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Ausgabe:

1988

Spalte:

464-465

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Mann, Walther

Titel/Untertitel:

Ordnungen der Allmacht 1988

Rezensent:

Plathow, Michael

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 6

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Diese Probleme spiegeln sich in anderer Weise auch in exegetischen
Beiträgen wider. Der baptistische Neutestamentier D. M. Schüler von
einem Theologischen Seminar in der Nähe von Chicago weist nach,
wie die Auslegung der Heiligen Schrift immer auch Bestandteil der
Historie der Exegese ist. Anhand der Interpretation des Magnificat in
nordamerikanischen Publikationen von 1900 bis in die Gegenwart
erhebt er die Zunahme sozialer Fragestellungen, was anschließend
von C. H. Zorilla (Fresno, California) aus dem kulturellen Horizont
des „ausgesaugten Amerika" demonstriert wird.

Diese Hinweise sollen den Informationsgehalt des Bandes wenigstens
andeuten. Er besteht einmal in der differenzierten Selbstdarstellung
des evangelikalen Christentums, das sich weder in den USA noch
in der Zwei-Drittel-Welt als homogen erweist. Die Befreiungstheologien
befinden sich nach der Darstellung gegenüber dieser Art des Christentums
, aber auch innerhalb desselben offensichtlich in einer sachlich
günstigen Position, wenn sie die kulturelle Dimension des Evangeliums
aufdecken und neu ins Gespräch bringen. Damit erinnert
diese Dokumentation zugleich daran, wie notwendig es für die Theologie
ist, ihre kontinentalen Befangenheiten aufzulockern.

Daß das in einem andauernden Gespräch geschehen kann, das
Unterschiede auf einer gemeinsamen Basis anerkennt, ist schließlich
eine ökumenische Empfehlung auch für zu Hause.

Rostock Jens Langer

Dunde, Siegfried Rudolf [Hg.]: Neue Väterlichkeit. Von Möglichkeiten
und Unmöglichkeiten des Mannes. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn 1986. 176 S. m. 4 Abb. 8" = GTB Siebenstern
578. DM 14,80.

Pasero, Ursula, u. Ursula Pfäfflin [Hg.]: Neue Mütterlichkeit. Gütersloh
: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1986. 160 S. 8° = GTB
Siebenstern 577. DM 14,80.

Es gibt in der Bundesrepublik offensichtlich einen neokonservativen
Mythos, der sich u. a. in der Überzeugung ausdrückt, das Pendel
schlage von der noch nicht emanzipierten, autonomen Frau zur neuen
Mütterlichkeit aus - und im Windschatten könnten die neuen Väter
Boden gewinnen und die Bevölkerungszahl, wieder zunehmen. Diesem
Mythos widersprechen beide Sammelbände: die zehn Beiträge
zur alternativen neuen Mütterlichkeit (M) und die zwölf zur neuen,
überhaupt erstmals eingelösten Väterlichkeit (V).

Mutter- und Vaterrolle haben sich gewandelt. Die Familie wurde
als Hort der Geborgenheit emotional so überladen, daß sie heute
selbst in die Krise geraten ist. Diese Entwicklung wollten viele Frauen
als Chance ihrer Emanzipation nutzen; sie blieben in der bürgerlichen
Vereinzelung stecken. In der heutigen Gegenvision von Mütterlichkeit
versuchen Frauen, ihre Selbstfindung durch die Erfahrung des
natürlichen Gebärens zu leben. Auch dieses Konzept von Frausein
bleibt im Rahmen bürgerlicher Mütterlichkeit, garniert mit der entpolitisierenden
Mythologie des Natürlichen, des reinen Kindes und
der ungetrübten Mutter-Kind-Beziehung. Erst wenn Frauen und
Männer sich zu gemeinsamer (früher) Elternschaft unter Einschluß
der „unschuldigen Männer" finden, dann werden die Haus-, Schul-,
Erziehungsmütter mit ihrer vierfachen Belastung von Haushalt, Beruf
. Kind und Mann und die außerhäuslichen Karriere- und Vereinsmänner
eine neue Koexistenz mit (oder ohne) Kind leben. Auf diesem
Wege sind viele Proteste notwendig; viele Experimente sind zu
machen, etwa familiengerechte Arbeitsplätze einzurichten, offene Gemeinschaften
zu unterstützen usw.; viele sozial-politische Maßnahmen
wie die ökonomische Absicherung aller Familienmitglieder sind
durchzusetzen.

