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Ausgabe:

1988

Spalte:

461-463

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Conflict and context 1988

Rezensent:

Langer, Jens

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 6

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rakter der Welt als einer synthetischen Einheit" (S. 111). Daher wird
dieser Gottesbeweis „nicht nur ein Detail, sondern eine Weise, in der
er seine GesamtaufTassung zum Ausdruck bringt, nämlich, daß Denken
nicht dem Gegebenen gegenüber steht, sondern, daß Erkennen
heißt, sich die Struktur in den Dingen selbst bewußt machen" (S. 106).
Spannungsreich steht diese grundlegende Überlegung, die Gott als
Geist betrifft, neben des Vf. Deutung des Religionsbegriffs, hier heißt
es - allerdings durch eine Anmerkung relativiert (S. 117 Anm. 3) -
„Was die Religion betrifft, so läßt sie sich zwar entmythologisieren,
und man kann ihr einen vernünftigen Kern entlocken, aber sie ist im
Grunde passe, so wie die Kunst. Der einzige moderne und zugleich
einzig adäquate Teil des ,absoluten Geistes' ist die Philosophie"
(S. 99). Solch eine Deutung steht zwar im Einklang mit linkshegelianischen
Positionen (etwa D. F. Strauß), schießt aber-wie dem Vf. offenbar
selbst bewußt war, links an Hegel vorbei, dessen hohe Schätzung
der christlichen Religion für seine Gegenwart nicht auf eine Denkfigur
reduziert werden kann, deren Potenz in ganz anderen Bereichen
läge.

Zu Recht hob der Vf. demgegenüber hervor, daß „für Hegel Modernität
und Christentum eng miteinander verbunden" sind (S. 114).
Das Prinzip der „selbständigen Person, das Subjektivitätsprinzip",
was Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft ist, ist „nach Hegels Auffassung
im Grunde die Selbständigkeit, die das Christentum ermög-
ücht hat" (S. 114). Zu eng allerdings auf die Gemeinde beschränkt,
»auf eine religiöse Enklave beschränkt", die „das Politische außen vor
hält"(S. 114).

Man legt das Buch Jorgen Bukdahls vielfältig bereichert und angeregt
aus der Hand, und man wird sagen müssen, daß es ausgezeichnet
helfen kann moderne, subjektive Engführungen des Geistesverständnisses
abzubauen. Anders wird man aber auch nicht in Hegels Philosophie
eindringen können.

Leipzig Hans Moritz

Systematische Theologie: Allgemeines

Branson, Mark Lau, and C. Rene Padilla [Ed.]. Conflict and Context.

Hermeneutics in the Americas. A Report on the Context and Her-
meneutics in the Americas Conference. Sponsored by Theological
Students Fellowship and the Latin American Theological Frater-
nity Tlayacapan, Mexico, November 24-29, 1983. Grand Rapids,
Ml: Eerdmans 1986. XII, 323 S. gr. 8°. Kart. £ 11.40.

Der Konflikt, um den es geht, ist deutlich: das ökonomische Gefälle
tischen dem Norden und dem Süden der beiden Amerika, dem theologische
Trends entsprechen bzw. zuwiderlaufen. Dieser Konflikt enthält
aber zahlreiche Facetten, die der europäische Leser teils verwirrt,
Vor allem aber instruktiv belehrt zur Kenntnis nimmt. Zu dieser Pluri-
formität gehören die Spannungen in diesen Räumen zwischen evange-
hkaler und akademischer Theologie, zwischen Teilen der evangelika-
'en Interpretation des Evangeliums und den sozialethischen Ansätzen
lm Kontext von Befreiungen sowie Übereinstimmungen zwischen beiden
, die wiederum zu gemeinsamen Anfragen an die Haltung vieler
n°rdamerikanischer Theologen führen. Der unterschiedliche Kon-
te*t, aus dem heraus die Diskussionsteilnehmer sprechen, gewinnt in
den einzelnen Beiträgen deutliche Konturen. Die theologische Hermeneutik
der Schriftauslegung wird davon bestimmt.

Dieses alles in beeindruckender Offenheit berichtet zu haben,
macht den Band zur Dokumentation einer theologischen Werkstatt,
d'e sich als ausgesprochen informativ erweist. Plenarreferate, kurzgefaßte
Anfragen dazu in Form von Statements, Debatten in Gruppen
Und im Gesamt der Konferenz werden vorgestellt, manchmal durch
Zwischenberichte ergänzt. Sie alle lassen den Leser an einem oft kontrovers
geführten Meinungsbildungsprozeß teilnehmen.

