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Ausgabe:

1988

Spalte:

440-441

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Kapitel 13 - 28 1988

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 6

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daß von einer fixierten Lehre nicht die Rede sein kann. In einem zweiten
Schritt wendet sich A. der von Dodd übergangenen Passionstradition
zu, um nachzuweisen, daß gerade hier eschatologische Interpretation
greifbar wird. In der alten, von Mk verarbeiteten Passionstradition
zeigen vor allem die Nachrichten von der weltweiten Finsternis
und vom Zerreißen des Tempelvorhanges (15,33.38), daß Jesu Tod
als Teil der endzeitlichen Trübsal interpretiert wird, die ihrerseits den
„Tag des Herrn" ankündigt. Darüber hinaus entdeckt A. Strukturparallelen
zwischen Sach 9-14 und Mk 11-16 und findet in Mk 13
Interpretationselemente für Mk 14-16. Aus Mt sind wichtig die als alt
angesehene Überlieferung von der Auferstehung vieler Heiliger
(27,51-53) sowie Einzelzüge in 26,64; 28,2-4 und I8a-19a. Selbst
das Johannes-Evangelium liefert zumindest indirekte Belege für ein
eschatologisches Verständnis des Todes Jesu (12,23.31; 15,18-16,11;
16,16-22), auf eigene Weise ebenso das Corpus Paulinum. Das
hier direkt bezeugte Verständnis der Auferstehung Jesu als Beginn
der eschatologischen Totenauferstehung (IKor 15,20; Rom 8,29;
Kol 1,18; Rom l,3f) wie die nur indirekt erschlossene Anschauung
vom Tod Jesu als Teil der endzeitlichen Trübsal werden der vorpauli-
nischen Tradition zugewiesen. Auf andere Weise bestätigen Offb 1,9
und 12,1-6, daß die endzeitliche Trübsal mit dem Advent des Messias
Jesus eingeleitet worden ist. Lediglich Lukas liefert keine Beiträge in
dem von A. gesuchten Sinn. J. Beckers Plädoyer für ein ursprünglich
nichteschatologisches Verständnis der Auferstehung Jesu wird vor
allem mit Hinweis auf Mt 27, 51-53 und Rom l,3f zurückgewiesen.
Als ebenso nichtbefriedigend werden einige neuere Versuche, das
eschatologische Verständnis von Tod und Auferstehung Jesu zu erklären
(Claird, Aune, Bartsch, Strobel), kritisch diskutiert. Jüdische Ansätze
für eine "realized eschatology" finden sich nur in Qumran und
im Jubiläenbuch (Kap. 23). Die urchristliche Überzeugung erwächst
aber nicht von daher, sondern aus Jesu eschatologischer Botschaft und
Erwartung. Jesu Predigt vom schon angebrochenen und in Bälde vollendeten
Reich Gottes ist ohne konkrete Erwartungen nicht denkbar.
Hier fügt sich für A. mühelos Jesu eigene Erwartung von Leiden und
Tod als Teil der großen Drangsal und seine Erwartung der Auferstehung
als Teil der allgemeinen Totenauferstehung ein. Ein kollektiv
verstandener Menschensohnbegriff verklammert die einzelnen Erwartungselemente
. Es überrascht nicht, daß A. auf solchem Hintergrund
einem total eschatologischen Verständnis des Vaterunsers zuneigt
.

Die nachösterliche Gemeinde deutet Jesu Geschick im Licht seiner
eschatologischen Erwartung als Erfüllung, als "inaugurated eschatology
", d. h. als Beginn der großen endzeitlichen Trübsal und als Beginn
der allgemeinen Totenauferstehung. Freilich war das eine zunächst
nur partikulare, auf Jesus beschränkte Erfüllung. Dieses Problem
führte jedoch-wie auch in neueren messianischen Bewegungen!
- nicht zur Preisgabe, wohl aber zur Korrektur der ursprünglichen Erwartung
. Man argumentiert mit dem Motiv des eigenen Mißverständnisses
(Joh 2,13-22; Mk9,31f; Joh 12,12-16; Lk 19,11), konzipiert
eine kontingente Eschatologie und proklamiert die Parusie als zweiten
Advent. Die Entstehung des Glaubens an Jesu Auferstehung wird so
geschichtlich verständlich, ohne einfach als Resultat einer soziologischen
Gesetzmäßigkeit zu erscheinen. Abschließende „theologische
Refiektionen" führen A. in die Nähe von Pannenbergs Jesus-Interpretation
.

