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Ausgabe:

1988

Spalte:

383-385

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Birnstein, Uwe

Titel/Untertitel:

Neuer Geist in alter Kirche 1988

Rezensent:

Mendt, Dietrich

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung I 13. Jahrgang 1988 Nr. 5

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geht er davon aus, daß der Weg der westlichen Christenheit zur Kirche
in der Diaspora führen könnte.

Missionarischer Gemeindcaufbau ist für Sorg „nicht in erster Linie
eine methodische, eine organisatorische oder strategische, sie ist
zuerst eine theologische, eine geistliche Frage". Das Buch gibt deshalb
viele praktische Hinweise zu einer Spiritualität, die dem Bau der Gemeinde
dient und wiederum durch Gemeindeaufbau gestärkt wird.
Die Erneuerung der Gemeinde lebt davon, daß Gottes Geist Menschen
zu lebendigem Glauben erweckt. Lebendiger Glaube findet eine
Fülle von Möglichkeiten, auf die Menschen in der säkularisierten
Welt zuzugehen und zugleich das Gemcindcleben einschließlich des
Gottesdienstes einladend zu gestalten. Ein Aufsatz beschreibt den
Gottesdienst als Mitte der Gemeinde zwischen Erneuern und Bewahren
, ein anderer widmet sich dem Gebet im Gottesdienst. Der umfangreichste
Aufsatz (S. 84-106) erörtert das Verhältnis von Kindertaufe
und Gemeindeautbau. Sorg zeigt Verständnis für die Kritik an der
Kindertaufpraxis, er meint, Bohrens Angriff auf die volkskirchliche
Kasualpraxis treffe ins Schwarze, und er möchte auch denen gerecht
werden, die sich einer zweiten Taufe unterziehen. Er läßt aber keinen
Zweifel daran, daß die Wiedertaufe, auch wenn sie Glaubenstaufe
genannt wird, ein Irrweg ist, auf den die Kirche allerdings nicht mjt
dramatisierenden Überreaktionen antworten soll. Sorg orientiert sich
an einer klaren reformatorischen Position, die vom Vorrang des göttlichen
Handelns ausgeht. Er warnt vor einer Segcnshandlung, die ..unter
der Hand zu einer Ersatzhandlung oder zur Alternative für die
Taufe wird".

Das Buch ist klar und lebendig, mitunter etwas holzschnittartig
geschrieben. Zum „Stichwort Gemeindeaulbau" ist die Schilderung
der Konzepte ein wenig grobmaschig und fragmentarisch geraten, was
in der Kürze kaum zu vermeiden war. Die Kennzeichnung eines
„automatischen" Taufverständnisses als katholisch (S. 96) ist heutiger
katholischer Tauftheologie unangemessen. Bohrens Kasualkritik läßt
sich mit den positiven Möglichkeiten, die Sorg im Anschluß an
M. Seitz - m. E. zu Recht - sieht, nicht vereinbaren. „Man sollte dieses
weithin selbstverständliche Begehren nach kirchlicher Begleitung
an den Schwellensituationen des Lebens nicht diffamieren" (S. 30),
sondern als Chance für den Gemeindeaufbau begreifen. Sorg zeigt
viele konkrete Möglichkeiten und gibt damit „Ermutigung zu missionarischer
Gemeindearbeit", wie der Untertitel des Aufsatzes lautet,
der dem Buch seinen Titel gab.

Halle (Saale) • Eberhard Winklcr

Birnstein, Uwe: Neuer Geist in alter Kirche? Die charismatische
Bewegung in der Offensive. Stuttgart: Kreuz Verlag 1987. 219 S. 8".
Kart. DM 22,80.

Die Rezension dieses Buches ist nicht ganz einfach aus zwei Gründen
: einmal beschreibt es besonders eindrücklich und ausführlich die
Situation in der Bundesrepublik, während der Lage in der DDR eine
knappe Seite gewidmet wird. Zum anderen wird von einem Rez. eine
kritische Beurteilung erwartet, der selber der charismatischen Bewegung
mehr als freundschaftlich verbunden ist, denn er hat ihr wesentliche
Impulse seines Glaubens und Dienstes zu verdanken.

Daß das Unternehmen trotzdem lohnt, liegt daran, daß B. selber im
Grunde genommen trotz aller Bemühung um Information und Dokumentation
keinen objektiven, sondern einen subjektiven Bericht gibt,
den Bericht eines Menschen, der vom Anhänger zum Enttäuschten
und darum zum Kritiker geworden ist. Vielleicht kann man diese Bewegung
gegenwärtig noch gar nicht anders als subjektiv beschreiben.
Sie ist zu neu, zu vielfältig und im besten Sinne des Wortes noch zu
ungegoren. Deshalb entzieht sie sich einer objektiven Darstellung, die
sowohl einheitliche Strukturen als auch so etwas wie eine einheitliche
„Lehre" voraussetzen würde. Beides gibt es noch nicht, und so gibt B.
zuverlässige, aber nicht vollständige Informationen.

