur Eugenik (S. 116), seine
Kritik an Barmen und seine Veränderung in der Stellung zum
Völkerbund (S, 119 und 140), zum Naturrecht (S. 69 und 140), Althaus
' Vorarbeiten zur Weltkirchenkonferenz in Oxford 1937, die dem
Vf. Anlaß geben, R. Slenczkas Forschungsergebnisse in „Dogma und
Theologiegeschichte", „Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte
", III, Göttingen 1984, eigenständig aufzunehmen (S. 16,
79, 98f, 117, 126) und gerade auch P. Althaus' ambivalente, kritisch
zu beurteilende Stellung zum Krieg: seine „kriegsethische Diplopie"
'S. 122, 136 u. a.). Der kundige Leser wird Bestätigung, aber gerade
durch die differenzierenden Überlegungen des skandinavischen Theologen
neue Einsichten erfahren. So möge die Monographie das
Gespräch über P. Althaus befruchten und anregen, aber auch das
theologische Gespräch mit skandinavischen Theologen intensivieren
.

Heidelberg Michael Plathow

Büchele, Herwig: Christlicher Glaube und politische Vernunft. Für

eine Neukonzeption der katholischen Soziallehre. Wien-Zürich:
Europaverlag; Düsseldorf: Patmos 1987. 254 S. 8" = Soziale Brennpunkte
, 12. Kart. DM28,-.

Bücheies Buch ist eine Programmschrift, keine umfassende inhaltliche
Darstellung katholischer Soziallehre und deren Grundlagen. Es
Seht ihm vielmehr darum, einen Vermittlungsvorschlag im Konflikt
zwischen traditioneller Soziallehre und „politischer Theologie",
"Theologie der Befreiung" zu machen. Er will die Kluft zwischen Vertretern
der Soziallehre, die diese strukturbewahrend, und solchen, die
Sle strukturverändernd verstehen, überbrücken. Die Anwälte der
Bewahrung von Strukturen erheben gegen die politische Theologie
den Vorwurf des Utopismus, der revolutionären Gesellschaftsver-
anderung, während für die Vertreter der „politischen Theologie" die
traditionelle Soziallehre „tot", unwirksam ist. In einer appelativen
Sprache will Büchele beide Seiten zur Verständigung ermuntern.
Dabei geht es ihm einerseits, wie den Vertretern der traditionellen
Soziallehre, um Realisierbarkeit und Plausibilität. Demgemäß will er
eine „Lehre vom Handeln" ausarbeiten. Andererseits wollen die
»•befreienden Impulse" der Botschaft Jesu, vor allem der Bergpredigt,
■nnovatorisch und dynamisch zur Geltung gebracht werden. Das
"Schlußwort" (S. 228) fordert, die überkommene Position katholischer
Soziallehre müsse im Hegeischen Sinne des Wortes dreifach
„aufgehoben" werden (aufgelöst, emporgehoben; bewahrt und integriert
). Es ist also vornehmlich ein praktisches, weithin sogar kirchenpraktisches
Interesse, das bei Bücheies Fragestellung leitend ist,
weniger eine Orientierung an theoretischen Grundsatzüberlegungen.
Das Gespräch mit den Human- und Sozialwissenschaften ist fast vollständigausgeblendet
. '

„1. Katholische Soziallehre: Erwartung und Wirklichkeil"
(S. 13-25) skizziert Erscheinungsbild und Träger katholischer Soziallehre
. Benannt werden vier Bedcutungs- und Wirksamkeilsfelder.
1. Die amtliche Soziallehre der universellen Kirche. 2. Die christliche
Gesellschaftslehre der wissenschaftlichen Reflexion. 3. Gesellschaftspolitische
Aussagen und Aktivitäten kirchlicher Stellen und Gruppierungen
(z. B. Bischofskonferenzen, katholischer Laienorganisationen
). 4. Die Berufung anderer Organisationen und Persönlichkeiten
auf die Autorität der katholischen Soziallehre (S. 14). Der Grundgegensatz
bei allen solchen Stellungnahmen lautet derzeit: strukturbewahrend
oder strukturverändernd (S. 15). Bei der Auslegung der
amtlichen Soziallehre entstehen tiefgreifende Differenzen: Während
z. B. O. von Nell-Breuning und Franz Klüberdie Lehräußerungen als
Anleitung zur Strukturveränderung verstehen, deuten Wilhelm
Weber, Arthur F. Utz u. a. diese strukturbewahrend. Die Stellungnahmen
des deutschen und österreichischen Episkopats in ihren
Hirtenbriefen waren - im Unterschied zu Äußerungen aus Lateinamerika
und den USA - durchweg strukturbewahrend.

