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Ausgabe:

1988

Spalte:

425-430

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rüterswörden, Udo

Titel/Untertitel:

Von der politischen Gemeinschaft zur Gemeinde 1988

Rezensent:

Lohfink, Norbert

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 6

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apparat der heutigen linguistischen Sprachwissenschaft heran (Syn- Sacherklärung durchgeführt. Ich halte es für gut. daß nicht, wie unsere
tax, Semantik. Pragmatik usw.) und versucht mit deren beträcht- Methodenhandbücher es fordern, mit reiner Literarkritik begonnen
lichem terminologischem Aufwand eine vermeintlich einfache Kon- wird. Doch wäre bei dem Versuch, den vorliegenden Text zunächst
zeption. überhaupt erst einmal zu verstehen, vielleicht noch mehr auf stili-
Sein Auslegungsschema führt er dann vor allem am Beispiel von stische Gestaltung zu achten gewesen, etwa bei der Frage einer
Hos I vor, wobei eine Vorlesung zu Hosca im Jahre 1980/81 in Mainz bewußten Parallelisierung von Königs- und Prophetengesetz. R.s
die Grundlage bildet (S. 118-173). Der Rez. fragt sich nach der Urteil ist behutsam und ausgewogen. Er gehört nicht zu den allwissen-
Lektürc der einzelnen Schritte des methodischen Vorgehens und der den Textzerschnibblern. Manchmal hält er sich bei Schichtenunter-
Ergebnisse: War dieser gewaltige terminologische Aufwand für einen Scheidungen vielleicht sogar etwas zu treu an die masoretischen
relativ kurzen Text nötig? Seiner Meinung nach sind die heraus- Versgrenzen (etwa in 17.100-In vielen Fällen vertraut man sich gern
gearbeiteten Erkenntnisse durchaus auch mit den Methoden der her- seinem Urteil an. Doch es ergeben sich auch Anfragen. Der Wert der
kömmlichen historisch-kritischen Forschung zu erzielen ohne den Arbeit scheint mir in vielen guten Einzelbeiträgen, oft auch aus dem
terminologischen Aufwand der Linguistik, z. B. die ablehnende Beur- außcrbiblischcn Raum, zu bestehen.

teilung der Jchu-Revolution durch den Propheten Hosea entgegen der Das literarische Einordnungsraster ist im wesentlichen durch die

deuteronomistischen Geschichtsschreibung in den Königsbüchern Begriffe „deuteronomisch - deuteronomistisch" bestimmt, das zeit-

sowie die Frontstellung des Hosea gegen den Fruchtbarkeitskult der liehe durch „vorexilisch (oft = joschianisch) - exilisch". Die beiden

kanaanäischen Baalsreligion. Raster gelten offenbar als deckungsgleich. Nun ist es wahr, daß es in

Für einen Exegeten, der sich der Linguistik verpflichtet weiß, mag unseren Jahren „für die Entstehung des deuteronomistischen Ge-

"ie vom Vf. durchgeführte methodische Untersuchung als Erkennt- Schichtswerkes keine einheitliche Sichtweise gibt" (9). Aber darf man

nisfortschritt empfunden werden. Wer jedoch darin ein exegetisches deshalb abwarten, „bis sich eirr Klärungsprozeß vollzogen hat" (ebd.),

Verfahren sieht, dessen zeitlicher und terminologischer Aufwand in und unausgesprochen, aber höchst folgenreich die gewaltsam verein-

keinem Verhältnis zu dem erzielten Ergebnis steht, könnte auf den fachende Hypothese Noths vom erst exilischen Deuteronomisten

Gedanken kommen: Es kreißte der Berg, und ein Mäuslein ward zugrundelegen? Das tut R. nämlich faktisch. Das ist eine Entschei-

geboren. Der Rez. ist der Meinung, daß die Textlinguistik heute dung für eine bestimmte Sichtweise, nicht etwa Offenhalten der

ebensowenig ein weiterführendes Instrumentarium für die Exegese Optionen. Allerdings wird nicht ganz deutlich, ob R. überhaupt die

biblischer Texte ist, wie es seinerzeit die Schallanalyse von Eduard von F. M. Gross und seinen Schülern, aber auch unabhängig davon

Sievers war. , von verschiedenen europäischen Kollegen vertretenen Theorien vor-

(jt,rlm Joachim Rohde exilischer Ausgaben dtr Literatur voll wahrgenommen hat. Seine

erstaunte Feststellung, daß ich die dtr Landnahmeerzählung „den
späten Regierungsjahren Josias" zuordne (S. 131 Anm. 6), spricht
eher dagegen. Doch die Annahme vorexilischer Stufen des DtrG ist
kein von mir ad hoc gemachtes Fündlein. Die Ahnenreihe dieser
Theorien beginnt mit Kuenen und Wellhausen. Wer heute im dt-dtr

Rüterswürden, Udo: Von der politischen Gemeinschaft zur Gemeinde. Literaturbereich über „deuteronomisch - deuteronomistisch" und

Studien zu Dt 16,18-18,22. Frankfurt/M.: Athenäum 1987. 167 S. „vorexilisch-exilisch" handeln und dabei Noths Sicht zugrundelegen

