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Ausgabe:

1988

Spalte:

388-390

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fürst, Walther

Titel/Untertitel:

Predigt und Gebet 1988

Rezensent:

Genest, Hartmut

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387

Theologische Literaturzeitung I 13. Jahrgang 1988 Nr. 5

388

Praktische Theologie: Homiletik

Meding, Wichmann von: Kirchenverbesserung. Die deutschen Reformationspredigten
des Jahres 1817. Bielefeld: Luther-Verlag 1986.
304 S. 8" = UnioundConfessio. 11. Kart. DM 49,-.

Diese im-Pfarramt erarbeitete Kieler Dissertation fragt, ob in den
deutschen Reformationspredigten von 1817 ,,die Reformation als kritisches
Gespräch mit der eigenen Kirche zum Tragen kam". Mit viel
Fleiß spürte der Vf. das Material auf und ermittelte, daß knapp 400
Predigten anläßlich des Reformationsjubiläums von 1817 gedruckt
wurden. 291 konnte er finden und auswerten. In einem ersten Abschnitt
(„Vorstellung") führt er in die Situation von 1817, in die Quellenlage
und in den Forschungsstand ein. Er zeigt schon hier, daß jedes
einseitige Interpretationsschema unangemessen ist. Im Reformationsjubiläum
wirkte außer dem siegreichen Ausgang der Befreiungskriege
auch der Dank über eine gute Ernte nach verheerenden Mißernten.
Das Fest war Sieges- und Segensfest zugleich. Der Einfluß des Rationalismus
ist evident, aber es „fließt ineinander, was reinem Denken
unvereinbar erscheinen will: Aufklärung und Romantik, Ncologie
und Biblizismus, Rationalismus und Restauration, Klassizismus und
Supranaturalismus".

Im 2. Teil wird das Material dargestellt, gegliedert nach den Ländern
des Deutschen Bundes. Tabellen zeigen, in welchen Ländern absolut
und relativ die meisten Festpredigten gedruckt wurden. Die spezifischen
Akzente der Feiern in den Ländern werden herausgearbeitet.
So wurde z. B. in Kurhessen das Reformationsfest „von Unionsgedanken
liebevoll erdrückt", während in Braunschweig Rationalismus und
Antikatholizismus die bestimmenden Kräfte waren. In Frankfurt/M.
dagegen zielte das Fest der Versöhnung von Glauben und Denken auf
die Vereinigung aller Christen einschließlich der Katholiken. In
Bayern „hat die Eingliederung protestantischer Territorien in das katholische
Königreich dem Reformationsjubiläum seine bayerische
Bedeutung verliehen". Hier kam es zu einer interessanten Verbindung
von Gegnerschaft gegen die römische Kirche und Brüderlichkeit gegenüber
den Katholiken. Ähnlich war der Befund in Schlesien. In der
Kirchenprovinz Sachsen wirkte sich deutlieh die kürzlich erfolgte
Eingliederung in den preußischen Staat aus, zumal Wittenberg davon
betroffen war. „Das Fest des Wittenberger Anschlags durch jenen großen
Sachsen wurde den jetzt preußischen Sachsenpredigern zum Anlaß
, öffentlich und über politische Grenzen hinweg ihren Stolz zu zeigen
, trotz allem seien sie Sachsen geblieben." Kritik richtete sich auch
gegen die Unionspolilik des Königs. Die in der Forschunggelcgcntlich
vertretene Meinung, das Fest von 1817 sei überwicgend historisch bestimmt
gewesen, ist nicht berechtigt. Ebenso weist v. Meding die
Trennung des Wartburgfestes vom Reformationsjubiläum zurück.
Das Wartburgfest reagierte „auf eine geistlos gewordene Kirchlichkeit
". Daß aktuelles Glaubensinteresse im Jubiläum wirksam war,
zeigte sich u.a. im diakonischen Engagement, denn es war eine
„Glaubensauffassung, die die Liebe zur Hauptsache erklärt(e)". Ein
weiteres Anliegen aufklärerischer Frömmigkeit kam im pädagogischen
Flandcln zur Geltung, das besonders in Preußen zu verzeichnen
war. Das Thema „Union" spielte insgesamt nicht die Rolle, die man
vermuten könnte.

Im 3. Teil („Einstellung") untersucht der Vf., „was die Festprediger
über die Heilige Schrift, den Glauben der Reformatoren und die Gegenwartsbedeutung
ihres Werkes zu sagen hatten", sowie in welcher
Weise sie sich „zu Glaube und Praxis der Kirche von 1817" kritisch
geäußert haben. Sie wollten „das einfache, klare Gotteswort" verkündigen
, taten es aber weithin auf rationalistische Weise. Mitunter verkehrt
die Auslegung die Texte in ihr tiegenteil. „Für den protestantischen
C hristen bedarf es keiner Versöhnung mit Gott", konnte ein
Hamburger Prediger behaupten (148)! Luther war vielen Predigern
wenig bekannt. Manchen galten Melanchthon, Karlstadt und Erasmus
als die eigentlichen Reformatoren. Für die Rechtfertigungsbotschaft
zeigten die meisten wenig Verständnis.

