Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1988

Spalte:

435-437

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kloppenborg, John S.

Titel/Untertitel:

The formation of Q 1988

Rezensent:

Lührmann, Dieter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

435

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 6

436

konfrontiert (Theokrit, S. 159). Um dieses Resultat zu ermöglichen,
mußte der erwähnte literarkritische Schritt unternommen werden.
Der Rez. ist hingegen der Meinung, daß es für das Denken Ben Siras
geradezu typisch ist, daß er die Herrlichkeit der Taten Gottes in der
Schöpfung (Ben Sira 42,15-43,33) dem Lob der Taten Gottes in der
Geschichte voranstellt, wie dies durchwegs in der alttestamentlichen
Literatur und damit in der Ben Sira prägenden Umgebung der Fall
gewesen ist.

Wenn auch die Hauptthese eine kritische Hinterfragung sich gefallenlassen
muß, so bleibt als hervorzuhebende Leistung des Vf. die
intensive Beschäftigung mit dieser besonderen Art der griechischen
Literatur von Bedeutung.

Wien Georg Sauer

Neues Testament

Kloppenborg, John S.: The Formation of Q. Trajectories in Ancient
Wisdom Collections. Philadelphia, PA: Fortress Press 1987. XVIII,
377 S. gr. 8° = Studies in Antiquity & Christianity.

Der kanadische Neutestamentier an der University of Windsor,
John S. Kloppenborg, legt mit diesem Buch eine überarbeitete Fassung
seiner Dissertation "The Literary Genre of the Synoptic Sayings
Source" (Toronto 1984) vor. Es stellt, wie verschiedene vorher veröffentlichte
Aufsätze bereits andeuteten, einen erheblichen Fortschritt
in der - von Anfang an internationalen - Q-Forschung dar. Der
wesentliche Ertrag liegt in einer plausiblen Bestimmung der Gattung
von Q, die das seit J. M. Robinsons die Forschung irritierendem Aufsatz
von 1964 ,,Logoi Sophon"' nie wirklich angegangene Problem in
einem größeren Zusammenhang aufgreift und verschiedene damit
verbundene Fragen beantwortet.

1. Das erste der insgesamt acht Kapitel ("Introduction": 1-40)
bietet unter dem Gesichtspunkt der Gattungsbestimmung einen Überblick
über die Geschichte der Forschung, angefangen mit Schleiermacher
und über die literarkritischen und formgeschichtlichen Positionen
hinführend bis zu der sich an Robinson und Köster anschließenden
Diskussion bei E. M. Boring und W. H. Kelber2. Merkwürdigerweise
fehlt hier die redaktionsgeschichtliche Phase (P. D. Meyer,
D. Lührmann, P. Hoffmann, S. Schulz, R. A. Edwards, A. Polag),
obwohl sie in der weiteren Arbeit natürlich ständig berücksichtigt ist
(und der Rez. sich keineswegs mit seiner eigenen Arbeit zu kurz gekommen
fühlt).

2. Ohne die Zwei-Quellen-Theorie noch einmal zu entwickeln, liefert
K. unter der Überschrift "The Document Q" (41-88) die Basis
seiner Untersuchung. Gründliche Argumentation führt zu dem konsensfähigen
Ergebnis, daß es sich bei Q um einen schriftlich (nicht
mündlich überlieferten) in griechischer Sprache (nicht ursprünglich
vielleicht aramäisch) abgefaßten Text handelt, dessen Aufbau in der
Abfolge der Einzelstücke bei Lk im wesentlichen noch zu erkennen
ist. Der Umfang wird mit der Doppelüberlieferung Mt/Lk definiert,
also ohne daß Sondergut eines der beiden hinzugezogen, aber auch
ohne daß Teile abgezogen werden. Unter diesen klassischen „Einlei-
tungs"fragen fehlt die der zeitlichen Zuordnung, die auch im folgenden
nicht aufgenommen ist.

3. In einem methodologischen Teil "The Composition of Q"
(89-101) benennt K. die - wiederum konsensfähigen - Kriterien für
die Bestimmung von „Redaktion": a) Zusammenstellung formgeschichtlich
ursprünglich selbständiger Einheiten unter gleichen Gesichtspunkten
; b) Zusätze zu vorgegebenem Stoff; c) Vergleich mit
parallelen Überlieferungen, insbesondere bei Mk.

Bilden 1 -3 insgesamt die Grundlage, bringen 4-6 die Analyse praktisch
aller Q zuzurechnenden größeren Einheiten. K. verzichtet zwar
weitgehend auf genaue Rekonstruktion des Wortlauts mittels Wortstatistik
und anderer Methoden, womit er die Darstellung sehr entlastet
, doch hat er im Zusammenhang des von ihm im Vorwort (XV)
erwähnten SBL-Seminars zu Q eine Reihe minutiöser Rekonstruktionen
vorgelegt, und in Kürze wird ein weiteres - in der zu rezensierenden
Arbeit nicht erwähntes - Buch von ihm erscheinen: "The
Synoptic Sayings Source. Synopsis - Critical Notes - Concordance",
das Rechenschaft gibt über die zugrunde liegenden Text-Rekonstruktionen
.