8r- 8* = Bonner biblische Beiträge, 65. geb. DM 48,-. will, müßte angesichts vorhandener differenzierterer Ansichten Tür

seine eigene Annahme Gründe nennen. Dies tut R. nicht. Der
R legt in seiner Kieler Habilitationsschrift eine neue literarkri- Gedanke, daß der Nachweis, ein bestimmter Text sei „deuterono-
tische Analyse der Ämtergesetze im Dtn vor. Nach Preuß sind mistisch", denselben noch nicht eo ipso auch als „exilisch" ausweist.
Komgs- und Prophetengesetz erst dtr; nach Lohfink sei überhaupt ein jst mjr in dem Buch nicht begegnet. Für jemanden, der von Noths
vor-dtr, joschianisches Dtn nur noch schemenhaft auszumachen d). einfachem Schema nicht überzeugt ist und der deshalb bei dtr Passa-
°as würde ich zwar so nicht sagen. Aber Tür das Königs- und das Pro- gen für deren exilischen Zeitansatz noch zusätzliche Hinweise fordert,
Phetengesetz denke ich wie Preuß. R. will nun demgegenüber wieder greifen manche Beweisführungen von R. daher ins Leen.
e|ne vorexilische, durchlaufende Schicht der Ämtergesetze nach- Eine weitere Frage stellt sich, die Richtigkeit der Ergebnisse des
We'sen, aus der auch schon eine klare Verfassungstheorie spricht. Buches einmal vorausgesetzt, angesichts des letzten Kapitels. Die dtr
u'ese ist staatlich. Die exilischen Erweiterungen der Gesetze machen Ergänzer hätten den auf einen Staat ausgerichteten vor-dtr Verarm
aus der „politischen Gemeinschaft" eine „Gemeinde" (111). fassungsentwurf ungekürzt stehengelassen und nur noch einiges
vorexilische Text umfaßt Dtn 16,18*.19.21 f; 17,8-10. Eigene hinzugefügt. Kann man dann sagen, sie hätten keine „poli-
'2-15.16aa.l7*.20; 18,l*.3f.5*.6-8.9-15 (890-Diedarin enthaltene tische Gemeinschaft" mehr anvisiert, sondern nur noch „Ge-
er<assungstheorie ist der Konzeption der griechischen Polis ver- meinde"? Sie müssen doch das haben aussagen wollen, was sich aus
8'eichbar (95-105), wenn auch „genetische Abhängigkeiten" nicht dem älteren Text und ihren Zufügungen zusammen ergibt, nicht nur.
Postuliert werden sollen (96). was ihre Zufügungen für sich genommen sagen. Sonst hätten sie alles
D'<-" Kapitel I bis VI behandeln die einzelnen Ämtergesetze, und zwar jeweils auf Staat Weisende aus dem von ihnen erweiterten Text ausmerzen
£n'erden Gesichtspunkten „Übersetzung", „Textkritik", „Literar- und Sach- müssen. Eine Darstellung und Deutung des im endgültigen Text als
m.k" (10-88). Hin und wieder werden Exkurse eingeschoben: „Zu der Über- gn vorliegcnden Verfassungsentwurfs hat R. nicht gegeben. Hätte

Atzung von itr in der Scptuaginta" (13f). ..Zu 2Chr I9"(I50. ..Zum Altcrdcr ,. . . „ . ., , . .__, .. , .. . _ D ,.

hu,„ ■ „ . . .___ dieser nicht vielleicht auch noch einmal mit der griechischen Polis-

"ls<orisiercndcn Gcbotscinlcitungen" (54-58). ..Zu dem Zitat in Apg 3.22P' . ,. , „

(77n w- wii in -i o j- ,, ,. „ .__.. .. . Verfassung verglichen werden müssen.'

v ")■ Kap. VII will zeigen, daß die erschlossene vor-dtr Grundscnicht eine ein- = " ....

heitlipK„ v_. . .u ... ,on m. v . .... . _ Die Heranziehung der griechischen Polls als Analogie zu den im Dtn sich

»■'»icne Amtcrkonzeption enthalt (89-93). Kap. VIII erarbeitet deren Typo- " ° .

loni,. ine „ ,, , . „ iv j- j. i- ,,,,, ,,,, spiegelnden Ansichten halle ich für eine derbleibenden Leistungen von R.

(95-105). Dasselbe tut Kap. IX Pur die dtr Erweiterungen (106-111). r " .

Nach r a i . ... ... . .. . . • . D , Nicht ganz verständlich ist mir dagegen, warum kein ausdrücklicher Vergleich

al-n oen Anmerkungen beschließt ein ..Literaturverzeichnis den Band ■ ° c "

(Ist i,.. ... .. . . . _.. . , .,r . .. . ,. unternommen wird mit dem so oder so ..deuteronomistischen" Verfassungs-

1 o4). Indiccs gibt es. genau wie in der Dissertation des Vf., leider nicht. , . . 7

rv,n „ ... , _ 7 • .■ . . ., ■ denken in ISam 8-12 (die kurze Passage auf S. 62 tut diesen Dienst nicht)oder

IJ4LJ gründliche Textkritik getrieben wird, hebt diese Untersuchung . . , ., . ,. „ . , . . ., ,

mit dem. was H. I It/schncidcr als die hinter dem Hoseabucn stehenden Verlas-

Altes Testament

a- mit uv im, wdn 11. u i/.Miniciuci ai> uic iiiuici ucni i ui7iwt>ut.ii m mun mM

"genehm von fast der ganzen jüngeren Dtn-Litcratur ab. Dabei sungsvorste||Ungen erarbeitet hat (Hosea - Prophet vor dem Ende. OBO 31.

. «eben sich, vor allem durch die Textinterpretation der LXX. auch 1980). Doch das hängt vielleicht damit zusammen, daß die im jetzigen Text vor-

"teressantc Einblicke in die frühe Rezeptionsgeschichte. Die Literar- liegende Gesamtkonzeption nie als solche ins Auge geläßt wurde.

rit'k wird in einem Arbeitsgang mit philologischer Analyse und An sich scheint mir die Annahme, man habe sich im Exil Gedanken darüber