Daß auch andere Stimmen erklangen, wird unter der Überschrift
„Kirchliche Selbstkritik" dargelegt. C. Harms, H. F. Nissen, F. C.
Köeler, G. Menken und J. Reisig ragen unter den Predigern hervor,
die genuin reformatorische Anliegen zur Geltung brachten. Besonders
aber sieht v. Meding bei Schlciermacher - nicht bei Harms! - die
überzeugende Alternative zur „Normalpredigt" von 1817. Im Unterschied
zu Harms habe Schleiermacher die Rechtfertigung nicht als
Lehre abgehandelt, sondern zum Leben aus der Gerechtigkeit ermuntert
, die vor Gott gilt. Das kann man wohl auch anders sehen.

In einer kurzen Schlußbetrachtung nimmt v. Meding den 1817 beliebten
Begriff auf, der dem Buch den Titel gab. Er zieht das Fazit,
„Kirchenverbesserung" sei ein kritisches Konzept gewesen, die Notwendigkeit
einer Neuorientierung sei erkannt worden. Die kritischen
Anstöße seien aber vorwiegend aus dem norddeutschen Raum gekommen
, weil die süddeutschen Prediger zu sehr vom Gegenüber zum Katholizismus
beansprucht wurden. „Das bedeutet, daß ein Protestantismus
, der sich erhalten zu müssen meint, in der Gefahr steht, sich selbst
zu verlieren" (196). Insgesamt überwiegt das kritische Urteil. Die
Festprediger „standen selber dem Licht im Wege, das sie verkündigen
sollten". Die eingangs aufgeworfene Frage, ob die theologia crucis zur
Sprache gekommen sei, muß aufs Ganze gesehen verneint werden.
Das Verständnis der Reformation als „Kirchenverbesserung" lief letzten
Endes auf eine Art von Gegenreformation hinaus.

Der Anhang enthält Archivmaterial zu zwei Jubelfeiern. Das Literaturverzeichnis
nennt die 291 ausgewerteten Predigten, ferner 212
Jubiläumsdrucke, 122 sonstige Quellen und darstellende Literatur.
Ein Personenregister mit Kurzdaten zu allen Predigern sowie ein Ortsregister
runden das gehaltvolle Buch ab. Es ist lebendig geschrieben
und bietet eine interessante Lektüre. Die Arbeit zeigt, wie Untersuchungen
zur Geschichte der Predigt heutigen Predigern einen Spiegel
vorhalten können. Außerdem regt das Buch die Frage an, worin
heutige Bemühungen um Kirchenreform sich grundlegend vom Verständnis
der „Kirchenverbesserung" anno 1817 unterscheiden.

Halle (Saale) Eberhard Winkler

Kürst, Walther: Predigt und Gebet. Theologische Beiträge. Hg. von
K.-P. Jörns. Göttingen: Vandcnhoeck & Ruprecht 1986. 206 S. 8'.
Kart. DM 28,-.

Der Band enthält theologische Beiträge des langjährigen Hg. der
„Göttinger Predigtmeditationen". Leser dieser Predigthilfen werden
sieh für das theologische Profil des Hg. wohl interessieren. Neben den
Vor- und Nachworten zu den Jahrgängen der GPM und den 130 Meditationen
von Walther Fürst (S. 202-205 nachgewiesen) dürften die
hier vorgelegten Aufsätze diesem Interesse Genüge tun. Sie sind Dokumente
der Wirkung der Theologie Karl Barths: nicht nur durch
seine eigenen Schriften, sondern durch die Vermittlung solcher Predigthilfen
ist Barths Theologie des Wortes homiletisch wirksam geworden
.

Diebeiden ersten Aufsätze („Karl Barths Predigtlehre", „Die homiletische
Bedeutsamkeit Karl Barths") zeigen die Rezeption des homiletischen
Ansatzes. Walthcr Fürst war Teilnehmer der berühmten
„Übungen in der Predigtvorbcrcitung", die Karl Barth im Wintersemester
1932/33 in Bonn gehalten hat. „die uns - das darf wohl für
viele gesagt werden - in hohem Maß hilfreich geworden sind und die
zusammen mit Barths eigenen Predigten ihre starke Auswirkung aul
einen großen Teil unserer Predigergeneration fanden." (S. 21) Die
Aufsätze markieren die Entwicklung des Predigtverständnisses Barths
und bemühen sich um eine homiletische Auswertung der „Kirchlichen
Dogmatik".

Die folgenden Aufsätze dienen der Auseinandersetzung mit anderen
theologischen Positionen und homiletischen Konzepiionen. Unter
der Fragestellung „Wie ist Rede von Gott möglich?" kommt es zu
einem durchaus positiven Dialog mit Rudolf Bultmann, Dessen Autsat
/ „Welchen Sinn hat es. von Gott zu reden?" von 1925 liegt freilich