Erfreulich an beiden Bänden ist die Konkretheit. Alltagsprobleme
werden nicht vorschnell durch Utopien überspielt. Alle Beiträge
geben auf radikale gesellschaftliche Veränderung aus; sie fordern entsprechende
konkrete Maßnahmen bis hin zur Wiedergewinnung der
Körperlichkeit der Frauen (und Männer) in einer sie z. B. durch In-
vitro-Fertilisation und Gen-Technologie zu Objekten degradierenden

Medizin und Wissenschaft. Aber auch Differenzen treten zutage: In M
wird die Autonomie der Frau betont, was für V kein Problem auf dem
Weg zur neuen Väterlichkeit zu sein scheint. In V wird von vornherein
familienbezogen argumentiert, während in M auch die Frau als
werdendes Subjekt reflektiert wird. In M werden konkrete sozialpolitische
Forderungen erhoben und z. B. familienpolitische Maßnahmen
gefordert; in V nur seitens der Initiative für aktive Vaterschaft
. In M droht die Gefahr der Super-Frau, die die Männer-Rolle
durch Einverleibung oder durch die Umwandlung des alten Vaters in
einen „neuen Vater ohne Brüste" überflüssig macht; in V wird -
theologisch - für eine Geschlechtsncutralität plädiert, die die Angst
des Mannes vor der Frau bestenfalls eben neutralisiert, schlimmstenfalls
eine patriarchalisch orientierte Androgynität (so die Kritik feministischer
Theologie) gerade ohne Neugestaltung der Geschlechter-
Rollen in der neuen Elternschaft bringt (die in V in dem Beitrag zur
„Abschaffung der Vaterrolle" eingefordert wird). Also: Die Richtung
im groben ist klar, nämlich die Veränderung der bisherigen Rollenverteilung
der Eltern hin zu gemeinsamer Elternschaft; Änderung der
herkömmlichen familiären, sozialen usw. Rahmenbedingungen und
Verwandlung unseres derzeitigen, unterdrückenden, patriarchalischen
Gesellschaftssystems. Diese Option wird mitgetragen von der
feministischen Theologie, die in M mit einem Beitrag zum fehlenden
Eros im patriarchalischen Christentum und in V mit einer empfehlenswerten
„Anfrage einer Theologin an die Väter der Theologie" vertreten
ist. Es ist für Kirchen und Politik in der BRD an der Zeit, nicht
nur über § 218 und familienfördernde Maßnahmen ideologische Grabenkämpfe
zu inszenieren und die Familie auf Lebenszeit aus vordergründigen
Interessen als gottgewollte, politisch und kirchlich gut
manipulierbare Schöpfungsordnung festzuschreiben, sondern die
dahinterstehenden realen Probleme von Eltern, von unterdrückten
Frauen, entfremdeten Männern und Kindern anzupacken. Der Frieden
in unserer Gesellschaft reicht von der Abrüstung (der patriarchalischen
Kriegsmaschinerie) bis zur Befreiung zu neuer Mütterlichkeit
und Väterlichkeit in neuer Elternschaft.

Da rmstadt U wc Gerber

Systematische Theologie: Ethik

Mann, Walther: Ordnungen der Allmacht. Paul Althaus der Jüngere
über die Ordnungen. Hannover: Lutherisches Verlagshaus 1987.
149 S. gr. 8' = Arbeiten zur Geschichte und Theologie des Luthertums
, N. F. 7. Kart. DM21,80.

Orte des theologischen Sachgesprächs und des wissenschaftlichen
Austausches über Grenzen hinweg sind in unserer heutigen kirchlichen
Landschaft in unserer Welt besonders wichtig. Solch einen Ort
stellt die Luther-Akademie in Ratzeburg dar; sie übt so eine Bindegliedfunktion
gerade mit den skandinavischen Kirchen und der
skandinavischen Theologie aus. Der neue Band 7 ihrer Schriftenreihe
„Arbeiten zur Geschichte und Theologie des Luthertums" ist wieder
ein Beispiel dafür. Walther Mann, in den dreißiger Jahren aus
Deutschland nach Schweden emigriert, wendet sich unter dem von
B. Hägglund geprägten Titel (S. 1) „Ordnungen der Allmacht" der
durch die jüngere deutsche Geschichte und durch manche Vorurteile
belasteten Frage nach dem Verständnis der „Ordnungen" bei Paul
Althaus d. Jüngeren zu, also seinem Weg von der Dissertation 1913
bis zu den Schriften 1945, wenn auch einige Hinweise auf „Die christliche
Wahrheit" einbezogen werden. Die Arbeit entfaltet das Thema
systematisch-theologisch mit den dazugehörigen historischen Gesichtspunkten
. Der Vf. zeichnet das aspektreich behandelte Sachthema
zugleich in das Gespräch mit den skandinavischen Theologen
ein: A. Nygren, H. Olsson, B. Hägglund, G. Hillerdal, G. Wingren,
N. Karlström, A. Runestam, N. Söderblom u. a. und geht zugleich auf
die Interpretationen in Deutschland ein: W. Wiesner, R. Walker.