4. Unter der Überschrift "The Announcement of Judgment in Q"
(102-170) behandelt K. zunächst die Komplexe, die bestimmt sind
von der Gerichtsankündigung gegen Israel, also im wesentlichen
Täuferpredigt, Hauptmann von Kapernaum, Anfrage des Täufers,
Beelzebul-Streit und Zeichenforderung, Q-Apokalypse. Typisch dafür
ist nicht nur die thematische Verbindung, sondern auch die gemeinsame
Gestaltung als „Chrien", ein Begriff, den bereits Dibelius
gelegentlich verwendet hat, während Bultmanns in etwa dasselbe anzeigende
Kategorie „Apophthegma" in der Formgeschichte üblicher
geworden ist.

5. Macht dieser Stoff etwa ein Drittel von Q aus, so überwiegen die
,.Weisheitsreden" (171-245: "Sapiential Speeches in Q"), also vor
allem die Grundlage von Bergpredigt und Feldrede, die Aussendungsrede
, die Reden in Lk 11 und 12, denen allen der „biographische"
Rahmen von Chrien fehlt. K. sieht sie nicht so sehr vordem Hintergrund
jüdischer Weisheit, sondern hellenistischer philosophischer
Ethik, ohne daß das für ihn eine Alternative bedeutete. Die Frage
nach dem Verhältnis beider thematisch und formgeschichtlich verschiedener
Gruppen von Texten löst K. dann so, daß er in den „Weisheitsreden
" eine ältere Schicht von Q sieht, die später mit der „Gerichtsankündigung
" nicht nur verbunden, sondern auch von ihr her
interpretiert worden ist (z. B. durch die Einfügung von Q 6,23c und
10, 13-153).

6. Die immer wieder als Fremdkörper empfundene Versuchungsgeschichte
(246-262) erklärt K. als eine dritte und letzte Schicht, die
eine zentrale Funktion für die Logienquelle als ganze erhält, insofern
Jesus selbst hier zum Beispiel für das wird, was er verkündigt: die
absolute Abhängigkeit von Gott, den Verzicht auf Gegenwehr und auf
politischen Anspruch.

7. Ein weit ausgreifender Überblick ("Q and Ancient Sayings Collections
": 263-316) über vergleichbare Sammlungen führt Tür jede
der drei Schichten zu detaillierten Erwägungen, macht aber auch das
Ineinander aller drei in der Endgestalt von Q plausibel, wie sich in 8.
("Conclusion": 317-328) zeigt. Das in 5. interpretierte Material geht
in Richtung auf die Gattung des Gnomologion; durch die Chrien-
Sammlung (s. 4.) und vor allem durch die in solchen Sammlungen
auch sonst begegnende Bewährung des Sprechers (s. 6.) als Legitimation
dessen, was er sagt - zusätzlich zu der von ihm selbst behaupteten
göttlichen Legitimierung (dazu rechnet K. vor allem Q 10, 21 f sowie
die bekannten „Weisheits"-Stellen) -, weist Q (anders als das
Thomasevangelium) in eine biographische Richtung.

Diese - in den Details sorgfältige - Analyse von Q ist durch ihre
Konzentration auf die gattungsgeschichtliche Frage ein in sich geschlossener
und nach außen argumentativ abgesicherter Wurf, der die
Q-Forschung ein gutes Stück weiter bringt und erst einmal eingeholt
werden muß (vgl. auch die Würdigung durch .1. M. Robinson im Vorwort
zu diesem ersten Band der neuen, von ihm herausgegebenen
Reihe "Studies in Antiquity and Christianity").

Ausdrücklich verwehrt K. (z. B. 244) eine direkte historische Ausbeute
seiner Arbeit in der Richtung, daß die älteste Schicht von Q ein
Bild des historischen Jesus als (später von den Gnostikern „richtig"
verstandenen) „Offenbarers" begründe, während die Überlagerung
durch das Gerichtsmotiv und die damit verbundene Mcnschensohn-
Christologie ein sekundäres Bild von Jesus vermittle. Ebenso zeigt er
die Offenheit von Q nicht nur zum Thomasevangelium hin, sondern
auch zu Mt und Lk, bei denen durch die Verbindung mit Mk das in Q
latent vorhandene biographische Moment aufgenommen wird. Die zu
Beginn als Problemhorizont genannte Bestimmung dcrGattung durch
Robinson als „gnostisierend" ist von K. also aufgehoben, da - kurz