Abschnitt 2. „Ursachen der mangelnden politischen Wirkkraft der
katholischen Soziallehre" (S. 26-58) analysiert die Gründe der
Unwirksamkeit. Es sind dies: „Fehlende Hermeneutik"; „Unverbindliche
Redeweise" (z. B. Soziallehre ist folgenloses „Völkerrecht"
S. 31); „Die Lebensferne einer Prinzipienmoral" (S. 33). „Die Scheu
vor Konflikten" (S. 38). „Verzicht auf Gesellschaftsanalyse" (S. 42)
und „die Vernachlässigung der Mittel gegenüber den Zielen" (S. 47).
„Zweierlei Maß: privat und öffentlich" (S. 50); „Diskrepanz von
Wort und Tat" (S. 53). Diese (Selbst-)Kritik ist überzeugend. Die
Konfliktscheu und die Sucht nach Harmonie und Konsens lassen
Soziallehre abstrakt und undeutlich werden, nach dem Motto:
„Weder links noch rechts, sondern darüber" (J. B. Metz). Insbesondere
bleibt eine bloße Verkündigung von Zielpostulaten wirkungslos,
solange diese die Wege und Mittel der Verwirklichung nicht mitbedenkt
. Büchele scheut auch nicht die Kritik an der Finanzpolitik
des Vatikans (S. 54) und am „kurialen Zentralismus" und der Nichtachtung
der Freiheitsrechte in der katholischen Kirche (S. 56).

Nach dieser kritischen Bestandsaufnahme ist man gespannt auf den
eigenen Gegenvorschlag in Abschnitt 3, „Grundzüge einer künftigen
kirchlichen Soziallehre" (S. 59-129). Büchele plädiert hiergegen eine
„Logik des kleineren Übels" und für eine gesellschaftsverändernde
Option der Christen. Die Zumutung der Botschaft vom Reich Gottes
(S. 67 ff) hat für die Gestaltung der Soziallehre zwei Konsequenzen:

Einmal werden zwei Wege zur Erneuerung der Gesellschaft ins
Auge gefaßt. Christliche Basisgemeinden sollen als „Kontrastgesell-
sehaft" (S. 69ff) innovatorisch auf die Gesamtgesellschaft einwirken;
neben diesem Weg soll auf einem anderen Weg die Soziallehre die
Aufgaben und Probleme der Gesamtgesellschaft vernünftig mitbedenken
. Sodann wird die Methode einer „komponierenden Ethik" empfohlen
, in der „utopischer Horizont" und pragmatisches Vorgehen
integriert werden. Die Empfehlung von zwei Wegen der Soziallehre
erinnert an das klassische Modell einer Zweistufenmoral. Die
„Kontrastgesellschaft" kann als bessere, elitäre Lebensform für
Christen verstanden werden; diese Gefahr sieht Büchele selbst
(S. 73ff). Er empfiehlt die Kontrastgesellschaft als „Ort des Wandels"
für eine gesamtgesellschaftliche U mkehr.

Das Konzept einer „komponierenden Ethik" (S. 85ff) ist zunächst
lediglich e negativo auf der dunklen Folie des Versagens bisheriger
Methoden der Soziallehre zu sehen und zu verstehen. Komponierende
Ethik soll utopisches und pragmatisches Denken integrieren,
ganzheitlich sein, und so, wie beim Komponieren einer Musik, in