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Ausgabe:

1988

Spalte:

451-452

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Bunners, Christian

Titel/Untertitel:

Fritz Reuter und der Protestantismus 1988

Rezensent:

Leder, Hans-Günter

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 6

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blieb ein Mann der katholischen Aufklärung, der sich u. E. immer
dann, wenn er sich zwischen katholischer Aufklärung und verpflichtender
katholischer Tradition gestellt sah, für diese entschied. Typisch
ist etwa sein Anknüpfen bei Thomas v. Aquin, dessen Unterteilungen
der Furcht (timor mundanus, servilis, initialis, filialis) er einfach
übernehmen konnte. Die knechtische Höllenfurcht (timor servilis
gehennae) wurde von ihm besonders ausführlich gewürdigt (328) nicht
ohne direkte Abgrenzung von Luther und rigoristischen Jansenisten,
aber unter Verweis auf jansenistische Literatur. So ging er einen
wahren Eiertanz ein (3280:

,,Der Satz des Tridentinums. nach dem die attrilio für sich allein, ohne das
Bußsakrament, den Sünder nicht zur Rechtfertigung zu führen vermöge, ihn
aber doch zur Erlangung der Gnade Gottes im Sakrament der Buße disponiere,
ist nach Luby nur dann recht verstanden, wenn die Furcht vor der Hölle jede
Neigung"!!) „zur Sünde positiv auszuschließen vermöge."

Das Literaturverzeichnis Wolkingers ist überaus beachtlich (wenn
auch evangelische Literatur unterrepräsentiert ist), sein Fleiß stupend,
seine Fähigkeit, eine fast unbekannte Größe in neuem Licht zu
repräsentieren, sehr beachtlich. Seine Schlußinterpretation (544)
lautet:

„Da Luby als einer der ersten" (seil, katholischen) „Moraltheologen der zeitgenössischen
Philosophie (und zwar der Leibniz-Wolffschen, die die herrschende
vor Kant war) größere Bedeutung zuerkannt hatte - wenngleich nur
mittelbar, und zwar großteils über den Naturrechtler Martini -, konnte er
indirekt. . . eine gewisse Ausstrahlung erzielen ... Nicht zuletzt durch die
rasche und relativ radikale Ablösung der Wolffschen Philosophie durch die
Kantische konnte Luby keine langer dauernde Wirkung vergönnt bleiben."

Wien Peter F. Barton

Bunners. Christian: Fritz Reuter und der Protestantismus. Theologische
Beiträge zu Fritz Reuter, seinem Werk und dessen Rezeption
. Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1987.- 82 S. gr. 8° = Aufsätze und
Vorträge zur Theologie und Religionswissenschaft, 82. M 3,90.

In der kirchen- und theologiegeschichtlichen Erforschung des
19. Jh. gibt es noch mancherlei wenig oder nicht ausreichend
beackerte Felder. Dabei gelingt es besonders der Detailforschung, in
der Literatur vertretene Gesarrfturteile und Gesichtspunkte weiter zu
präzisieren und zu differenzieren, oder auch für Allgemeingültiges
interessantes Anschauungsmaterial zu liefern.

Fritz Reuter, allen Freunden niederdeutscher Literatur mehr als ein
Begriff, darüber hinaus aber auch ein Schriftsteller des 19. Jh., der
einen unverlierbaren und bedeutenden Platz im lebendig rezipierten
kulturellen Erbe aus jener Zeit besitzt, ist eine kirchengeschichtlich
durchaus interessante Gestalt. Dies überzeugend nachgewiesen zu
haben, ist das Verdienst von B., der in seinen gehaltvollen und
anregenden Studien Fritz Reuters Verhältnis zum Protestantismus
seiner Zeit und Urteile über Reuter von Zeitgenossen und später
Lebenden untersucht und darstellt. Die vorliegende Schrift, allen an
Reuter wie an der Kirchengeschichte des 19. Jh. Interessierten gleichermaßen
willkommen, vereint vier gesonderte Studien, die jedoch
auf mancherlei Weise miteinander zusammenhängen: Kirche und
Frömmigkeit im 11. Kapitel von Reuters „Hanne Nütte" (S. 7-18);
Fritz Reuters Auftreten auf dem Protestantentag 1865 (S. 19-31); Das
Urteil des Berliner Pfarrers Adolf Thomas über Fritz Reuters „Kein
Hüsung" (S. 32-52); Fritz Reuter im Urteil von Theologen. Eine erste
Übersicht (S. 53-74).