Sein Buch beschreibt zunächst die Szene in der Petrigemeinde zu

Hamburg, die er selber erlebt hat und die so etwas wie ein Zentrum der
Bewegung in der Bundesrepublik ist. Dann schildert er die Geschichte
, die ihren Ausgangspunkt Ostern i960 in der kalifornischen
Kleinstadt Van Nuys hatte und dabei deren Pfarrer Dennis L. Bennett
. Es folgt eine ausführliche Darstellung verschiedener charismatischer
Gruppierungen in den verschiedenen Konfessionen innerhalb
der Bundesrepublik wie auch die kirchliche Einstellung dazu mit
ausführliehen Zitaten kirchlicher Stellungnahmen. Ein kurzes
Kapitel geht auf die Lage in der DDR, in Polen, der Schweiz, in
England, Österreich und Afrika ein. Verschiedene Bemühungen um
Mission (im Sinne der „Äußeren Mission") werden gezeigt und
schließlich wieder ausführlich der „Hintergrund" beschrieben durch
Vergleich mit der Bibel, mit lutherischer Theologie, mit der Praxisder
Volkskirche.

„Reflexionen" im Blick auf „Neue religiöse Bewegungen". „Psychologische
Aspekte". „Gesellschaftliche Wirklichkeit und charismatische
Weltflucht" sowie „Das Erfolgsrezept" und ein „Ausblick"
beschließen das Buch.

Die Gefahren, die B. in der charismatischen Bewegung sieht (sie
nennt sich jetzt „Geistliche Gemeinde-Erneuerung" und besitzt die
Geschmacklosigkeit, dem auch in der Kirche üblich gewordenen Ab-
kürzungsfimmcl zu huldigen durch den schönen Begriff „GGE"), sind
die folgenden: falsche Unmittelbarkeit der Glaubenserfahrungen, verkürzte
Auslegung der Bibel, Überbewertung der Geisterfahrung.
Überbetonung einzelner Geistesgaben und Geisterlebnisse, Flucht aus
der Wirklichkeit durch den Aulbau elitärer, isolierter Glaubenskreise
." (680 „Sie entwerfen Techniken und Methoden. Gottescrleb-
nis im Schnellverfahren und zu Tiefstpreisen zu erlangen." So ein
Zitat des Schweizer Katholiken Karl Guido Rey, der selber zur Leitung
der Bewegung in der Schweiz gehört hatte. B. kann für alle Kritik
Stimmen anführen, die aus der charismatischen Bewegung selbst
kommen. Allerdings zitiert er bevorzugt solche Kritiker, die auf starken
Widerstand innerhalb der Bewegung gestoßen sind und sie oh, wie
Rey, daraufhin verlassen haben. Eine starke Rolle spielt dabei die
Auseinandersetzung, die es in der Petrigemeinde in Hamburg zwischen
dem führenden Kopf der charismatischen Bewegung in der
Bundesrepublik, Plärrer Kopfermann, und dem Pastor, der schon vor
ihm dort eine außerordentlich segensreiche Arbeit in einem Beratung
!- und Seelsorgezentrum mit über hundert Mitarbeitern getan
hat, das auf ihn selber zurückgeht; Gunnar von Schlippe. So wie diese
Auseinandersetzung geschildert wird, ist sie sehr belastend und in keiner
Weise werbend fürdic Bewegung. Und mindestens kann der Leer,
wenn es ihm schon nicht möglich ist, die Hamburger Vorgänge objektiv
zu beurteilen", doch aus ihrer Schilderung Kriterien entnehmen, die
für eine mögliche Beurteilung der charismatischen Bewegung überhaupt
gelten könnten. Ich würde folgendes dazu rechnen:

1. Die Barmherzigkeit darf nicht auf der Strecke bleiben. Wo das
Evangelium nicht mehr mit Barmherzigkeit vertreten wird, ist es nicht
mehr „wahr", denn die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth
ist Liebe, d. h. die Art der Übersetzung Gottes, die Art, in der er sich
selbst übersetzt. Sie ist keine von einer davon unabhängigen Wahrheit
je nachdem anzuwendende Methode. Dies gilt besonders von Abgrenzungen
gegen andere und Andersdenkende.

2. Die charismatische Bewegung ist eine Erneuerungsbewegung der
vorhandenen Kirche. Sie hält sich also zur Kirche und versteht sich
selber als Kirche, sie sondert sich nicht ab und bildet auch innerhalb
der vorhandenen Gemeinden keine besonderen Gruppen, in denen es
besondere Zulassungsbedingungen gibt. Hier ist ein großer Unterschied
festzustellen zwischen den charismatischen Aufbrüchen 1909
und der Gegenwart. Es ist nirgendwo zu einem wirklichen Bruch mit
der vorhandenen Kirche gekommen - wenn es natürlich auch in einzelnen
Gemeinden Separationsbestrebungen gegeben hat.

3. Die Frage der „Lebensübergabe" ist eine echte Frage, die man an
die Glieder der Volkskirche stellen muß. Es ist eine negative Folge der
Reformation, daß man seinen Glauben privat und ohne irgendwelches
Engagement leben kann, ohne sich zu „ändern". Die Gefahr be-