Urngriffen werden alle Konflikte von der Frage: Wie bewußt sind
s'ch die einzelnen Theologen der Prägung, die ihre Aussagen durch

die vorherrschende Kultur ihrer Umwelt erfahren? Darauf antwortet
einleitend der baptistische Missiologe Escobar (Philadelphia) mit
einer Auslegung von 1 Petr 1,3: Theologie verdiene ihren Namen nur,
wenn sie mit dem Lobpreis Gottes beginne und in einer Gemeinschaft
des Glaubens verankert sei. Dem wird in späteren Antworten wohl
zugestimmt, dabei aber an diejunterschiedliche Praxis der Kirchen
gegenüber der theologischen Ausbildung verwiesen. Die Forderung,
daß theologische Lehrer an Ausbildungsstätten Revers der jeweiligen
Rechtgläubigkeit unterschreiben müssen, wird anhand von Beispielen
als bedrängend empfunden.

Der Alttestamentler G. T. Sheppard (Toronto) arbeitet in seinem
Überblick zur Situation der theologischen Hermeneutik in den USA
heraus, wie der Ausleger in seiner Interpretation von den Adressaten
beeinflußt wird. Insofern finde durch die Befreiungstheologien eine
„Demystifikation" des Auslegers statt, weil sie „objektive" Aussagen
auf deren Hintergründe hin einschließlich der darin beschlossenen
Vorurteile analysiert. Gegen einen fraglosen Fundamentalismus setzt
Sheppard sich für eine historisch-kritische und sozialgeschichtliche
„Demystifikation" auch der Antike ein, aus der die Bibel stammt. In
der Debatte hierzu wie zu Escobar wird bereits deutlich, daß evangeli-
kale Theologie in Lateinamerika nicht einfach mit Fundamentalismus
zu identifizieren ist, sondern daß hier eine hermeneutische Diskussion
stattfindet, die bis zu Konvergenzen mit Befreiungstheologien
führen kann.

Der Konflikt zwischen den beiden Amerika, der in den verschiedenen
sozialen Kontexten gründet, wird besonders deutlich an der Debatte
zu dem Referat von C. H. Pinnock (Hamilton, Ontario), der die
Frage zu beantworten sucht, ob die Hörer des Evangeliums prinzipielle
Atheisten oder Entfremdete seien. Er entscheidet sich für Erste-
res und verbindet damit die Wahrheitsfrage. Da Pinnock auch die
eigenen kulturell bedingten Vorurteile eingesteht und sich damit als
Teil des Problems begreift, liegt hiermit ein besonders erhellender
(oder auch demystifizierender) Beitrag vor. Einerseits macht der nordamerikanische
Theologe die Differenz zwischen Säkularismus und
Säkularisation im Gogartschen Sinne bewußt. Er erklärt seine Dankbarkeit
für humanistische Werte wie menschliche Freiheit, Vernunft,
politischen und ökonomischen Liberalismus sowie die Freiheit des
Gewissens, sucht andererseits aber letztlich doch das Ende aufklärerischer
Rationalität zu beweisen (übrigens mit rationalen Argumenten).
Der neuzeitliche Humanismus, ans Ende gelangt, soll nach Pinnock
durch eine erneuerte Kirche ersetzt werden. Dabei ist seine Voraussetzung
das System der USA, dem er zwar nicht völlig unkritisch gegenübersteht
, aber doch unkritisch genug, um seine Verständnislosigkeit
gegenüber anderen gesellschaftlichen Entwürfen wie etwa in den Befreiungstheologien
zu manifestieren. Im Blick auf Entwicklungen in
der marxistischen Ideologie ist seine Position faktisch allein schon
durch den Abstand der Jahre antiquiert, ohne daß die neue religiöse
Rechte in den USA ganz allgemein auf Grund der eigenen Befangenheit
diese Entwicklung hätte angemessen verarbeiten können. Der
Systematische Theologe J. Slam (Nicaragua, Costa Rica) und die
Lateinamerikanerin Mercadante machen in ihrer Erwiderung auf die
verengte Ost-West-Perspektive ihres Vorredners aufmerksam, die
erweitert werden muß durch Aufnahme der globalen Probleme, wozu
eben auch die Abhängigkeiten und Unterdrückungen in Zentral- und
Südamerika gehören. Eine Analyse der theologischen Situation dürfte
nicht von der persönlichen Meinung allein bestimmt sein - Stam
bezeichnet eine solche Haltung als "opinionism" -, sondern müsse
ebenso objektive Gegebenheiten berücksichtigen. Damit komme auch
im sozialethischen Horizont die Wahrheitsfrage ins Spiel. Angemahnt
wird vor allem die Nähe der akademischen Theologen zu den Menschen
, zu denen und von denen sie sprechen. Diese Kritik ist durchgängig
, und die Beziehung der Lateinamerikaner zu ihren Gemeinden
wie insbesondere zu den Problemen der unterprivilegierten sozialen
Schichten ist offenbar auch im Kreis der Tagungsteilnehmer stärker
entwickelt als bei den meisten nordamerikanischen Teilnehmern
.