Reuter hat, das ist der nachhaltige Eindruck bei der Lektüre der
ersten beiden Studien, ein durchaus differenziertes und kundiges Bild
der kirchlichen Situation seiner Umwelt besessen, das ihn in die Lage
setzte, sich in seinen eigenen religiösen Vorstellungen von bestimmten
Erscheinungsformen der Kirche seinerzeit zu unterscheiden bzw. zu
distanzieren. Im vielfaltigen kirchlichen Spektrum jener Jahrzehnte
bezog Reuter, zwar ohne tiefgründige theologische Reflexionen vollzogen
zu haben, aber doch auf Grund keineswegs oberflächlicher
Urteile seinen Standpunkt in der Nähe der liberalen Kräfte des deutschen
Protestantismus - mit z. T. scharfer Kritik an jener offiziellen
Amtskirche, die im Wirkungsfeld und im Bereich fließender Übergänge
zwischen Erweckung, Romantik, Konfessionalismus und
Restauration Züge entwickelt hatte, die sich Reuter, zumal im Blick
auf die Verhältnisse in Mecklenburg, als äußerst kritikwürdig darstellten
. Die Option für jene Kräfte vollzog sich nicht nur in seinen von
christlicher Frömmigkeit bestimmten Werken, sondern manifestierte
sich auch in seinem Auftreten auf dem Protestantentag 1865. Sie
wurde dort wie in der kirchlichen Öffentlichkeit dann auch als solche
empfunden, d. h. einerseits dankbar akzeptiert, andererseits in Hengstenbergs
Kirchenzeitung „sauer-süß" (Reuter) zur Kenntnis genommen
und kritisiert. Sein Eintreten für ein „undogmatisches, kulturoffenes
und volksverbundenes Christentum" (S. 21), sein Bekenntnis
„zum liberal geprägten Protestantismus" (S. 23), seine deutliche
Kritik an kirchlicher und sozialer Rückständigkeit brachten ihm bei
den Adressaten seiner Kritik den Vorwurf ein, in seinem Werk manifestiere
sich „religiöse Verkommenheit" (S. 6). Reuters Christentum
trägt nach B., und das dürfte zutreffend gesehen sein, theologischrationalistische
, liberale und kulturprotestantische Züge (S. 31).

Der Rezeptionsgeschichte Reuters im kirchlich-theologischen Bereich
gehen die beiden letzten Beiträge nach - mit interessanten und
aufschlußreichen Sachverhalten, die von B. sachgemäß kommentiert
und analysiert werden. Bemerkenswert erscheint u. a. die offenbar
ausgeprägte Sympathie, die D. Bonhoeffer für Reuter empfunden hat.
B. erweist sich als gleichermaßen mit der Reuterforschung wie mit der
kirchengeschichtlichen Literatur zum 19. Jh. vertraut. Fragen könnte
man, ob nicht gelegentlich ein wenig zu schematisch eingeordnet
wird. Und zu fragen wäre wohl auch, ob die Äußerung des ersten
mecklenburgischen Landesbischofs, Heinrich Behm, über Reuter
nicht durch die Kontextinterpretation von B. (S. 64ff) etwas überfrachtet
wird. Insgesamt liest man die vorgelegten Beiträge zu einer
theologisch-wissenschaftlichen Reuterforschung, für die zu Recht auf
die bahnbrechenden Studien von Gottfried Holtz verwiesen wird
(S. 70f), mit außerordentlichem Gewinn und weitgehender Zustimmung
. Ein respektables Literaturverzeichnis sowie ein Namenregister
runden die dankenswerten und einen Teil der Kirchengeschichte des
19. Jh. in spezifischer Weise beleuchtenden Studien ab.

Greifswald Hans-Günter Leder

Dogmen- und Theologiegeschichte

Neunheuser. Burkhard: Taufe und Firmung. Freiburg-Bascl-Wien:
Herder 1983. 149 S. gr. 8* = Handbuch der Dogmengeschichtc.
IV,2.

Nach 27 Jahren hat Vf. eine 2. Aufl. seiner Arbeit vorgelegt. Da
seinerzeit die Kritik die „Generallinie der Darstellung bejaht" hat.
meinte er, „am Wesentlichen der Darstellung . . . nichts ändern zu
sollen", obwohl er die Theologiegeschichte stärker berücksichtigt und
Fehlendes, gerade auch neuere Literatur, hinzugefügt hat. Aber Rez.
muß doch fragen, ob dies nach dem Vaticanum secundum und dem
ökumenischen Gespräch seit 1956 möglich ist. Gewiß, auf neuere
Entwicklungen wird am Schluß eingegangen, aber der Tenor der
Arbeit ist eindeutig vorkonziliar (z. B. Reformation als Kirchenspaltung
), die Entwicklung der nichtrömischen Kirchen ist kaum im
Blick - im Unterschied zu anderen Beiträgen des Handbuchs. Hier
aber, wo gerade im Hinblick auf die Taufe eine erfreuliche Annäherung
in den multilateralen Lehrgesprächen erfolgt ist, ist der christliche
Partner nicht ernst genug genommen. Die Lima-Erklärung oder
vorher die Accra-Erklärung zur Taufe sind keinmal erwähnt, obwohl
das Vorwort vom 1. November 1982 datiert ist.

Vf. behandelt verhältnismäßig ausführlich die „Schriftlehre'
(10-33), dann die „Patristische Theologie", auf der eindeutig der
Schwerpunkt der Darstellung liegt (34-96), wesentlich kürzer „Von