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Ausgabe:

1988

Spalte:

424-425

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schweizer, Harald

Titel/Untertitel:

Biblische Texte verstehen 1988

Rezensent:

Rohde, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 6

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Lesart - der kritische Text beruht, kurz vorgestellt. Es sind dies jeweils
acht mittelalterliche oder noch jüngere Codices, die den ganzen
Pentateuch, bzw. zwei ganze Bücher oder ein ganzes Buch aus ihm,
enthalten. Eine ausführliche Beschreibung dieser Handschriften findet
sich - nach einem Hinweis von P. - in seiner Dissertation. Im Falle
der Genesis kommt ausnahmsweise noch der altbohairische Papyrus
Bodmer III hinzu, in dem aus der Genesis nur der Anfang (1,1-4,2)
enthalten ist. Aber sonst finden Fragmente von Pentateuchtexten,
bzw. die etwaige Suche nach solchen, keine Erwähnung oder Berücksichtigung
. So kommen z. B. die beiden Handschriftenfragmente
Bibl. 1 und Bibl. 2 der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek5
nicht vor, obgleich es sich doch bei Bibl. 1 offenbar um versprengte
Teile von P.s Codex D handelt. In Einzelheiten der Gestaltung des
textkritischen Apparates gibt es leichte Modifikationen von Band zu
Band mit einer Entwicklung zur Straffung der Angaben. Aber nach
wie vor stehen sprachlich wichtige Angaben neben der Notierung
sinnloser Textentstellungen, an denen diese späten Handschriften ja
so reich sind. Seufzend fragt sich der Leser, ob es denn wirklich nötig
ist, daß ihm etwa der gesammelte Unsinn, der sich in der Handschrift
F findet, unterbreitet wird.

P.s Bestreben, Lagarde zu ersetzen, und eine bleibende Abhängigkeit
von demselben-auch wo sie nicht angebracht ist-sind wohl nur
zwei Seiten ein und derselben Sache. Über das anderenorts schon
Gesagte hinaus sei hier auf das Phänomen hingewiesen, daß offenbare
Druckfehler in Lagardes Ausgabe wie echte Textvarianten behandelt
werden (vgl. z. B. bei Gen 31,52; 36,26; 40,1; 47,19), und daß manche
Absonderlichkeiten im Text weiter nichts sind als die Festschreibung
von unerkannten Irrtümern, die Lagarde damals unterlaufen waren
(es muß z. B. in Gen 24,65 abgeteilt werden mpesersön aslolhs;
Gen 41,37 rane pharaö; Gen 42,15.16 se poulai). Mißgeschicke von
derselben Struktur passieren ihm aber auch selbst, wenn er von der
Textform Lagardes abweicht (lies Gen 3,6 frane nibal; Gen 30,15
neme mpaiecorh; Ex 5,20 euneou de; Ex 10,7 San akouös).

Während H. J. Polotsky aber von dem einen sagen kann «Le copti-
sant de tout premier ordre qu' etait Lagarde»,6 dürfte das von seinem
„Nachfahren" nicht gelten. So jedenfalls findet die einseitig textkritische
Orientierung des Werkes unter Vernachlässigung all dessen,
woran der Linguist interessiert sein muß, wohl am besten ihre Erklärung
. Und in dieser Perspektive ist noch einmal der mißliche Verzicht
auf das (klassische) Supralinearsystem7 anzumerken. In engstem
Zusammenhang damit steht dann auch die Beibehaltung von solchen
Abtrennungen wie ete nhet = (z. B. Gen 49,32; Ex 20,11), ete nhrei
hen- (z.B. Ex3,7; 12,12; 20,4); ete nte-/nta = (z.B. Ex9,19;
20,10.17.17), trotz der inzwischen erfolgten Klarstellung durch
Polotsky8; allerdings ist auch das wieder eine Nachwirkung von
Lagarde, dessen Text in diesen Fällen einen Supralinearpunkt über
dem Ny hat. Am meisten zu bedauern aber ist die Schaffung von ungrammatischen
Passagen des „kritischen" Textes durch falsche
Kombination bzw. Auswahl der Zeugen (vgl. z. B. Gen 33,5; 40,21;
41,48; 44,5; 48,6; 50,5; Ex 10,15; 20,10; 29,37).

Von ungleich größerem Ausmaß ist allerdings die Irritation, die aus
dem reichen „Schatz" an Tippfehlern und sonstigen Verwechslungen,
die der Schreibmaschinensatz aufweist, resultiert. Wenn P. in den
"Acknowledgments" zum Exodus-Band, auf die allzu menschliche
Seite dieser Sache anspielend, sagt: "I was privileged to have, for the
first timc. the benefit of another pair of eyes to assist in proof-reading
the entire text and apparatus. The level of accuraey in Exodus should
thus be highest of the three volumes ..." (S. VII), so kann man die in
diesen Worten ausgedrückte Hoffnung nur insofern als erfüllt ansehen
, als das Ausmaß der Mängel hier tatsächlich etwas geringer ist
als in Deuteronomium und Genesis. Diese Dinge gehen weit über
bloße und offenkundige Verwechslungen, Vertauschungen, Auslassungen
, Dittographien hinaus. Es kommt auch zu irregulären
grammatischen Formen, die den Arglosen verführen könnten, an der
Stern-Jcrnstedtschen oder ähnlichen Regeln zu zweifeln (vgl. vor
allem in Gen 5,24; 17,26; 21,21; 27,18; 31,13; 35.14.29; 42,12;

