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Ausgabe:

1988

Spalte:

457-459

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Rudolph, Enno

Titel/Untertitel:

Zeit und Gott bei Aristoteles 1988

Rezensent:

Keil, Günther

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 6

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kann. Die genauere, ausführliche Ausarbeitung der Beziehung zwi- christlicher Geist aristotelischen Geist hätte aufnehmen können und
sehen Christus und dem Dekretum bei Bullinger wäre doch sehr hilf- aufnehmen kann, dies zu zeigen bemüht sich R. in seinem Buch,
reich und interessant gewesen. Der Vf. hat schon recht, wenn er sagt, Seine Überlegungen sind dabei, kurz zusammengefaßt, etwa die fol-
die meisten reformierten Theologen aus dem 16. Jh. seien infralapsa- genden: Der Gott des Aristoteles ist zwar ein ewiger, aber kein zeit-
lisch; es ist aber schwer zu verstehen, warum Musculus, der auf S. 53 loser Gott, denn er wird als Inbegriff der Zeit gedacht und der Inbegriff
als infralapsarisch beschrieben wird, plötzlich auf S. 56 „supralapsa- der Zeit kann selbst nicht mehr in die Zeit eingeordnet sein, kann
nsch" wird. selbst nicht mehr Anfang und Ende in der Zeit haben und deshalb
Die Seitennumerierung, die im Inhaltsverzeichnis und im Register nicht selbst zeitlich, sondern nur ewig sein. Dennoch ist er nicht zeitgedruckt
ist, entspricht der Numerierung der Seiten im Text gar nicht: los in der Bedeutung, daß er zur Zeit (und damit Welt) keine Bezie-
Wenn man z. B. eine Erwähnung von Lambert Daneau sucht, hung hätte; er ist vielmehr zeithaft, d. h., er ist, obwohl selbst nicht
bedeutet der Hinweis auf ihn, den man im Register findet (bzw. S. 70), zeitlich eingeordnet, doch die Zusammenfassung aller Zeitmomentc,
eine reine Fiktion! Das Register ist also unbrauchbar. Trotz dieses ihr Zugleich, eben ihr Inbegriff, aber dadurch nicht in einer Zeitlosig-
Fehlers ist das Buch aber gar nicht unnütz; der leitende Grundsatz von keit stehend, die von der Zeitlichkeit der Welt grundsätzlich getrennt
Muller stellt einen ganz interessanten Beitrag zu der Diskussion über ist (z. B. 109). Nun sind die zeitlichen Substanzen durch ihre Entele-
die Frage der Prädestinationsiehreim 16. und 17. Jh. dar, und hoffent- cheia bestimmt, die als die Zielhaftigkeit verstanden wird, deren Ziel
lieh wird er auch weitere Studien über dieses Thema fördern. aber grundsätzlich noch aussteht, d. h., die ihr Ziel grundsätzlich nicht

r-„„r , „ , erreicht, sondern immer noch in der Zukunft vor sich hat und deshalb

i'cnt Irena Backus

eben grundsätzlich zeitlich ist. Im Unterschied zu diesen zeitlichen
Substanzen ist die erste Substanz Gott diejenige Entelecheia, deren

Kbclinfj, Gerhard: Des Todes Tod. Luthers Theologie der Konfrontation mit Ziel nicht mehr in der Zukunft aussteht, sondern schon immer erfüllt

dem Tode(ZThK 84.1987,162-194). jst (78ff, 99ff). Das heißt aber, daß er selbst keine zeitliche Substanz

Hägglund. Bengt: Die Frage der Willensfreiheit in der Auseinandersetzung ist die aus der Vergangenheit kommend, als gegenwärtige

zwischen Erasmus und Luther (In: Freiheit aus der Wahrheit, S. 44-58). Entelecheia ihr Ziel noch in der Zukunft ausstehen hat. sondern daß er

*annen|>iesser. C harlcs [Ed.]: Early Christian Spirituality. Transl. by ... „ „ , ,_ „ . ■

P Bright Philadelphia. PA: Fortress Press 1986. V.M. 119 S. 8" = Sourees of eme Ze'thafte SubSta"Z '* derCn hnM«» ,hr /,el Sttl0n im™r

Early Christian Thought. A series ofnew English translations of patris.ie texts re,cht hat und deshalb Vergangenheit. Gegenwart und Zukunft schon

«sentialtoanunderstandingofChristiantheology. Immer zu^h in s,cn trägt. Als solche ist sie Denken des Denkens,

R'esner, Rainer: Johann Albrccht Bengcl und die Evangelien-Forschung. d. h. ein Denken, das alles als zeitlich gespalten Gedachte in ihrem

Anmerkungen zum .Gnomon Novi Testamenti'. Otto Betz zum Siebzigsten zeithaften Zugleich in sich hat. Damit ist das Zeitliche, dessen Ziel

'Theologische Beiträge 18,1987,285-304). (und damit Sinn) noch aussteht, eschatologisch ausgerichtet auf den,

l'homas von Aquin: Über die Einheil des Geistes gegen die Averroisten. De der dieses Ziel schon immer in sich hat, auf Gott. Diese eschatolo-