Man kann nicht leugnen: die von A. entwickelte Gesamtkonzeption
ist in sich stimmig und gelangt zu einem im Grunde einfachen
und naheliegenden Ergebnis: die Nachfolger Jesu interpretieren sein
Geschick (Passion und Osterereignisse) in Begriffen vorösterlicher Erwartungen
ihres Herrn (170). Es bleibt nur die Frage, ob die herangezogenen
Texte die Konzeption des Autors wirklich durchgehend zu
tragen vermögen, d. h. ob nicht mancherlei Überinterpretation im
Spiel ist. Selbst wenn man sog. Echtheitsfragen völlig außer Betracht
läßt, vermag Rez. keine Texte zu finden, die eindeutig Jesu Passion als
Teil der endzeitlichen Trübsal interpretieren bzw. eine kollektiv gefüllte
Auferstehungserwartung Jesu bezeugen. Das Stichwort „Trübsal
" taucht in keinem Passionstext auf! Mk 15,33 und 38 bleiben
mehrdeutig und können kaum zusammen mit Mt 27,51-53 das ganze
Hypothesengebäude tragen. Geht man von der urchristlichen Naherwartung
aus, so ist es ziemlich unwahrscheinlich, daß die erst für
Paulus in Korinth wichtig gewordene Begründung der eschatologischen
Totenauferstehung in der Auferstehung Jesu zum ältesten
Überlieferungsgut gehört. Unabhängig von diesen Bedenken behält
die von A. dankenswert klar herausgearbeitete Frage nach dem möglichen
Beitrag von Jesu Botschaft und Erwartung zum Verständnis der
nachösterlichen Interpretation der Jesus-Geschichte ihr unbestreitbares
, sicher wieder neu zu bedenkendes Recht.

Greifswald Günter Haufe

Weiser, Alfons: Die Apostelgeschichte, Kapitel 13-28. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn; Würzburg: Echter 1985.
S. 296-684. 8' = Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum
Neuen Testament, 5,2. GTB. Siebenstern, 508. Kart. DM 34,-.

1981 war der erste Band des ÖTK-Kommentars zur Apostelgeschichte
von A.Weiser erschienen; nun liegt der etwas umfangreichere
zweite Band mit der Auslegung zu Kap. 13-28 vor. Über
Weisers Sicht der Einleitungsfragen und über die Anlage des Kommentars
war in ThLZ 109, 1984, 33-35 berichtet worden. In dergleichen
übersichtlichen und gut lesbaren Weise fuhrt er nun die Auslegung
der Apg zu Ende, so daß dazu und zur Gesamteinschätzung auf
ThLZ 1984 verwiesen werden kann. Hier ist es vielleicht am sach-
gemäßesten, über einige der Exkurse im 2. Band zu berichten.

In Exkurs 6 („Die erste Missionsreise", S. 308-310) grenzt sich W.
von der Auffassung ab, Apg 13,4-14,28 sei eine von Lk frei komponierte
„Modellreise"; gerade daß Lk über Derbe als Endpunkt der
Hinreise nichts zu berichten weiß, spricht dafür, daß er eine ihm vorliegende
Quelle mit der Reiseroute bearbeitete - was zugleich einschließt
, daß Lk mit redaktioneller Ausformulierung (etwa in 14,1-7)
stark beteiligt ist. Was die zeitliche Einordnung der Reise angeht, so
plädiert W. - m. E. mit guten Gründen - für eine Ansetzung vor dem
sog. „Apostelkonzil".

Zum Apostelkonzil selbst gibt W. keinen besonderen Exkurs, aber
natürlich eine ausführliche Diskussion der anstehenden Fragen (vgl.
bes. S. 367-377), da diesem Kapitel „inhaltlich und formal eine zentrale
Stellung" zukommt (S. 364). Ohne hier in die Details gehen zu
können, sei berichtet, daß W. jedenfalls voraussetzt, dem Kapitel
lägen historische Nachrichten zugrunde und es handele sich um das
gleiche Ereignis wie dasjenige, von dem Paulus in Gal 2 spricht. Lukas
habe aber Traditionen über das Jerusalemer Abkommen zwischen Petrus
, Jakobus und Paulus und solche über das sog. „Aposteldekret" zu
einer Szene zusammengefügt, obwohl das letztere eigentlich erst in das
Nachfeld des antiochenischen Konflikts gehöre (mir scheint freilich
wahrscheinlicher, daß das nachträglich beschlossene Dekret den Kontrollbesuch
der Jakobusleute in Antiochien und damit den dortigen
„Zwischenfall" erst ausgelöst hat). Außer den Traditionen über diese
beiden Vorkommnisse habe Lk auch „eine urchristliche Zusammenstellung
atl. Zitate" verwendet (S. 375), während die Gestaltung im
übrigen, insbesondere der Petrusrede, auf Lk selbst zurückgehe.

In Exkurs 7 (S. 387-392) fragt W. nach den „in den Kapiteln 16-28
verarbeiteten Quellen". Er nimmt an, daß Lk in Kap. 16-21 einem
„zusammenhängenden Rahmen von Reisenotizen und Stationsangaben
" (Itinerar) gefolgt sei, den W. auf S. 388 rekonstruiert. Das von
Kap. 16 an begegnende „Wir" hingegen stamme ursprünglich aus der
in Apg 27f von Lukas benutzten Seefahrts-Erzählung und sei von ihm
nach rückwärts übertragen worden. (Könnte man es nicht einmal mit
der Hypothese versuchen, das „Wir" von Kap. 16 an stamme von
Titus, jenem engen Mitarbeiter des Paulus, den Lk in der Apg merkwürdigerweise
nie nennt? Dann ginge das Itinerar auf ihn zurück,
ohne daß Lukas den Autornamen wüßte.) - Weitere Exkurse befassen
sich mit „Träumen und Visionen des Paulus" (Nr. 8; S. 406-415;