Ex 6,7; 9,9; 11,4; 12,32; 16,32.32; 30,38; 32,11). Betroffen sind
sowohl der Text selbst als auch der textkritische Apparat und sogar ihr
Verhältnis zueinander (es kommt bisweilen etwa vor, daß der Text
selbst als Variante erscheint). Das alles führt dazu, daß man in Fällen,
wo Text und Apparat nicht in sich evident sind, sich ohne Gegenkontrolle
nicht unbedingt auf P.s Angaben verlassen müssen möchte.
Allerdings sei auch gesagt, daß in einer ganzen Reihe dubios erscheinender
Fälle, wo eine sofortige Kontrolle möglich war, die Stichproben
die Korrektheit der betreffenden Aufstellungen von P.s Ausgabe
erwiesen haben.

Schließlich seien noch zwei Einzelheiten angemerkt. Natürlich ist
der altbohairische Text von Gen 1,1-4,2 der interessanteste und
wichtigste der bohairischen Pentatcuchüberlicferung, und so mußte er
unbedingt in die Ausgabe einbezogen werden. Aber ihn auf die gleiche
Stufe mit den anderen (um rund ein Jahrtausend späteren) Zeugen zu
stellen und ihn zusammen mit diesen als Basis zur Erstellung des kritischen
Textes des Anfangs der Genesis zu benutzen, erscheint schon
von vornherein als mindestens problematisch, und der diesbezügliche
Versuch P.s kann denn auch kaum als gelungen bezeichnet werden.
Das sieht man nicht zuletzt daran, daß in Gen 1,1-4,2 die Fehlerquote
nun wirklich unerträglich hoch ist und sich aus den Angaben
des Apparates kein korrektes und vollständiges Bild des altbohai-
rischen Textzeugen ergibt. Die andere Bemerkung gilt dem Zeichen
für die Zahl 200. Als Alternative zu dem Zeichen Sigma erscheint oft
bei P. das Zeichen Omega (vgl. Gen 5,3.6.22; 1 1,17.19.21.23.32), was
den Uneingeweihten verführen muß, hier die Hunderter für vervierfacht
zu halten. Daß es sich in Wirklichkeit nur um das dem Omega
ähnliche Sonderzeichen für 200 handelt, kommt erst und nur bei
Gen 32,14 richtig zum Ausdruck.

Berlin Hans-Martin Schenke

' Peters, Mclvin K. H. [Ed.]: A Critical Edition of the Coptic (Bohairic) Pentateuch
, Volume 5, Deuteronomy [Chico, California: Scholars Press 1983 =
SBL, Septuagint and Cognate Studies Series 15].

2 Vgl. zur Person und Bedeutung dieses Forschers ThLZ 110, 1985,796 f.

1 Missoula, Montana: Scholars Press 1979 = SBL, Septuagint and Cognate
Studies Series9; und vgl. dazu die Rezension von F. Wisse in JBL 100. 1981.
630.

' Vgl. H. J. Polotsky: OLZ 54,1959,4551 (= Colleeted Papers. 1971,235).

5 Vgl. O. H. E. Burmcster: Koptische Handschriften, I: Die Handschrilten-
I'ragmente der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Teil I (Verzeichnis
der orientalischen Handschriften in Deutschland XXI. 1) Wiesbaden 1975;
Rezension OLZ 77,1982, 347-349.

6 Une question d' Orthographie bohai'rique, BSAC 12, 1949, 32 (= Colleeted
Papers, 385).

7 Vgl. zu diesem Polotsky: Colleeted Papers, 378f.
" Colleeted Papers, 380-388.

Schweizer, Harald: Biblische Texte verstehen. Arbeitsbuch zur
Hermeneutik und Methodik der Bibelinterpretation. Stuttgart-
Berlin (West)-Köln-Mainz: Kohlhammer 1986. 199 S. m. zahlr.
Abb. gr. 8 Kart. DM 34,-.

Mit der vorgelegten Untersuchung möchte der Vf.. dessen Hauptlehrgebiet
die Einleitungswissenschaft des Alten und Neuen Testaments
ist, in Theorie und Praxis die Diskussion zur biblischen
Hermeneutik und Methodik beleben, wobei für ihn Methodik ein
reflektierter und damit kontrollierbarer Zugang zu den Texten ist
(S. 8f). Zwar beabsichtigt er nicht, die historisch-kritische Auslegung
beiseite zu schieben, ist aber der Meinung, daß sie kein angemessenes
Interpretationsinstrumentarium entwickelt habe, weil sie auf der griechisch
-römischen Grammatiktradition beruhe. Statt dessen plädiert
er für eine sog. Textgrammatik und eine sprachkritischc Bibcllcktüre
(S. 140- Eine solche sprachkritische Texticktüre könne auch bei
inhaltlich abseitigen und fernstehenden Texten zu einer existentiellen
Fragestellung führen (S. 18). Zu diesem Zweck zieht er den Begriffs-