UI»tate intelleetus contra Avcrroistas. Über die Bewegung des Herzens. De gische sinnerfüllung durch Gott setzt dann aber einen Gott voraus,

motu cordis. Übersetzung, Einführung und Erläuterungen von W,U. Klunker. der nicht zejt,os •„ ejner von der Zeitlichkcit vo||j geschiedenen

Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 1987. 186 S.gr. 8*. Lw. DM48,-. _ . , .... . ... . „ ,. ,, _ ... ,

W»..... i/ i u 7 -_, . „ , „ v ,c . IM, Ewigkeit thront, sondern einen zeithaft-ewigen Gott, der das Zeitliche

"euer, Karl-Heinz: Zur Theologie Karl Rahners (EuA 63, 1987, , , , , ... §_

337-348) m sicn nal' durchwaltct, d. h. der Schöpfer und Erloser des Zeitlichen

White. Graham: Luther on Ecclesiastes and the limits of human ability ist: -Wenn Gott der Schöpfer und Erlöser von Zeitlichem ist und die

'NzSTh 29.1987.180-194). Erlösung nicht Luv-Iösung von der Zeit bedeutet, dann kann der

^ inklcr. Eberhard: Vom Taufstreit zum Dialog (Die Christenlehre 40. 1987. Glaube Gott nicht nur bekennen als den Ewigen ... Er hätte Gott als

2~">- den Sinn des Nicht-Ewigen, zu dem er ja gesagt hat als Schöpfer und

Erlöser, anzunehmen." (207)

Formal geht R. nun so vor, daß er zunächst einmal (in den ersten

PhilOSOphie, ReligiOnSphilOSOphie drei Kapiteln) die Begriffe Zeit, Sein, ontologische Differenz, Entele-

chie, Gott, erster Beweger, Nous usw. bei Aristoteles klärt. Dies
R«d»lph, Enno: Zeit und Gott bei Aristoteles aus der Perspektive der geschieht zum Teil in Auseinandersetzung mit Heidegger und Leib-
Protcstantischen Wirkungsgeschichte. Stuttgart: Klett-Cotta 1986. n,z' Der BcSnlTder ontologischen Differenz ermöglicht es, Gott von
224 S. 8- = Forschungen und Berichte der Evang. Studiengemein- den zeitlichen Substanzen abzusetzen, ohne ihn m eine zur Welt beschält
. 40. Lw. DM 48,-. ziehungslose Transzendenz stellen zu müssen. Dann (im vierten Kapitel
) wird der zeithafte Gott des Stagiriten mit Schellings Schöpfungs-
• .Daß Lebenscrfüllung als ausstehende konstitutiv ist für die Fülle ontologie in der Philosophie der Offenbarung verglichen (offensicht-
des gegenwärtigen Lebens, hat einen eschatologischen Aspekt, auf lieh als Beispiel für den Deutschen Idealismus überhaupt), um dann
dessen Bedeutung einzugehen bedeuten könnte, neue Gemeinsamkei- den aristotelischen Gottesgedanken in Melanchthons Aristoteles-
ten zwischen griechischer Kosmologie und christlicher Eschatologie rezeption in den „Inilia Doctrinae Physicae" auch im Blick auf
auf dem Grund des teleologischen Denkens zu finden." (194) Um Luther zu untersuchen. Vor allem dabei stellt R. auch seine eigenen
s°lche neue positive Begegnung zwischen christlichem und griechi- Gedanken dar.

Scriem (besonders aristotelischem) Geist ist es der vorliegenden Unter- Die systematische Darstellung der eigenen Gedanken also - obwohl

Sfchung zu tun. Dabei war es besonders Luther, der am mittelalter- sie sich mit Pannenberg, Jüngel und anderen auseinandersetzt - ist in

ehen Aristotelesbild hängenblieb und so eine fruchtbare Rezeption die historische Darstellung protestantischer Aristotclcsrezeption

des Stagiriten durch den Protestantismus verhinderte: „Kritisch bleibt hincingewoben. Das Buch macht neugierig, einmal die an Aristoteles

Zu vermerken, daß Luther das Aristotelesbild der scholastischen Tra- gewonnenen Gedanken R.s. in einer besonderen rein systematischen

d'tion im wesentlichen beibehalten bzw. übernommen hat. Und Ausarbeitung dargestellt zu finden, sei es in einem neuen Buch, sei es

Seradc deshalb mußte er Aristoteles ablehnen. Der Kern der Ablch- in einer zweiten Auflage in einem eigenen Kapitel.
"ung liegt in der Unterstellung, daß Aristoteles der für die mittelalter- Auch wenn man R.s Anliegen grundsätzlich bejaht und viele seiner

enc Theologie, vor allem für die Ethik und Kosmologie angemes- eigenen Gedanken nachzuvollziehen bereit ist, so kann man doch

Sene Vordenker gewesen ist." (196) „Im Sinne einer Auscinanderset- einige Bedenken nicht verschweigen, die wir hier kurz andeuten wol-

*Ung mit der aristotelischen Philosophie von einem konkurrierenden len: Kann man die Zeit bei Aristoteles, die nach den Texten vom Sub-

pn'losophischcn Standpunkt aus hat Luther die Chance einer schola- jekt gemessene Bewegung ist, derart ontologisieren, daß sie zurgrund-

s,'kkritischen Aristotclesauslcgung verspielt." (197) Daß und wie legenden Auslegung des Gott-Wclt-Vcrhältnisses fähig wird? Wenn